Herz über Kopf – oder umgekehrt?

Die menschliche Psyche hat Einfluss auf unsere wichtigsten Organe, darunter das Herz. Umgekehrt können Herzproblem starken Stress auslösen. Gewusst wie, lässt sich die Psyche gezielt für ein gesundes Leben einsetzen.

Illustration: Merle Piroli
Illustration: Merle Piroli
Julia Thiem Redaktion

Es fühlt sich fast an wie ein Herzinfarkt, ist aber keiner. Wer unter einer Takotsubo-Kardiomyopathie leidet, hat die klassischen Symptome: Brustschmerzen, Atemnot oder starkes Herzklopfen. Umgangssprachlich wird das Takotsubo-Syndrom, kurz TTS, auch „Broken-Heart-Syndrom“ genannt, weshalb sich jeder, der schon einmal starken Liebeskummer hatte, auch sofort angesprochen fühlt. Tatsächlich ist TTS jedoch eine seltene Erkrankung, die in einer Akutphase auch lebensbedrohlich sein kann. Die Assoziation mit dem gebrochenen Herzen rührt eher daher, dass TTS durch starken Stress oder eine psychische Belastungssituation ausgelöst werden kann – und beides verursacht Liebeskummer definitiv. 

Tatsächlich sind die Zusammenhänge im Körper jedoch deutlich komplexer, wie nun ein internationales Forscherteam unter Federführung der Ruhr-Universität Bochum im Rahmen einer aktuellen Studie zeigen konnte. „Wir haben bereits in einer früheren Untersuchung feststellen können, dass Patientinnen und Patienten mit TTS häufig eine abnorme Schilddrüsenfunktion aufweisen“, sagt Studienleiter Dr. Assem Aweimer, Oberarzt der Klinik für Kardiologie und Angiologie am BG Universitätsklinikum Bergmannsheil. In ihrer aktuellen Studie konnten sie nun die Folgen einer derart entgleisten Schilddrüse für TTS nachweisen. Das Ergebnis: Die Wechselwirkung zwischen Schilddrüse und Herz hat deutliche Auswirkungen auf die Sterblichkeit bei TTS. Entsprechend können Schilddrüsenhormone zu einem wichtigen Marker für das Broken-Heart-Syndrom werden.
 

SCHILDDRÜSENHORMONE: ENERGIELIEFERANTEN FÜR DAS GEHIRN


Schaut man sich die Funktion der Schilddrüse einmal genauer an, wird der Zusammenhang zwischen diesem kleinen, so wichtigen Organ, dem Herz-Kreislauf-System und der Psyche relativ schnell deutlich. Denn die in der Schilddrüse produzierten Hormone steuern nicht nur eine Vielzahl organischer Vorgänge wie den Kreislauf, die Verdauung oder das Wachstum, sie aktivieren auch den Stoffwechsel der Nervenzellen und in Teilen die Gehirnaktivität. 

Bei einer Schilddrüsenüberfunktion, der sogenannten Hyperthyreose, schießen die Hormone quasi über, was bei den Betroffenen Herzrasen, Schwitzen, aber auch hohe Nervosität verursacht. Bei der Hypothyreose, also einer Schilddrüsenunterfunktion, bekommt das Gehirn hingegen zu wenig Futter, was bei Patienten zu depressiven Verstimmungen, Müdigkeit und einem stark verlangsamten Herzschlag führen kann. Menschen sind in der Lage, ihren Herzrhythmus und auch die eigene psychische Verfassung bewusst wahrzunehmen. Für unsere Schilddrüse fehlt hingegen ein Gefühl, weshalb wir die Verbindung zwischen Herz und Psyche herstellen und daher immer wieder in den Fokus rücken. Erklärungen zur Bedeutung der Schilddrüse in diesem sensiblen Konstrukt müssen wir hingegen Forschern und Mediziner überlassen.
 

»Schilddrüsenhormone können zu einem wichtigen Marker beim Broken-Heart-Syndrom werden.«

Illustration: Merle Piroli
Illustration: Merle Piroli

HERZBESCHWERDEN VERURSACHEN STRESS


Dass zwischen Herz und Psyche dennoch eine besondere Verbindung besteht, zeigen zahlreiche Redewendungen wie „Hör auf dein Herz“, „von ganzem Herzen“ oder das berühmte Zitat aus dem Buch „Der kleine Prinz“ – „Man sieht nur mit dem Herzen gut“. Wir verbinden vor allem Liebe mit diesem zentralen und lebenswichtigen Organ und spüren Stress sofort an unserer Atem- und Herzfrequenz, vielleicht auch an einer Enge in der Brust. Umgekehrt können jedoch auch Herzerkrankungen starken Stress auslösen.

