Das Klatschen ist längst verhallt …

Wer erinnert sich nicht an den lauten Beifall für die Pflegerinnen und Pfleger in der Corona-Krise? Und welche Veränderungen sind dem gefolgt?

Illustration: Olga Aleksandrova
Illustration: Olga Aleksandrova
Axel Novak Redaktion

Schon vor der Corona-Pandemie gab es einen Fachkräftemangel in der Pflege, die Corona-Pandemie hat dies nur noch deutlicher gemacht. Die Deutschen haben erkannt, wie wichtig die Beschäftigten in der Pflege für ihr Gesundheitssystem sind, und sie wurden sich der prekären Arbeitsbedingungen und der Schwierigkeiten in dieser Branche bewusst.

An dieser Erkenntnis hat sich bis heute nichts geändert: „Nur mit mehr Personal durchbrechen wir den Teufelskreislauf von einem Gesundheitsberuf, der zurzeit selbst krankmacht“, sagt Claudia Moll, Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung. „Es ist daher wichtig, zunächst bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu schaffen. Wir müssen die Pflegekräfte entlasten, um ihnen eine Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf zu ermöglichen.“ In den vergangenen Jahren ist der Pflegebedarf massiv gestiegen, ebenso wie die Anzahl der Beschäftigten. Vor allem die ambulanten Pflegedienste haben Personal hinzugewonnen: Von 2009 bis 2019 stieg die Zahl ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um 61 Prozent, im stationären Bereich um 30 Prozent. Dies hat dazu geführt, dass heute rund 1,7 Millionen Menschen in der Pflege arbeiten, etwa zwei Drittel in Heimen und ambulanten Diensten und ein Drittel im Pflegedienst in Krankenhäusern. Jeder dritte Beschäftigte arbeitet in Teilzeit. Jede vierte Pflegefachkraft ist jedoch unzufrieden und sucht daher aktiv nach einer neuen Stelle oder einer beruflichen Alternative.

Die Liste der To-dos ist lang, um Pflegenden den Alltag attraktiver zu gestalten – und damit eine höhere Qualität in der Pflege zu erreichen. Mehr Geld zum Beispiel. Fachkräfte verdienten 2021 mit durchschnittlich fast 3.700 brutto fast 1.000 Euro mehr als noch zehn Jahre zuvor. Auch wächst der Mindestlohn: Für Pflegehilfskräfte steigt er bis 2025 auf 16,10 Euro, für qualifizierte Pflegehilfskräfte auf 17,35 Euro und für Pflegefachkräfte auf 20,50 Euro pro Stunde. Gleichzeitig hat die Regierung Pflegedienste, ambulante Betreuungsdienste und stationäre Pflegeeinrichtungen auf Tarifentlohnung verpflichtet. Und schließlich haben Beschäftigte in der Altenpflege bei einer 5-Tage-Woche 2023 Anspruch auf neun Tage bezahlten Urlaub, zusätzlich zu den gesetzlichen 20 Tagen.

Außerdem sollen Einrichtungen gefördert werden, wenn sie individuell zugeschnittene Arbeitszeitmodelle entwickeln und eine verlässliche Dienstplanung und ein besseres Arbeitsumfeld anbieten. Auch die Digitalisierung soll Pflegende im Alltag bei Dokumentationen und anderen bürokratische Aufgaben entlasten. Seit 2023 erhalten Pflegekräfte ambulanter Pflege- und Betreuungsdienste eine lebenslange Beschäftigtennummer, mit der sie Leistungen bei den Kranken- und Pflegekassen einfacher abrechnen können. Problematisch ist jedoch, dass vor allem ein stabiler Internetzugang als Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung mit einer elektronischen Patientenakte, Pflegeplanung und -dokumentation gilt – und der ist noch nicht überall gesichert.


»Einer von drei Auszubildenden in Pflegeberufen bricht vorzeitig ab.«


Auch Routinen oder Unterforderung sind längst Gründe, warum die Beschäftigten mit ihrem Arbeitsplatz unglücklich sind. Nun sollen sie mehr Verantwortung erhalten. Verschiedene Modellvorhaben in den Ländern untersuchen seit Januar 2023, wie es sich auf die Patientenversorgung auswirkt, wenn Pflegefachkräfte ärztliche Tätigkeiten übernehmen, zum Beispiel bei der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden, Diabetes mellitus oder Demenz.

Um die Pflegekräfte in den Einrichtungen konkret zu entlasten, wurde auch der Personalschlüssel verändert. Seit Juli 2023 legt nicht mehr das Land, sondern der Bund das Verhältnis zwischen Patient und Pflegekraft fest. Dieses Verhältnis hängt von der Qualifikation der Pflegekraft und dem Pflegegrad des Betreuten ab. Ganz pragmatisch bedeutet das: Bundesweit darf eine Pflegekraft maximal acht Bewohner mit Pflegegrad 1 betreuen, aber nur zwei Menschen mit Pflegegrad 5. Dabei hat der verbesserte Personalschlüssel auch Nachteile: Weil der Personalstand die Belegung von Einrichtungen – und damit deren Auslastung und Wirtschaftlichkeit – bestimmt, können Pflegeplätze nicht besetzt werden, auch wenn sie dringend gebraucht werden, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen. Und das bringt im Zweifel ganze Einrichtungen in Schieflage, die in einem privatwirtschaftlichen System auf wirtschaftliche Rendite und Effizienz getrimmt worden ist.

Dennoch können auch die vielen Maßnahmen die Personalnot nicht lindern. Pflegekräfte sind rar und lassen sich nicht auf Befehl anwerben. Die Einrichtungen wissen, dass die Situation nicht besser wird. Die Krankenhäuser beispielsweise gehen laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und des Deutschen Krankenhausinstituts von einer Verschärfung des Pflegepersonalmangels aus. Neun von zehn befragten Kliniken meinen, dass sich die Stellensituation in den kommenden drei Jahren verschlechtern wird.

Die Zahlen für die Ausbildung belegen die zurückhaltende Perspektive eindrucksvoll. Durch eine Reihe von Initiativen sollte Pflegen ein attraktiverer Ausbildungsberuf werden. In der neuen Ausbildung zum Pflegefachmann oder zur Pflegefachfrau wird Kranken-, Alten- und Kinderpflege gemeinsam vermittelt, erst im dritten Lehrjahr entscheiden sich die Pflegerinnen und Pfleger für ihren künftigen Bereich. Auch sollen bessere Studienkonzepte, eine bessere Finanzierung der Studentinnen und Studenten und später mehr Fort- und Weiterbildungen die Aufstiegschancen im Beruf erhöhen.

Doch das Ergebnis ist ernüchternd: 52.100 junge Menschen haben 2022 eine Ausbildung zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann begonnen, sieben Prozent weniger als im Vorjahr. Einer von drei Auszubildenden in Pflegeberufen bricht vorzeitig ab. Die Gründe sind immer wieder die gleichen: Schwierige Arbeitsbedingungen, Zeitmangel und eine hohe emotionale Belastung. Man hat den Eindruck, das Klatschen vor vier Jahren ist ungehört verhallt.

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