Kampf gegen das Vergessen

Obwohl ein wirksames Medikament gegen Alzheimer noch immer nicht in Sicht ist, macht man Fortschritte im Bereich Prävention.
Illustrationen: Daniel Balzer
Klaus Lüber Redaktion

Zuerst die schlechte Nachricht. Gegen Alzheimer, mit rund 1,2 Millionen Erkrankten und steigenden Fallzahlen einer der Top-Volkskrankheiten in Deutschland, gibt es weiterhin kein wirksames Medikament. Entgegen regelmäßiger hoffnungsvoller Meldungen, nun sei endlich eine Substanz gefunden worden, die diese verheerende Form der Hirnalterung aufhalten oder gar rückgängig machen konnte, scheitern bislang alle Arzneimittelkandidaten an der Zulassung. Erst kürzlich musste das Unternehmen Biogen, das seit 2017 zusammen mit dem japanischen Unternehmen Eisai einen Wirkstoff zur Antikörpertherapie von Alzheimer testete, die Studien abbrechen. Forscher sprachen von einem Desaster.


Noch ist unklar, warum es so schwer ist, gegen das Leiden pharmakologisch wirksam vorzugehen. Möglicherweise ist es die Komplexität der Alzheimerschen Krankheit, die einen Durchbruch in der Therapie des Leidens bislang verhindert hat. Als ein Auslöser gilt die veränderte Konzentration zweier wichtiger Neurotransmitter, Acetylcholin und Glutamat. Während Acetylcholin bei Erkrankten in zu geringer Dosis vorhanden ist, herrscht ein Überangebot an Glutamat, das eine Dauererregung von Nervenzellen bewirkt und diese in der Folge schädigt. Eine wichtige Rolle scheinen auch Eiweiß-Ablagerungen, sogenannte Plaques, zu spielen, die sich an Nervenzellen ablagern und deren Funktion stören. Wie genau aber alle diese Faktoren zusammenspielen, ist noch nicht bekannt.


Dennoch gibt es auch eine gute Nachricht. Denn obwohl die molekularen Mechanismen weiterhin nicht ausreichend entschlüsselt sind, gibt es Fortschritte auf einer anderen Ebene. Vor Kurzem veröffentlichte die WHO ein umfangreiches Paper mit neuen Erkenntnissen zur Risikoprävention von Alzheimer. Darin werden eine Vielzahl von Handlungsanleitungen präsentiert, sortiert nach wissenschaftlicher Evidenz, also der in Studien belegten Wirkung.


Ganz oben steht dabei die körperliche Aktivität, wobei die Art der Bewegung weniger ausschlaggebend ist als die Dauer. Wer sich mindestens 150 Minuten pro Woche bewegt, so die Experten, reduziere das Risiko einer Erkrankung signifikant. Der Grund für die positive Wirkung von Sport liegt in der vermehrten Produktion von nützlichen Hormonen und Wachstumsfaktoren. Zu den bekanntesten zählt ein Protein namens BDNF, das im Hippocampus wirkt, einer Region, die für die Gedächtnisbildung eine wichtige Rolle spielt.


Einen ebenfalls großen Einfluss auf den Alterungsprozess im Gehirn habe laut WHO-Experten der Blutdruck. Hirnaufnahmen von mehreren hundert Probanden in einem Durchschnittsalter von knapp 40 zeigen: Das Gehirn von Menschen mit Bluthochdruck (ab etwa 140/90 mmhg) altert schneller. Im Magnetresonanztomografen sieht es dann so aus wie das Gehirn mehrere Jahre älterer, gesunder Studienteilnehmer. Ebenso eindeutig fällt der Befund beim Thema Rauchen aus. Davor wird nachdrücklich gewarnt, offenbar haben ältere Raucher ein höheres Risiko für krankhafte Alterungsprozesse des Gehirns, was mit der nachweislich schädlichen Wirkung von Tabak auf Blutgefäße zusammenhängt.


Schon eine 2015 am Karolinska Institutet in Finnland durchgeführte und im US-Magazin Lancet veröffentlichte Studie belegte den positiven Einfluss einer gesunden Lebensführung auf die Entwicklung des Gehirns. Dabei wurden rund 1300 Menschen zwischen 60 und 77 Jahre beobachtet, die wegen gesundheitlicher Probleme leicht erhöhtes Demenzrisiko aufwiesen. Eine Hälfte der Teilnehmer lebte zwei Jahre ausgesprochen gesund, mit zucker- und fettarmer Ernährung, wenig Alkohol, Ausdauersport, Krafttraining und Entspannungsübung.


Bei abschließenden Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit schnitten Teilnehmer dieser Gruppe signifikant besser ab als Teilnehmer aus der Kontrollgruppe, die kein besonderes Gesundheitsprogramm absolviert hatten. Die Ergebnisse belegten, so fassen die Studienleiter, die Geriaterin Miia Kivipelto und der Psychologe Krister Håkansson, zusammen, „dass eine Kombination aus gesünderer Ernährung, Sport, geistiger und sozialer Förderung sowie der Kontrolle möglicher Herz-Kreislauf-Probleme die kognitive Leistungsfähigkeit von über 60-Jährigen deutlich verbessern kann.“


Ebenfalls zu einer gesunden Lebensführung gehört ausreichender Schlaf. Von dessen wichtiger Rolle in der Prävention von Alzheimer weiß man seit 2013. In diesem Jahr entdeckte die dänische Neurobiologin Maiken Nedergaard das sogenannte glymphatische System im Gehirn. Es ist dafür verantwortlich, abgenutzte Proteinmasse abzutransportieren, rund sieben Gramm täglich produziert das Gehirn. Funktioniert dieses Reinigungssystem nicht reibungslos, häufen sich die Strukturen im Gehirn an und erhöhen das Risiko für neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer.


In Zusammenarbeit mit Forschern aus den USA identifizierten Nedergaard und ihr Team eine Art Passage von den Blutgefäßen des Gehirns zum Lymphsystem, über welche die Eiweiße abtransportiert werden. Im Schlaf, so zeigte sich, weitet sich diese und das glymphatische System funktioniert besonders reibungslos. Anscheinend ist dieses Reinigungssystem nicht nur für die Beseitigung des Beta-Amyloid-Proteins verantwortlich, aus dem sich die sogenannten Plaques bilden, die den Raum zwischen den Gehirnzellen verstopfen. Es gibt sogar Hinweise, dass die in den Zellen anfallenden Tau-Fibrillen, kleine Bündel aus fehlerhaftem Tau-Protein, mit abtransportiert werden. Beide Strukturen gehören zu eindeutigen Charakteristika einer Alzheimer-Erkrankung.


Natürlich wird die medizinische Forschung auch weiterhin mit Hochdruck daran arbeiten, der Krankheit auch auf molekularer Ebene zu begegnen. Aktuell wird etwa darüber diskutiert, ob es möglich wäre, den Körper mittels einer Art Impfung auf die effektive Beseitigung der genannten Eiweiß-Reste aus Beta-Amyloid und Tau zu trainieren. Allerdings ist – Stand heute – noch nicht einmal geklärt, ob es sich bei den Plaques oder Fibrillen um Auslöser oder lediglich Symptom der Krankheit handelt.

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