Klischee und Wirklichkeit

Wer an einer Seltenen Erkrankung wie Narkolepsie oder Tourette leidet, wird gern als schillernde Persönlichkeit betrachtet. Betroffene leiden aber darunter.

Illustratorin: Stephanie Kolkmann
Illustratorin: Stephanie Kolkmann
Mirko Heinemann Redaktion

Das Bild, das die meisten von einer Tourette-Erkrankung haben, entspringt einem Klischee: Danach leiden die Erkrankten unter dem Zwang, unflätige Schimpfwörter von sich zu geben, die nichts mit der Situation zu tun haben, in der sie sich gerade befinden. In der Realität ist von solchen Symptomen nur jeder Fünfte bis Zehnte betroffen. Eher äußert sich die Krankheit in so genannten „Tics“, spontanen Bewegungen, Lauten oder Wortäußerungen, die ohne den Willen des Betroffenen zustande kommen – vergleichbar mit dem Niesen oder einem Schluckauf. Das können Augenzwinkern sein, Hüpfen, Stampfen, Räuspern, Grunzen oder eben das Ausstoßen von Wörtern.

Am Tourette-Syndrom unterschiedlichen Schweregrades leiden in Deutschland schätzungsweise etwa 40.000 Menschen. Aus unbekannten Gründen sind Jungen etwa zehn Mal häufiger betroffen als Mädchen. Die Krankheit erhielt den Namen des französischen Arztes, der 1885 diese Krankheit ausführlich beschrieb: Georges Gilles de la Tourette.

Als Ursache gilt eine Störung des Botenstoffwechsels im Gehirn. Diese kann durch erbliche Faktoren oder Auslöser in der Umwelt wie Rauchen oder Stress während der Schwangerschaft ausgelöst werden. Für die Betroffenen kann die Erkrankung die Hölle sein: Soziale Kontakte werden massiv gestört, die Leistungsfähigkeit wird vermindert. Zudem geht die Erkrankung häufig mit Begleiterkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder sozialen Phobien einher.

Als Therapie kommt eine psychologische Verhaltenstherapie infrage, in schwereren Fällen verschreibt man Medikamente. In sehr schweren Fällen kann eine so genannte tiefe Hirnstimulation vorgenommen werden. Dabei wird den Patient:innen ein Hirnschrittmacher implantiert, der über Elektroden das Gehirn elektronisch stimuliert.

Auch die Narkolepsie oder Schlafkrankheit ist eine seltene Erkrankung, die es zu einigem Ruhm gebracht hat. Im Hollywod-Film „My Private Idaho“ spielte der Schauspieler River Phoenix eindrucksvoll einen Narkolepsie-Patienten. Bevor er einen Anfall bekam und einschlief, torkelte er wie ein Betrunkener herum. Das ist typisch für Narkolepsie-Patienten – und ein schwerwiegendes soziales Problem. Denn Außenstehende interpretieren die Situation ihres Gegenübers oft falsch.  

Ebenso beim Alice-im-Wunderland-Syndrom, einer visuellen Wahrnehmungsstörung, die an die Symptome bei der Einnahme halluzinogener Drogen erinnern kann. Dabei nehmen Betroffene ihre Umwelt disproportional wahr, sehen also Gegenstände plötzlich viel kleiner oder viel grösser als normal – eben so wie bei „Alice im Wunderland“. Eine weitere seltene Erkrankung, die soziale Ausgrenzung zur Folge haben kann, ist die Trimethylaminurie. Bei dieser Stoffwechselkrankheit wird durch Schweiß und Urin zu viel Trimethylamin abgesondert, wobei Betroffene stark nach Fisch riechen. Verursacht wird diese Erkrankung durch ein Enzymdefizit in der Leber.

Die Kleinwüchsigkeit hingegen ist keine eigene Krankheit, sondern kann eine Vielzahl von Auslösern haben – auch eine seltene Erkrankung. Kleinwuchs ist nicht unbedingt mit gesundheitlichen Risiken verbunden. Ist die Ursache aber etwa die seltene Erbkrankheit Osteogenesis imperfecta, auch Glasknochenkrankheit genannt, kann diese unter Umständen zu einer geringeren Lebenserwartung führen. Auch Demenz ist keine seltene Erkrankung, die Vaskuläre Demenz aber schon. Sie entsteht aufgrund von Durchblutungsstörungen im Gehirn, entweder als Folge von Schlaganfällen oder durch eine Durchblutungsstörung.

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