Gesunde Seele

Wenn es um Gesundheitsvorsorge geht, denken die meisten Menschen zuerst an den Körper. Doch auch die Psyche braucht Abwehrkräfte.
Illustrationen: Maria Corbi Illustration
Lena Bulczak Redaktion

Das wachsende Interesse an der Vernetzung von körperlichem und seelischem Immunsystem eröffnet für den Einzelnen ganze neue Wege, den Ausbruch von Krankheiten zu verhindern.

 

 

Ob aus einer kleinen Krise eine große wird, darüber entscheidet oftmals unser Geist. Das erfuhr ein 26-jähriger Teilnehmer einer Antidepressiva-Studie der Universität Mississippi unter voller wissenschaftlicher Betreuung. Das neue, als hochwirksam angepriesene Medikament schlug bei ihm zunächst sehr gut an. Doch nach einem Streit mit seiner Partnerin schluckte er im Affekt alle 29 Kapseln auf einmal und kollabierte mit Herzrasen und niedrigem Blutdruck. Sein Magen wurde rasch ausgepumpt, doch der Körper schien sich nicht zu erholen, auch nachdem die Ärzte ihm im Laufe von vier Stunden sechs Liter intravenöse Flüssigkeit verabreicht hatten. Das Erstaunliche: Die Kapseln enthielten gar keinen Wirkstoff. Als der Patient erfuhr, dass ihm lediglich Placebos aus Stärke und Traubenzucker verabreicht wurden, verschwanden seine Symptome innerhalb von 15 Minuten und er konnte noch am selben Abend nach Hause gehen.


Was den sogenannten Placebo-Effekt betrifft, gilt die Wirkkraft des Glaubens inzwischen als unbestritten. Darüber hinaus besteht in Fachkreisen grundsätzlich ein Konsens über die enge Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche bei der Entstehung von Krankheiten. So finden Experten immer mehr Nachweise dafür, dass nicht nur übermäßiger Stress krankmachen, sondern auch umgekehrt eine chronische oder schwere Erkrankung wie Krebs zu seelischem Leid führen kann. Psyche und Immunsystem seien derart eng miteinander vernetzt, dass potenziell jede körperliche Krankheit durch ein seelisches Ungleichgewicht ausgelöst werden könne, vermuten sogenannte Psychoneuroimmunologen, die sich unter anderem mit den Wechselwirkungen zwischen Psyche und Immunsystem beschäftigen.

 

Schlummernde Gene

 

Doch wie kommt es, dass manche Menschen Schicksalsschläge und Krisen unbeschadet überstehen, während andere verzweifeln, krank werden oder sogar daran zerbrechen? Noch kann die heilende Zunft diese Frage nicht genau beantworten. Die Psychiatrie und Psychologie sei heute da, wo die Kardiologie in den 1950er-Jahren stand, so Ronald Kessler, Professor an der Harvard Medical School, kürzlich gegenüber der britischen Zeitung The Guardian. Damals konnten die Ärzte erst aktiv werden, wenn der Patient bereits einen Herzanfall erlitten hatte. Viel interessanter sei jedoch die Frage, wie sich verhindern ließe, dass der Mensch überhaupt auf der Trage lande.
Zweifellos werden die Tendenzen von den Genen bestimmt. Allerdings sind diese bei seelischen Leiden zu höchstens 50 Prozent verantwortlich. Was Herzerkrankungen, Bluthochdruck und Infarktgefahr betrifft, deuten aktuelle Studien sogar darauf hin, dass das Risiko nur zu zehn Prozent genetisch und im Wesentlichen durch den Lebensstil bedingt ist. Klar ist inzwischen, dass einige ungünstige Prädispositionen erst dann aktiv werden, wenn ein Mensch übermäßig belastende Erfahrungen macht – wie die Trennung von einem Lebenspartner oder den Tod eines Angehörigen. In der Fachsprache heißt es, dass solche Gene methyliert ruhen. Das heißt, sie tragen eine Art Kappe. Erst, wenn das System aus dem Gleichgewicht kommt, rutscht diese Kappe ab, die Gene werden aktiviert und der Mensch wird anfällig für bestimmte Leiden.

