Bewegung gegen böse Zellen

Lange Zeit rieten Mediziner Krebspatienten davon ab, Sport zu treiben. Inzwischen hat die Wissenschaft bewiesen, dass sportliche Aktivität ein wichtiges Hilfsmittel im Kampf gegen Tumore ist.

Illustration: Dominika Kowalska
Illustration: Dominika Kowalska
Andrea Hessler Redaktion

Die Sonne Südfrankreichs brennt auf die Via Tolosana bei Arles, einem bekannten Jakobsweg. Wanderer bewegen sich in mäßigem Tempo vorwärts. Es herrscht eine kontemplative Stimmung. Bei einigen erkennt man, dass sie unter Hüten und Tüchern keine Haare haben. Sie sehen geschwächt aus, aber trotzdem wohlgemut. Immer wieder bleiben sie stehen, trinken aus ihren Wasserflaschen, rasten im Schatten von Bäumen. Es sind Krebspatienten. Sie haben anstrengende Therapien hinter sich. Auf den Spuren von Pilgern früherer Zeiten wollen sie Geist, Körper und Seele heilen. Sie sind auf einer Wanderung zu ihrem neuen, gesünderen Selbst.

Einer der Erfinder dieses ganzheitlichen Konzepts, das intensive Bewegung in die Krebstherapie integriert, ist der Sportwissenschaftler Freerk Baumann. Er erkannte, wie hilfreich es ist, ergänzend zu Operationen und Chemotherapie auch die Psyche und das Immunsystem der Krebskranken zu stärken. Es sei wichtig, dass sie erkennen würden, dass sie Herausforderungen doch noch meistern könnten, betont Baumann.

Heutzutage ist die Sport- beziehungsweise Bewegungstherapie aus der Onkologie nicht mehr wegzudenken. Doch lange Zeit war der Einsatz von körperlicher Aktivität als rehabilitative oder präventive Maßnahme bei Krebspatienten sehr umstritten, wie der Deutsche Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie (DVGS) betont. „Die meisten Ärzte und Fachkräfte empfahlen ihren Krebspatientinnen und -patienten Schonung und Ruhe, nicht zuletzt, weil die wissenschaftliche Evidenz für eine andere Empfehlung nicht gegeben war. Zudem herrschte die Angst vor, die Bewegung könne eine Metastasierung begünstigen“, erklärt Angelika Baldus, die Geschäftsführerin des DVGS, die Fehleinschätzung früherer Zeiten.

Das änderte sich erst Anfang der Achtzigerjahre. Die Deutsche Sporthochschule Köln und der Landessportbund Nordrhein-Westfalen etablierten ab 1980 die ersten Krebsnachsorge-Sportgruppen für Frauen nach Brustkrebs. Inzwischen gibt es bundesweit mehr als 1.700 Krebssportgruppen und zahlreiche neue Initiativen. „Für diese Entwicklung war die steigende wissenschaftliche Evidenz maßgeblich“, erläutert Baumann, der inzwischen die AG Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie der Uniklinik Köln leitet. „Inzwischen sind etwa 800 randomisierte, kontrollierte Studien publiziert, die die positive Wirkung der Sport- und Bewegungstherapie in der Onkologie belegen“, so Baumann.

„Die Studienlage ist eindeutig. Krebspatienten können vor, während und nach einer onkologischen Behandlung von einer gezielten Bewegungstherapie profitieren“, bestätigt Joachim Wiskemann, der die AG Onkologische Sport- und Bewegungstherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg leitet. Bewegung könne eine Vielzahl von krebsbezogenen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Angstzustände, depressive Symptome, Müdigkeit und Lymphödeme lindern und die Lebensqualität positiv beeinflussen.

Trotzdem gibt es in Deutschland nach wie vor kein flächendeckendes Bewegungsangebot für Krebspatienten in der Nachsorge. Deshalb hat das NCT Heidelberg in Zusammenarbeit mit dem DVGS das „Netzwerk OnkoAktiv“ initiiert. Es unterstützt Patienten bei der Suche nach einem wohnortnahen, zertifizierten sport- und bewegungstherapeutischen Angebot. Den Jakobsweg können sie dann immer noch erwandern.

 

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