Stellen Sie sich vor, Sie haben immer wieder Herzrasen, in Schüben, und wissen nie, wann der nächste Anfall auftritt. Was das für eine große psychische Belastung sein muss, kann man sich ungefähr vorstellen. Für Menschen mit dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom ist das gelebte Realität. Eine angeborene Herzanomalie sorgt für schlagartige und scheinbar grundlose Anfälle. Zum Glück handelt es sich bei dem WPW-Syndrom ebenso um eine verhältnismäßig seltene Erkrankung, die für die Betroffenen jedoch zur psychischen Belastungsprobe wird.
 

HERZ UND HIRN IM GLEICHKLANG


Die besonders enge Beziehung zwischen Herz und Psyche hat aber auch einen unschlagbaren Vorteil: Sobald wir uns der Macht über unsere körperliche Gesundheit bewusst werden, können wir die Psyche aktiv dafür einsetzen. Denn auch das zeigen Studien immer wieder: Unsere psychische Gesundheit hat großen Einfluss auf die Herzgesundheit und kann das Risiko von Schlaganfällen und anderen Erkrankungen erheblich reduzieren. 

So hat beispielsweise der DAK-Gesundheitsreport schon 2022 gezeigt, dass jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland aufgrund von Depressionen, Angststörungen oder arbeitsbedingtem Stress ein erhöhtes Risiko für Herzerkrankungen hat. Depressionen steigern das Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung sogar um über 50 Prozent, womit sie zu einem höheren Risikofaktor werden als Übergewicht oder zu hohe Cholesterinwerte. 

Damit ist klar: Wer sich um seine psychische Gesundheit kümmert, tut dem Herzen etwas Gutes. Und gut ist in einer hektischen, schnelllebigen Welt, was Stress reduziert. Wer Smartphone, PC oder Tablet also einfach mal ausschaltet und einen Spaziergang im Wald macht, stärkt indirekt das Herz. Auch Meditations-, Atem- oder Dankbarkeitsübungen können dabei helfen, den Alltag besser zu verarbeiten. Genauso wichtig sind Auszeiten, in denen man auch für den Chef oder die Kollegen nicht erreichbar ist.
 

GESUNDER LEBENSSTIL, GESUNDE PSYCHE


Genauso wichtig ist es aber auch, etwas für einen gesunden Körper zu tun, damit Herz und Hirn im gleichen Takt schlagen. Das heißt, ausreichende Bewegung, gesundes Essen sowie genügend und vor allem erholsamer Schlaf sind für die Herz-Hirn-Balance mindestens genauso wichtig. Wobei auch hier die beiden Organe natürlich nicht die einzigen mit einer engen Verbindung sind. Mittlerweile wissen wir, dass das, was wir essen, einen erheblichen Einfluss auf die Diversität unserer Darmbakterien hat. Und ihre möglichst breite Zusammensetzung ist wiederum in einem wesentlichen Ausmaß für unser psychisches Wohlbefinden verantwortlich. Wie stark auch diese Darm-Hirn-Achse ist, zeigen Versuche an Mäusen. Dafür wurde Tieren ohne Darmmikrobiom das Mikrobiom von ängstlichen Mäusen übertragen, woraufhin diese ebenfalls ängstlich wurden. 

Wenn also das nächste Mal jemand sagt: „Hör auf dein Herz“, kann das beispielsweise bedeuten, einen Großeinkauf beim Gemüsehändler zu machen, den um Hülsenfrüchte und Nüsse zu ergänzen und im Internet nach leckeren neue Rezepten Ausschau zu halten. Denn Abwechslung und reichlich Ballaststoffe lieben die Darmbakterien. Und haben die gute Laune, haben wir gute Laune und dann schlägt vielleicht sogar unser Herz ein wenig höher – im positiven Sinne natürlich. Denn Liebeskummer gilt es tunlichst zu vermeiden. Der ist einfach zu viel Stress – egal für welche Achse.

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Medizin
Dezember 2023
Illustration: Stephanie Hofmann
Redaktion

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