 


Körpereigene Apotheke

 

Die gute Aussicht: Selbst wenn das Käppchen abgerutscht ist, lässt es sich eventuell wieder zurück über das Gen stülpen. So zeigte eine Studie der Freiburger Psychiatrieprofessorin Katharina Domschke, dass die Risikogene für eine Panikstörung nach einer Verhaltenstherapie oft wieder methyliert werden, sprich: in den Schlummerzustand verfallen.
Ähnlich dachten auch bereits die großen Heiler der Medizingeschichte – von Hippokrates und Galen über Paracelsus bis hin zu Rudolf Virchow. Gesundheit ist, ihnen zufolge, der natürliche Zustand. Krankheit ist für sie demnach ein Ausdruck der Überforderung, das natürliche Gleichgewicht wiederherzustellen. Schließlich hat unser Körper ständig allerhand zu tun. Bekommt das Gehirn ein Signal, dass irgendwo etwas aus dem Lot geraten ist, aktiviert es die körpereigene Apotheke. Schnittwunden heilen, Knochen wachsen wieder zusammen, Krankheitserreger werden bekämpft, absterbende Zellen erneuert – und das ganz ohne unser bewusstes Zutun.

 

Selbstheilungskräfte aktivieren

 

Doch es gibt eine Komponente der Heilung, die angesichts der rasanten Entwicklung der modernen Behandlungsmethoden über viele Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit geraten ist. Tobias Esch, Allgemeinmediziner, Neurowissenschaftler und Gesundheitsforscher, untersuchte viele Jahre lang, unter anderem in Harvard und an der Charité, wie sich die Beschwerden chronischer Krankheiten – zum Beispiel Diabetes, Asthma oder Rückenschmerzen – durch einen solchen ganzheitlichen Ansatz lindern, und in manchen Fällen sogar heilen lassen.


Jeder Patient, so Esch, kann selbst etwas zu seiner Genesung besteuern, indem er Kräfte zur Selbstheilung aktiviert. Doch wie genau kann man auf diesen Heilungsmechanismus zugreifen? Der Wissenschaftler nennt vier mögliche Strategien: positive Emotionen, regelmäßige Entspannung, gesunde Ernährung und ausreichend Bewegung. Wer Sport treibt, stärkt nicht nur die Muskeln, sondern auch die körpereigene Apotheke. Das Gehirn schüttet Botenstoffe aus, die Angst und Stress reduzieren, den Blutdruck senken und Entzündungsprozesse bremsen.

 

Risiko Schlafmangel

 

Als größter Saboteur dieser Selbstheilungskraft gilt Stress. Er versetzt den Körper in einen Ausnahmezustand, in dem das Hormon Cortisol zwar jede Menge Energie und Kraft liefert, aber gleichzeitig das Immunsystem unterdrückt. Wird die Ausnahme zur Regel, kann eine vollständige Regeneration kaum mehr stattfinden. Man wird leicht reizbar, schläft schlecht, Blutdruck und Blutzuckerspiegel steigen und auch andere Körperfunktionen können gestört sein. Bewusst wird das vielen leider erst dann, wenn sich schon die ersten Symptome bemerkbar machen – auf dem Weg in den Burn-out.


Auch negative Gedanken zählen zu den Faktoren, die Stress auslösen. Denn oft machen wir uns im Alltag Gedanken über Dinge, die entweder noch nicht eingetreten sind oder die wir nicht ändern können. Die bedrückenden inneren Bilderwelten senken die Konzentration des Abwehrstoffs Immunglobulin A, sodass Keime schlechter bekämpft werden können. Dabei scheint es laut einer aktuellen Studie der New Yorker Psychologie-Professorin Meredith Coles auch einen Zusammenhang zwischen mangelndem Schlaf und quälenden Gedankenschleifen zu geben. Demnach scheint die Fähigkeit, sich eher auf positive als negative Gedanken fokussieren zu können, bei Schlafmangel abzunehmen.


