Frau Dr. Schilling, wie unterscheidet sich Fatigue von normaler Müdigkeit?
Fatigue ist eine Erschöpfung, die weit über normale Müdigkeit hinausgeht: Die Müdigkeit bei Fatigue-Patient:innen ist dauerhaft vorhanden und tritt oft ohne körperliche oder geistige Anstrengung auf. Während gesunde Menschen sich durch Ruhe oder Schlaf erholen können, bleibt Fatigue trotz solcher Erholungsphasen bestehen. Die betroffenen Menschen wachen also ebenso müde auf, wie sie ins Bett gegangen sind.
 
Welche Auswirkungen hat Fatigue auf das Leben von Patient:innen mit Brustkrebs?
Da diese Erschöpfung und Müdigkeit immer vorhanden sind, ist der gesamte Alltag der Patient:innen stark betroffen. Beispielsweise kann jemand, der immer der Macher in der Familie gewesen ist, diese Rolle nicht mehr ausüben, weil er ständig an seine Grenzen stößt. Ähnlich ist es im Berufsleben: Viele Patient:innen sind nicht mehr acht Stunden leistungsfähig und müssen daher Verantwortlichkeiten abgeben.
 
Wie können digitale Anwendungen wie Untire Patient:innen helfen, besser mit der Fatigue umzugehen?
Durch die Untire-App lernen die Patient:innen zum einen viel über ihre Fatigue. Beispielsweise, dass es sich dabei um keine Einbildung handelt, sondern um eine reale Folge der Erkrankung und der Therapie. Die App ermöglicht auch regelmäßige Energiemessungen, die es den Patient:innen erleichtern, zu erkennen, welche Verhaltensweisen, Gedanken oder Symptome ihr Energieniveau beeinflussen. Zum zweiten bietet die App Übungen zur Stressbewältigung und zum Aufbau von Kraft und Kondition.
Entscheidend bei der Fatigue-Therapie ist die Kombination aus Wissen, Bewegung und Achtsamkeit. Sport und Bewegung wirken sich sehr positiv auf Fatigue aus. Aber Joggen allein hilft nicht. Auch der Kopf muss mitgenommen werden – etwa durch Achtsamkeits- und Entspannungsübungen. Und das können die Patient:innen mithilfe dieser App lernen.
 
Welche Erfahrungen haben Sie und Ihre Patient:innen mit Untire gemacht?
Bei der Studie, an der wir teilgenommen haben, erhielt die eine Hälfte der Patient:innen die App sofort, die andere Hälfte erst nach drei Monaten. Ich habe die Abschlussgespräche mit den Patient:innen geführt – und dabei war der Unterschied deutlich spürbar. Schon wenn sich jemand am Telefon meldete, war an der Stimme oft sofort klar erkennbar, ob die Person die App von Anfang an genutzt hatte oder noch darauf wartete.
 
Wie reagieren Ihre Patient:innen auf digitale Unterstützung?
Am Anfang gibt es oft eine gewisse Skepsis, der der Gedanke zugrunde liegt: „Wie soll eine App mir helfen können?“ In solchen Fällen ist es wichtig, den Patient:innen überzeugend zu vermitteln, dass sie durch die Übungen und die Informationen besser mit der Fatigue zurechtkommen werden. Und wenn die Partient:innen das dann wirklich regelmäßig praktizieren, dann merken sie selber sehr schnell den Erfolg – schon nach etwa vier Wochen.
 
Welche Rolle werden digitale Gesundheitsanwendungen künftig bei der Krebsnachsorge spielen?
Eine sehr große Rolle. Einfach weil Angebote wie eine psychotherapeutische Betreuung nicht flächendeckend verfügbar sind. Das Smartphone mit der App dagegen hat man immer in der Tasche stecken. Das unterstützt unsere Nachsorge. Und es bietet den Patient:innen eine unheimlich große Chance, Methoden, die sie bei uns in der Reha lernen, dann auch weiter zu verfolgen. Ich bin daher überzeugt, dass für die Zukunft der Krebsnachsorge digitale Lösungen eine entscheidende Bedeutung haben werden.
untire.app/de
 
 
       
 
 
