Die Chancen steigen

Die Krebsforschung arbeitet fieberhaft an neuen Therapien und Wirkstoffen, die den Krebs eindämmen sollen. Mit guten Erfolgen.
Illustrationen: Daniel Balzer
Mirko Heinemann Redaktion

Sollte es noch eines weiteren Beweises bedürfen, warum der Regenwald gerettet werden sollte, dann haben ihn kürzlich Wissenschaftler der Universität Würzburg geliefert. Das Team um den Naturstoffchemiker Gerhard Bringmann hat Naturstoffe aus kongolesischen Lianen extrahiert, denen das Potenzial zugesprochen wird, Bauchspeicheldrüsenkrebs zu bekämpfen. Diese sogenannten Naphthylisochinolin-Alkaloide sollen einen Signalweg der Krebszellen stören können. Bauchspeicheldrüsenkrebs gehört zu den aggressivsten und am schwersten zu bekämpfenden Tumorerkrankungen überhaupt. Die Überlebensrate nach fünf Jahren liegt seit Jahrzehnten bei weniger als fünf Prozent.


Dies wäre eine weitere Sensation in einer Reihe von Erfolgsnachrichten rund um den Kampf gegen den Krebs. Die Medizin hat auf dem Feld der Krebsforschung in den letzten Jahren zwar keinen sensationellen Durchbruch erzielt, aber vielversprechende Wege aufgezeigt. Die Weiterentwicklung der mikroinvasiven Chirurgie, die neuen Immuntherapien und die zielgerichteten molekularen Therapien haben dazu geführt, dass früh erkannter Krebs oftmals therapierbar geworden ist. Fünf Jahre nach einer Krebsdiagnose leben heutzutage noch mehr als die Hälfte aller Krebspatienten – so viele wie nie zuvor. Viele Patienten leben mit Krebs wie mit einer anderen chronischen Erkrankung. Bei manchen Tumorarten besteht sogar eine gute Chance auf dauerhafte Heilung.


Gesundheitsminister Jens Spahn erzielte Aufsehen mit seiner Aussage, er halte Krebs in absehbarer Zeit für heilbar. „Es gibt gute Chancen, dass wir in zehn bis 20 Jahren den Krebs besiegt haben“, sagte er kürzlich der Rheinischen Post. Dabei verwies er auf die Fortschritte in der Früherkennung und Prävention. Ein Fünftel der Krebserkrankungen ließe sich demnach aufs Rauchen zurückführen. Eine weitere Ursache seien schlechte Ess- und Lebensgewohnheiten, die man durch Aufklärung stärker in den Griff bekommen könne. Zudem werden einige Krebsarten immer früher erkannt. „Das Darmkrebsscreening wird ausgeweitet. Ein früh erkannter Tumor kann sehr häufig geheilt werden.“ Zugleich erwähnte er die Erfolge der Krebsforschung. „Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass wir einen Impfstoff gegen das HP-Virus entwickeln werden und dieses Virus theoretisch ausrotten könnten, wenn sich die jungen Menschen vor dem ersten Sexualverkehr impfen lassen?“


Der Gesundheitsminister hat mit seiner Aussage nicht nur Zustimmung hervorgerufen. Denn die Realität sieht anders aus: Die Zahl der Neuerkrankungen an Krebs hat sich seit den 1970er-Jahren in Deutschland fast verdoppelt. Knapp 500.000 Menschen erkranken jedes Jahr neu, etwa 220.000 sterben daran. Die häufigsten Krebserkrankungen sind bei den Männern Prostatakrebs, es folgen Lungenkrebs und Darmkrebs. Frauen sind am häufigsten von Brustkrebs, Darmkrebs und Lungenkrebs betroffen. Krebs ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in Deutschland. 2015 waren Krebserkrankungen nach Angaben des Statistischen Bundesamts die Ursache für fast ein Viertel aller Todesfälle.


Ein Hauptgrund für die steigenden Krebsraten ist der demografische Wandel. Die Menschen werden immer älter und damit steigt auch das Risiko einer Erkrankung. Zugleich aber weist die Weltgesundheitsorganisation WHO auf den ungesunden Lebenswandel hin, der sich mit dem wachsenden Wohlstand weltweit durchsetzt. Die Zahl der Raucher steige weltweit massiv an, auch der Konsum von Alkohol nehme zu. Die WHO fordert daher die Regierungen dazu auf, die Gesetze zum Rauchen und zur Regulierung des Konsums von Alkohol und zuckerhaltigen Getränken zu verschärfen. Außerdem müsse die Vorsorge verbessert und Luftverschmutzung stärker thematisiert werden.


Lungenkrebs als tödlichste Krebserkrankung weltweit ist im Wesentlichen auf das Rauchen und die Luftverschmutzung zurückzuführen. Lange standen Patienten im fortgeschrittenen Stadium außer Chemotherapien und Bestrahlungen keine weiteren Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Dank der Fortschritte im Bereich der Genomforschung können nun mehr und mehr personalisierte Therapien zum Einsatz kommen. Diese setzen eine umfassende molekulare Untersuchung vor der Therapie voraus. Aber auch der Immuntherapie eröffnen sich immer mehr Ansatzpunkte. Bei der häufigen Form des nicht-kleinzelligen Lungenkrebs existieren mittlerweile für circa 25 Prozent der Patienten in inoperablen Tumorstadien zielgerichtete Therapien – hochgerechnet für Deutschland entspricht dies mehr als 7.000 Patienten, die von diesen Behandlungsmethoden profitieren könnten.


Auch Viren könnten gegen Lungenkrebs eingesetzt werden, das hoffen jedenfalls Wissenschaftler des Universitätsklinikums Münster. Sie wollen Influenzaviren gegen Lungentumore einsetzen. Mithilfe gentechnischer Methoden verändern sie Grippeviren so, dass sie in der Lage sind, Tumorzellen anzugreifen und zu zerstören. Zusätzlich stimulieren diese sogenannten onkolytischen Viren das Immunsystem. Das körpereigene Abwehrsystem hat dem Tumor bisher kaum etwas entgegenzusetzen. Wären die Tumorzellen allerdings mit Grippeviren infiziert, löste das eine starke Immunantwort gegen die befallenen Zellen aus. Dahinter steht die Idee, das körpereigene Immunsystem gegen den Krebs zu mobilisieren.


Ein weiterer Pfeiler ist die Krebsvorsorge: Ärzte raten deshalb, alle Früherkennungsuntersuchungen auch wirklich wahrzunehmen. Und damit tun sich vor allem Männer ziemlich schwer. So ist Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung bei Männern, doch zu wenige nehmen das Angebot zur Früherkennung wahr. Nahezu 60 Prozent der Männer im Alter ab 45 Jahre nehmen sogar an keinerlei Vorsorgeuntersuchung teil. Frauen sollten ab 20 einmal im Jahr zum Gynäkologen, um Gebärmutterhalskrebs auszuschließen und ab 30 zusätzlich Brust und Achselhöhlen abtasten lassen. Ab 50 steht ihnen dann außerdem eine Röntgenuntersuchung zu. Für beide Geschlechter gilt, dass sie regelmäßig das Hautkrebsscreening und ab 50 die Darmkrebsvorsorge wahrnehmen sollten.

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