Inzwischen belegen zahlreiche Untersuchungen die Schutzwirkung eines gewissen Grundoptimismus. Beispielsweise untersuchten Forscher der Harvard Universität in einer Langzeitstudie 70.000 Frauen daraufhin, ob diejenigen mit positiven Gedanken seltener unter typischen Volkskrankheiten wie Krebs, Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder Atemwegserkrankungen litten. Das Ergebnis der von 2004 bis 2012 erhobenen Daten: Studienteilnehmerinnen mit optimistischer Grundeinstellung hatten tatsächlich ein um ein Drittel geringeres Risiko zu erkranken.

 

Widerstandskraft der Seele

 

Experten raten daher, gerade vor dem Schlafen gehen das Bewusstsein auf positive Gedanken zu lenken. Beispielsweise, indem man sich die vielen Kleinigkeiten vergegenwärtigt, für die man an diesem Tag dankbar sein kann. Oder aber, indem man die Aufmerksamkeit auf etwas richtet, das in der Zukunft Freude bereiten wird. Unter dem Schlagwort Resilienz haben Forscher inzwischen immer mehr praktische Hinweise zusammengetragen, was Psyche und Körper widerstandsfähig macht. Beispielsweise gilt Einsamkeit – anders als der Burn-out – bereits als eigenständige Krankheit bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO).


Doch bei allem Potenzial, das den wachsenden Erkenntnissen über das Zusammenspiel von Körper und Psyche entspringt, gibt es bei falscher Dosierung auch eine Nebenwirkung: Wer sich trotzdem krank und mies fühlt, könnte Gefahr laufen, sich selbst oder seiner instabilen Psyche die Schuld geben. Doch genau das wäre ein Trugschluss. Die Zusammenhänge zwischen Körper und Psyche sind komplex. Kein Mensch gleicht dem anderen und so gibt es weder einfache Wenn-Dann-Gleichungen noch sichere Strategien.


Bei allen offenen Fragen gibt es jedoch eine gute Nachricht: Seelische Widerstandskraft ist nur zum Teil genetisch bedingt und über das ganze Leben hinweg formbar. Oft wird sie mit zunehmendem Alter sogar stärker. Und so blicken viele Menschen mit den Jahren zunehmend gelassener auf die Widrigkeiten des Lebens, gerade in einer Lebensphase, die für Körper und Geist immer herausfordernder wird. ■

 

 

Vorsorge für die Seele
Wer mehr Gelassenheit gegenüber dem unvermeidlichen Stress entwickeln möchte, kann sich das von seiner Krankenkasse bezuschussen lassen. Seit 2015 sind die gesetzlichen Krankenkassen sogar dazu verpflichtet, einen Teil der Kosten zu erstatten. Zertifizierte Kurse sind die über Zentrale Prüfstelle Prävention sowie die Webseiten der einzelnen Kassen abrufbar. In Studien haben sich insbesondere die Progressive Muskelentspannung (PME) und Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) als wirksam erwiesen.

 

Selbsttest: Was macht mich glücklich?
Der innere Arzt kann unter Stress nicht gut arbeiten. Was er jedoch gerne mag, ist, wenn seine Bedürfnisse ernst genommen werden. Dabei hilft eine einfache Frage: Was macht mich eigentlich glücklich oder zufrieden? Wann immer wir Freude empfinden, geht unser Stressempfinden ganz automatisch nach unten und der Körper schaltet auf Regeneration. Ob das von der wohligen Wärme der Sauna kommt, durch das belebte Gefühl in den Muskeln nach dem Yoga oder nach einer Runde Lachen mit Freunden, ist zweitrangig. Das Wichtigste dabei ist das eigene Wohlbefinden.


Und falls sich diese Frage mitten in den Wirren des Lebens einmal nicht so leicht beantworten lässt, gibt es seit 2017 ein neues, unkompliziertes Angebot professioneller Begleitung. Psychotherapeuten müssen seitdem wöchentliche Sprechstunden anbieten, die je nach Bedarf im Anschluss auch zu einer Akutbehandlung ausgeweitet werden können, ohne dass Krankenkassen dies extra bewilligen müssten.

 

 

 

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