Wieder ganz Ohr sein

Immer mehr Menschen hören schlecht, Prävention und Behandlung sind eine medizinische Herausforderung. Individuell angepasster Gehörschutz kann helfen.
Illustration: Antje Kahl
Illustration: Antje Kahl
Andrea Hessler Redaktion

Auch dieses Jahr gibt es kein Feuerwerk an Silvester. Wie 2020 ist es pandemiebedingt verboten, Blumen, Sterne und Silberregen in den Nachthimmel zu schießen. Freuen werden sich allerdings Hunde, Katzen und Ohrenärzte. Letztere beklagen nach dem Jahreswechsel regelmäßig Tausende Fälle von Knall- und Explosionstraumata.

Der Grund: Feuerwerkskörper können Impulslärm von bis zu 190 Dezibel (dB) erzeugen – schon ab 85 dB kann das menschliche Gehör irreparabel geschädigt werden. Schallschwingungen biegen die feinen Härchen der Haarsinneszellen im Innenohr (Stereozilien) um oder brechen sie sogar. Sie können dann den Schall nicht mehr als Signal an das Gehirn weiterleiten. Betroffene werden schwerhörig und haben meist ein leises Rauschen oder Pfeifen im Ohr.

Manchmal können sich die Stereozilien wieder aufrichten. Das Gehör erholt sich. Ist der Schaden größer oder wiederholt sich die Lärmbelästigung ständig, wird das Problem jedoch dauerhaft. „Manche Menschen glauben irrtümlicherweise, unsere Ohren würden sich an Lärm gewöhnen und ein Hörverlust sei eine vorübergehende Erscheinung“, erklärt Marianne Frickel, Präsidentin der Bundesinnung der Hörakustiker (biha). „Tatsächlich kann bei zu viel Lärm auf Dauer eine unwiderrufliche Schädigung des Innenohres entstehen. Die Folge ist eine Lärmschwerhörigkeit. Auch die Gefahr für Tinnitus steigt.“

Kein Wunder also, dass nicht nur Rockstars wie Sting, Eric Clapton und Ozzy Osbourne ganz oder teilweise taub sind. Rock- und Heavy-Metal-Konzerte entwickeln Lärmpegel von 130 dB und mehr. Auch klassische Musiker im Orchestergraben müssen rund 90 dB aushalten, ein Wert, der sogar bei extrem lauten Schnarchern gemessen werden kann. In vielen weiteren Berufen aus Industrie und Handwerk, ja sogar in Großraumbüros liegt der Lärmpegel im gesundheitsgefährdenden Bereich. Die Folge: Allein in Deutschland empfinden rund zehn Millionen Menschen ihr eigenes Hören als gemindert. Doch nur ein Drittel von ihnen trägt ein Hörgerät.

Das mangelhafte Hören hat vielfältige negative Folgen, wie etwa die Lancet Kommission, eine Gruppe renommierter internationaler Wissenschaftler, betont. Mit dem Hörverlust steigt das Risiko, dement und depressiv zu werden. Viele Schwerhörige flüchten sich in soziale Isolation, weil sie sich nicht mehr an Gesprächen beteiligen können und sich kaum noch trauen, sich in ungewohnter Umgebung zu bewegen.

Wer sein Gehör schonen und der Schwerhörigkeit vorbeugen möchte, sollte Lärm möglichst vermeiden. Am Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber laut Arbeitsstättenverordnung ab einer Lärmintensität von 80 Dezibel einen Gehörschutz zur Verfügung stellen. Hörakustikerinnen und Hörakustiker können professionellen, individuellen Gehörschutz passgenau anfertigen. Diese sogenannten Otoplastiken sitzen im Gehörgang und sind kaum spürbar. Sie filtern gesundheitsschädlichen Lärm heraus, während für den Berufsalltag wichtige Laute wie beispielsweise Stimmen hörbar und verständlich bleiben. „Lärmvermeidung heißt Gesundheitsvorsorge und trägt dazu bei, die Arbeitsfähigkeit und Lebensqualität und damit die Freude an der Arbeit möglichst lange zu erhalten“, sagt Frickel.

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