Die Digitalisierung der Kliniken

Die Krankenhäuser der Zukunft sind dank Telematik mit niedergelassenen Ärzten, Apotheken und Therapeuten vernetzt.
Illustrationen: Dieter Flüggen by Marsha Heyer Illustratoren
Illustrationen: Dieter Flüggen by Marsha Heyer Illustratoren
Andrea Hessler Redaktion

Im Fernsehen sind Krankenhausärzte unfehlbare Medizin-Stars. Ob George Clooney als Lebensretter im Dauerbrenner „Emergency Room“ oder Hugh Laurie als Diagnostik-Genie Dr. Gregory House in der Serie „House“ – Kliniken sind faszinierende Schauplätze für zahlreiche Folgen von Herz und Schmerz mit fast immer genesenden Patienten. Dennoch ist das Image von echten Kliniken verbesserungswürdig.


Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse Halle (KKH) von 2019 hat ergeben, dass rund ein Drittel der deutschen Frauen und ein Viertel der Männer Angst vor einem stationären Klinik-aufenthalt haben. Als Ursachen für ihre Bedenken nannten die Befragten unter anderem die Gefahr durch Krankenhauskeime, durch Komplikationen bei der Narkose und die Furcht, dass der Operateur das OP-Besteck im Körper vergessen könnte.


Dramatisiert wurde die Entwicklung durch Corona. Immer mehr mit dem tückischen Covid-Virus infizierte Patienten liegen auf Intensivstationen, teilweise werden die Betten und vor allem Pflegekräfte, viele von ihnen selbst erkrankt, knapp. Was also tun? Eine der effizientesten Möglichkeiten, die knappen Ressourcen bestmöglich einzusetzen ist, Patienten statt stationär lieber unter Aufsicht zuhause zu überwachen.


Technisch möglich ist dies schon seit längerem. Smartphone und Wearables, also Mini-Computer, die am Körper getragen werden (zum Beispiel Fitnessarmbänder), kontrollieren mittels spezieller Apps Körperfunktionen und Fitness. Inzwischen werden derartige Systeme auch für die Fernüberwachung von Patienten mit mittelschweren bis schweren chronischen Erkrankungen eingesetzt. So bietet etwa die CompuGroup Medical (CGM) Kliniken und sozialen Einrichtungen das H&S Telemonitoring System an. Es kontrolliert lebenswichtige Körperfunktionen und Gesundheitswerte wie die Sauerstoffsättigung des Blutes, Puls, Blutdruck und Körpertemperatur. Das System ermöglicht es zum Beispiel, Covid-19-Patienten früher von der Klinik in die häusliche Pflege und Quarantäne zu entlassen.


Die Pläne für ein vernetztes Gesundheitswesen gehen weit darüber hinaus. Ziel ist die Vernetzung aller Medizin-Akteure. Teil dieses Großprojekts, das unter dem Label Telematik läuft, werden Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren, Krankenhäuser, Apotheken, ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen, Physiotherapeuten, Hebammen und Krankenkassen. Sie sollen über diverse Datenautobahnen vernetzt werden – hochsicher und zum Wohle der Patienten, wie die beteiligten IT-Unternehmen und Projektmanager betonen. Verantwortlich für das Projekt Telematik ist die gematik GmbH. Sie wurde im Jahr 2005 von den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens gegründet und hat den gesetzlichen Auftrag, die Weiterentwicklung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und ihrer Infrastruktur in Deutschland voranzutreiben.  

 

»Im intelligenten Krankenhausbett ist ein Sensor integriert, sodass jederzeit sein Standort abrufbar ist.«


Laut Bundesgesundheitsministerium ist die Telematik-Infrastruktur, kurz TI, das größte IT-Projekt der Welt und Teil eines zukunftsweisenden Gesundheitssystems. Doch bisher verläuft das Projekt eher holprig – sowohl Teile der Ärzteschaft als auch Verbraucherschützer beklagen den fehlenden Schutz von Patientendaten. Der Chaos Computer Club, der immer wieder für unliebsame Überraschungen in puncto Datensicherheit sorgt, entdeckte unsichere Abschnitte in der Telematik-Infrastruktur; sie biete, so die Profi-Hacker, verschiedene leicht zugängliche Einfallstore für Missbrauch. Anders Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Er sagte: „Die Telematik-Infrastruktur ist sicher.“ Er habe die Hacker aufgefordert, die Datenautobahn möglichst oft anzugreifen, um ihre digitale Sicherheit weiter zu erproben.


Auch wenn das Projekt Telematik noch gewisse Schwächen aufweist, überwiegen doch seine Vorteile. Ein Beispiel: Viele Patienten nehmen vor ihrer Aufnahme in die Klinik täglich mehr als fünf verschiedene Medikamente ein. Häufig wissen weder sie selbst noch die Klinikärzte, wie die Medikation genau aussieht und wie sie wirkt. Dies ist ein Ergebnis des Arzneimittelreports der Barmer Ersatzkasse aus dem Jahr 2020. Werden diese Mittel plötzlich abgesetzt oder mit weiteren Arzneien in der Klinik kombiniert, kann dies eine gefährliche oder sogar tödliche Wirkung entfalten. Verhindern können die gefährliche Kombination elektronische Medikationspläne und Notfalldaten auf der Gesundheitskarte des Patienten, auf die Ärzte und Pflegepersonal jederzeit zugreifen können.


Ein weiteres Werkzeug, das Behandlung und Pflege von Patienten erleichtert, ist das intelligente Krankenhausbett. Es registriert Daten über spezielle Sensoren und meldet diese, unter anderem zu Gewicht und Bewegungen des Patienten sowie zu einem erforderlichen Wäschewechsel, automatisch an das Pflegepersonal. Zudem ist in das intelligente Bett ein Sensor integriert, sodass jederzeit sein konkreter Standort abrufbar ist. So wird vermieden, dass Betten irgendwo im Labyrinth des Krankenhauses verschollen gehen.


Dies gilt im Übrigen nicht nur für Betten. Ein bis zwei Stunden täglich verbringen Krankenhausmitarbeiter durchschnittlich mit der Suche nach Geräten oder Patienten, hat der Medizingeräterhersteller Dräger in Lübeck ermittelt. Den Missstand bekämpfen kann ein spezielles Ortungssystem (Real-Time Locating System), das in Echtzeit jedes damit ausgestattete Gerät im Krankenhaus findet, seien es Pumpen, Katheder oder Betten samt Patienten.


Nicht nur für Ärzte in Praxen und Krankenhäusern und ihre Patienten spielen Vernetzung und virtuelle Medizin eine immer wichtigere Rolle. Auch Studenten und fortbildungswillige Mediziner profitieren von Telematik und E-Health. So können Studierende und ausgebildete Fachärzte am Patientensimulator in virtuellen Kliniken Untersuchungen und Operationen üben. Telemed, ein Unternehmen der CompuGroup, stellt Studierenden den Inmedia Simulator zur Verfügung, eine virtuelle E-Learning-Plattform. Auf dieser können angehende Mediziner in einer virtuellen Klinik mit 200 Patientensimulationen aus 15 Fachbereichen üben.

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