»Jeder hat es selbst in der Hand«

Sport und gesunde Ernährung spielen bei der Prävention von Volkskrankheiten eine wichtige Rolle. Martin Halle vom Zentrum für Prävention und Sportmedizin der TU München erläutert die Zusammenhänge.
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Illustration: Maria Martin
Interview: Gunnar Leue Redaktion

Herr Professor Halle, für viele Menschen sind Krankheiten im Alter die größte Zukunftssorge überhaupt und sie hoffen auf neue Heilungsmethoden. Sie sagen: Die Zukunft der Medizin liegt in der Vorbeugung, nicht in der Heilung?

 

Absolut. Sicher gab es in den vergangenen zwanzig Jahren viele Innovationen vor allem auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch im Bereich der Krebserkrankungen, aber man stößt auch an Grenzen der Heilungsmöglichkeiten. Dagegen kann man mit Prävention sehr viel mehr erreichen. Letztlich geht es uns allen doch um Lebensqualität. Und für die bringt es weniger, wenn man 90 statt 85 Jahre alt wird und sich mit Krankheiten herumplagt, als wenn man in seinem aktiven Leben mit 75 bis 80 noch topfit ist. Wenn Letzteres das Ziel ist, dann steht die Prävention besonders im Fokus, weil man es mit wenigen Mitteln selbst in der Hand hat, das Risiko von so genannten Volkserkrankungen zu senken.

 

Das ist ja keineswegs unbekannt, nur gibt es keine Pille gegen Bequemlichkeit. 

 

Ja, eine gesunde Lebensweise einzuhalten, ist für viele nicht ganz einfach, weil man sich oft in einem Spinnennetz aus schlechten Gewohnheiten verheddert. Das tägliche Zähneputzen ist für die meisten in den Tagesablauf integriert, bei anderen Dingen – mit dem Fahrrad zur Arbeit oder an der Mittagstheke im Unternehmen das Richtige auswählen – sieht es bekanntlich anders aus. 

 

Die größte Hürde ist oft der innere Schweinehund. Gibt es einen Trick, wie man sie leichter nehmen kann?

 

Am besten nicht allein gegen den Schweinehund kämpfen, sondern andere mitkämpfen lassen. Wenn man abends kaputt nach Hause kommt: sich nicht einfach vor den Fernseher setzen, sondern zum Beispiel mit der Ehefrau bei einem Spaziergang den Tag Revue passieren lassen und sich austauschen und Dinge des Alltags besprechen. Oder man verabredet sich mit einem Freund oder einer Freundin zum Joggen. Wenn man andere in sein Tun involviert, kann man dem inneren Schweinehund nicht so leicht nachgeben. 

 

Ist Teamsport also besser als Einzelsport?

 

Das ist bei jedem unterschiedlich. Manche joggen lieber allein im Wald, um ihre Gedanken zu fassen, andere sind lieber mit Kumpel zusammen. Im Wald schaut natürlich kein Eichhörnchen, ob ich auch regelmäßig laufe, so dass ich mich motiviert fühle, mich zum Laufen zu überwinden.

 

Bringt ganz wenig Sport treiben auch schon etwas? 

 

Wichtig ist die Regelmäßigkeit, da reichen kleine Einheiten. Eine Viertelstunde Laufen am Tag bringt schon sehr viel für die Gesundheit. Wenn man jeden Tag 30 Minuten spazieren geht, wird das Herzinfarktrisiko schon um 80 Prozent gesenkt. Als Marathonläufer kommen vielleicht noch mal fünf Prozent dazu. Im unteren Aktivitätsbereich kann somit am meisten für die Gesundheit herausgeholt werden. Der größte Effekt ergibt sich bei Leuten, die vom Couch Potato zu täglichen Spaziergängern von 30 Minuten werden. Kurze Bewegungseinheiten führen bereits zu einem veränderten Körpergefühl. Und das wiederum führt dazu, dass man sich irgendwann sagt: Jetzt esse ich doch mal etwas Gesünderes, als irgendetwas Wahlloses aus dem Kühlschrank. Man spürt auch eine mentale Veränderung.

 

Welche Sportarten helfen am besten gegen welche Volkskrankheiten? 

 

Den größten Nutzen hat das Ausdauertraining, etwa Nordic Walking, Laufen oder Radfahren, vor allem im Hinblick auf chronische Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurologische Erkrankungen wie Demenz, Alzheimer und Parkinson sowie die Krebserkrankungen Brust- und Darmkrebs. Die chronischen Erkrankungen machen ja 70 bis 80 Prozent unserer späteren Alterskrankheiten aus. Wenn es um das Skelettsystem geht, zum Beispiel Rückenbeschwerden, dann sind Dehn- und Kraftübungen wichtig, gepaart mit Entspannungs- und Koordinationsübungen. Je älter man wird, umso mehr Kraft und Koordination werden notwendig. Natürlich kann das Risiko für die chronischen Erkrankungen nie auf Null reduziert werden. 

 

Bewegung und Ernährung stehen in einer Wechselwirkung. Kann man sagen, welchem Faktor höhere Priorität zukommt?  

 

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Ernährungsweise der Bewegungsarmut in der Bedeutung untergeordnet ist. Es ist also wesentlich schlechter, wenn man sich nicht viel bewegt als wenn man sich nicht richtig ernährt, wobei jetzt nicht völlig ungesund gemeint ist. Gelegentlich ein Bier trinken, aber regelmäßig sportlich aktiv sein, das ist kein Problem. Körperliche Aktivität – gerade jenseits des 40. Lebensjahres – ist das A und O zur Vorbeugung von Krankheiten und nicht, ob man sich zum Beispiel vegetarisch oder zuckerfrei ernährt. Das beweist auch die wissenschaftliche Datenlage, die beim Thema Bewegung viel aussagekräftiger ist als beim Thema Ernährung. 

 

Wo ist die Grenze zum Fitnesswahn?

 

Alles über eine Stunde körperliches Training täglich hat nicht mehr viel mit Prävention und Gesundheit zu tun. Es gibt Untersuchungen, wonach das Risiko für chronische Erkrankung bei mehr als einer Stunde Sport nicht weiter sinkt. Andere Studien besagen, dass es sogar – zwar gering – ansteigt. 

 

Sollte sich, wer seinen Lebensstil ändern will, ärztlich beraten lassen oder nach der Faustregel handeln: bisschen Sport, bisschen weniger Essen? 

 

Ich bin absolut dafür, sich professionellen Rat einzuholen. Natürlich nicht, wenn man ein bisschen mehr walken will, aber gerade die Unfitten, Mitte Vierzig und vielleicht noch mit Übergewicht, die zwanzig Jahre lang nicht auf ihre Gesundheit geachtet haben. Wenn sie plötzlich beschließen, ihr Leben zu ändern, sollten sie vorher ihr Herzkreislaufsystem und ihren Blutdruck kontrollieren lassen, weil zum Beispiel die Blutdruckwerte in dieser Altersgruppe unter Belastung noch mal stärker ansteigen. Wichtig sind kleine Schritte und realistische Hürden, die übersprungen werden können und motivieren, die nächste Stufe zu nehmen. Viele Menschen haben gar keine Vorstellung, was sie überhaupt noch alles schaffen können. Und die Erfahrung zeigt, dass ein konsequentes Bewegungsprogramm innerhalb von zehn Wochen dramatisch positive Effekte hat. 

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