Hoffnung auf Remission

Forscher arbeiten fieberhaft an neuen Therapien, um den Krebs zu heilen. Eine wichtige Rolle spielt dabei das körpereigene Immunsystem.
Heilung
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Mirko Heinemann Redaktion

Im Jahr 2030 werden nach Prognosen der Weltgesundheitsorganisation WHO mehr als 21 Millionen Menschen neu an Krebs erkranken. 2012 waren es noch weltweit 14 Millionen Menschen. Auch die Zahl der Todesfälle wird steigen: Derzeit sterben etwa 8,2 Millionen Menschen pro Jahr an Tumoren, in 15 Jahren sollen es 13 Millionen sein. Krebs wird zur neuen Volkskrankheit. Die Gründe sind vielfältig: Neben dem stark anwachsenden Lebensalter der Durchschnittsbevölkerung gehört dazu der ungesunde Lebenswandel, der sich mit dem wachsenden Wohlstand weltweit durchsetzt. 

 

Kein Wunder, dass die Forschung intensiver denn je an neuen Therapien gegen Krebs arbeitet. Wundersam erscheinende Geschichten über die Heilung von Krebskranken gibt es immer wieder. So wurde etwa im vergangenen Jahr an der US-amerikanischen Mayo Clinic eine vermeintlich unheilbar an Krebs erkrankte Frau geheilt. Die 50-Jährige litt an einem drei Zentimeter großen Tumor an ihrer Stirn, einem Multiplen Myelom. Diese Krebserkrankung des Knochenmarks tritt auf, wenn Plasmazellen, die eigentlich Antikörper produzieren, bösartig wuchern. 

 

Die Patientin erhielt im Rahmen einer Studie Infusionen mit einer riesigen Dosis an abgeschwächten Masern-Viren. Das Konzept der Mediziner ging auf: Die Masern-Viren dockten am Rezeptor des Myeloms an und drangen ein. Nun erst reagierte das Immunsystem der Patientin auf die Viren. Es tötete die Viren und damit auch die Krebszellen ab. Allerdings wurde nur eine von drei Testpersonen geheilt. Bei den anderen beiden ging der Krebs zwar zurück, kehrte nach einigen Monaten aber wieder. 

 

Eine Standardtherapie lässt sich aus diesem Ausnahmefall nicht herleiten. Sie bleibt ein Wunschtraum. Immer noch heißen die klassischen Behandlungsmethoden: operative Entfernung der Tumore, Chemotherapie, Bestrahlung. Ob der Krebs zurückgeht oder gar verschwindet, hängt von vielen Faktoren ab: In welchem Stadium wurde der Krebs erkannt? Hat er gestreut? Wie schnell breitet er sich aus? 

 

Bei Krebs spricht man in der Regel nicht von Heilung, sondern von Prognosen: Wie viele Patienten überleben die nächsten fünf Jahre nach der Diagnose? Bei Brustkrebs zum Beispiel – dem häufigsten Krebs bei der Frau – hat sich durch Früherkennung und verbesserte Therapien die Prognose stark verbessert: Fünf Jahre nach der Diagnose sind bis zu 87 Prozent der betroffenen Frauen noch am Leben. Insbesondere bei Patientinnen, deren Tumor sehr früh entdeckt wurde, hat sich dieser Prozentsatz in den letzten Jahren erhöht – mehr als 90 Prozent von ihnen werden inzwischen geheilt.

 

Breitet sich der Krebs aus, ist von „Progression“ die Rede. Geht er zurück, spricht man von „Remission“. Eine Heilung ist erst mit dem „Restitutio ad integrum“, also der „Wiederherstellung der Unversehrtheit“, erreicht. Daran arbeiten Forscher mit höchster Intensität. Die Therapie mit Hilfe von Viren, die „Onkolyse“, gilt in Expertenkreisen als vielversprechend. Dabei werden Masern- oder Pocken-Viren genetisch verändert, so dass sie Krebszellen befallen. Dort vermehren sie sich sprunghaft und fressen den Tumor sprichwörtlich von innen her auf. 

»Der Wunschtraum: eine Standardtherapie gegen Krebs.«

Ist der Krebs in fortgeschrittenem Stadium und hat bereits Metastasen an anderen Stellen im Körper gebildet, wird eine Heilung immer schwieriger. Eine relativ neue Möglichkeit, diese Tumore zu behandeln, ist die so genannte „thermische Ablation“. Dabei wird direkt im Tumor ein kleines Gerät platziert, das die Umgebung mit Mikrowellen oder Laserstrahlen bestrahlt. Das Krebsgewebe heizt sich auf und verödet. In Organen wie Leber oder Lunge wird dieses Verfahren bereits erfolgreich angewandt. 

 

Bei Tumoren an der Wirbelsäule konnte die thermische Ablation bislang nicht eingesetzt werden. Ein neues, noch nicht zugelasses Verfahren, ist die so genannte „Star-Ablation“: Auch dort erhitzt ein Instrument die Metastase punktuell, so Andreas Kurth, der die ersten Studien in Europa mit diesem Verfahren durchführte. „Dann füllen wir den entstandenen Hohlraum mit einem sehr zähflüssigen Knochenzement wieder auf und stabilisieren den gefährdeten Knochen“. 

 

Auch bei der Behandlung des Prostatakarzinoms, dem häufigsten Krebs beim Mann, kommt moderne Medizintechnik zum Einsatz. Viele Operateure entfernen die Prostata mit Hilfe von Operationsrobotern, um einen möglichst präzisen Eingriff zu gewährleisten und dadurch unerwünschte Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder Errektionsstörungen zu begrenzen. An einem alternativen Verfahren zur Bekämpfung von Prostatakrebs forschen Wissenschaftler am Universitätsklinikum Freiburg. Sie wollen einen bakteriellen Giftstoff, ein Immuntoxin, in die Prostatakrebszellen einschleusen, der sie von innen zerstört. 

 

Ein viel versprechender Forschungsansatz ist die Immuntherapie (siehe auch das Interview auf Seite 4). Die Forscher versuchen, über die Signalwege an die Krebszellen heranzukommen. Dort regeln so genannte Immun-Checkpoints, wie die Befehle weitergeleitet werden: etwa, dass Zellen sich teilen und wachsen sollen – oder absterben. Bei Krebszellen verändern sich diese Weichen aufgrund von Mutationen der DNA und lassen zu oft den zerstörerischen Wachstums-Befehl durch. Hier setzt man auf eine Blockade dieser Immun-Checkpoints. Diese natürliche Bremse der Immunantwort ist bei gesunden Menschen sinnvoll, damit die T-Zellen des Immunsystems kein gesundes Gewebe angreifen. Durch die Blockade dieser Schlüsselmoleküle durch einen so genannten Checkpoint-Inhibitor kann diese Bremse gelöst werden und eine verstärkte Immunreaktion gegen die Tumorzellen ermöglicht werden. 

 

Dazu muss man die genetischen Veränderungen der Krebszellen kennen. Um sie zu katalogisieren, haben Wissenschaftler 2008 das Internationale Krebsgenomprojekt (ICGC) gegründet, an dem inzwischen 70 Staaten teilnehmen. Und im vergangenen Jahr hat die britische Regierung ein eigenes Krebs-Gen-Programm aufgelegt. Bis zum Jahr 2017 sollen etwa 100.000 DNA-Sequenzen entschlüsselt werden. Der Kampf gegen den Krebs geht weiter.

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