Nachhaltig bauen – ganzheitlich denken

Der ökologische Fußabdruck der Baubranche ist enorm. Rund 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit entfallen auf Gebäude, in Deutschland sind es rund 35 Prozent der Treibhausgasemissionen, die auf das Betreiben der Gebäude zurückgehen.
Illustration: Nicole Pfeiffer
Illustration: Nicole Pfeiffer
Iunia Mihu Redaktion

Gebäude spielen demnach eine Schlüsselrolle, wenn es um das Erreichen der gesteckten Klimaziele aus dem Pariser Abkommen geht.

Ein Haus ist nicht automatisch nachhaltig, nur weil es aus Holz gebaut ist oder es ein paar Solarpanels auf dem Dach hat – das wäre zu kurz gedacht. Experten definieren ein rundum nachhaltig gebautes Gebäude nicht nur anhand der Bausubstanz. Es muss gut für die Umwelt und auch gut für den Menschen sein, denn schließlich halten wir uns rund 90 Prozent unserer Zeit in Innenräumen auf. Gesundheit und Umweltschutz gehen beim Thema nachhaltiges Bauen schon eine Weile Hand in Hand. Auch das Thema Mobilität spielt eine immer wichtigere Rolle, etwa bei der Planung eines Stadtviertels oder der Weiterentwicklung eines bestehenden Areals.

Raus zoomen und das ganze Bild betrachten – das ist bei der Planung und Erstellung eines Gebäudes enorm wichtig, passiert aber leider noch zu selten, sagt Felix Jansen von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB): „Der Blick für das große Ganze fehlt in der Baubranche oft.“ Seit 2007 macht der Verein DGNB auf die Bedeutung von Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche aufmerksam. Inzwischen zählt die DGNB mehr als 1.500 Mitgliedsorganisationen weltweit, ein Zusammenschluss aus Architekten, Investoren, Planern, Kommunen und Wissenschaftlern. Zudem hat der Verein ein eigenes Zertifizierungssystem für Gebäude entwickelt, welches den gesamten Lebenszyklus eines Projekts bewertet anstatt einzelne Bestandteile.

Wichtige Planungsphase

Nachhaltig zu bauen heißt also, ganzheitlich zu denken – und das ist nicht unbedingt der  einfachere Weg. Und schnell schon gar nicht, denn gerade in der Baubranche sind Prozesse oft langwierig, etwa die Planungsphase. „Die Tendenz geht leider noch immer dahin, dass man viel zu wenig nachdenkt, bevor man etwas baut“, sagt Felix Jansen. Vor allem im gewerblichen Bau sei das zu beobachten, wo schnell etwas gebaut werde, das sich dann wenig bis gar nicht nachhaltig zeigt. „Es geht beim nachhaltigen Bauen nicht darum, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, sondern vielmehr die bestmögliche Qualität mit dem vorhandenen Budget rauszuholen“, so Jansen.
Dazu gehöre auch, dass man sich ausreichend Zeit mit der Planungsphase lässt. Je früher sich Bauherren und Planer zusammensetzen und verschiedene Szenarien und Aspekte durchdenken, desto besser. Denn: Als hundertprozentig nachhaltig kann man ein Gebäude eigentlich nur bezeichnen, wenn es auch zukunftsfähig, möglichst langlebig und gesund für Mensch und Umwelt ist. Auch die Barrierefreiheit eines Gebäudes spielt in Bezug auf die Nachhaltigkeit eine Rolle. Darüber hinaus sind eine klimafreundliche Instandhaltung sowie die Qualität der Innenraumluft, die Schalldämmung bis hin zur Raumbeleuchtung von Bedeutung. Und sollte das Gebäude dann doch irgendwann einmal abgerissen werden, sind die Bestandteile idealerweise weiter verwertbar.

Bestand neu denken

Die Architektin Lisa Kaufmann definiert nachhaltiges Bauen lieber so: „Nachhaltig bauen ist eigentlich, nicht zu bauen“, sagt die 32-jährige Architektin der Architektenkammer Berlin und Dozentin an der TH Mittelhessen: „Man müsste vielmehr über den Bestand nachdenken anstatt darüber, wie man nachhaltig neu bauen kann.“ Den Bestand nachhaltig umzubauen, zu sanieren und ihm eine neue Nutzung zuzuschreiben sei um einiges schwieriger, als neu zu bauen – das liegt vor allem am bürokratischen und regulatorischen Aufwand, der bei bestehenden Gebäuden deutlich höher ist. „Bestandsbauten befinden sich meist in Ortszentren. Da muss man erst einmal schauen: Was liegt vor? Und wie kann man umbauen? Man kann das nicht nach einem fixen Schema machen, wie das beispielsweise oft in einem Neubaugebiet der Fall ist“, sagt die Architektin. Ihr Spezialgebiet ist die Umnutzung von Bestandsgebäuden, insbesondere die Nachverdichtung von Nachkriegsgebäuden. Derzeit forscht sie zum Thema Siedlungsbauten der Nachkriegsmoderne.

Der Donut-Effekt

Das Einfamilienhaus im Neubaugebiet – diese Wohnform ist hierzulande sehr beliebt und wird nach wie vor oft gebaut. Dabei ist das keine wirklich nachhaltige Bauform. Es wird neue Fläche benötigt, denn Bauplätze dafür werden meist außerhalb eines Ortskerns ausgewiesen. Die Folge: Das Umland wird zum Speckgürtel, der immer größer wird. Und das Zentrum wird vernachlässigt, das Gemeindeleben verkommt, der sogenannte Donut-Effekt kommt zum Tragen: Eine Stadt wächst nach außen und wird innen immer leerer. 

Architekten und Stadtplanern sind solche Neubaugebiete eigentlich ein Dorn im Auge und sie wollen eigentlich den Fokus wieder mehr auf den Ortskern legen. Experten sind sich einig: Es ist dringend erforderlich, dass Innenstädte weiterentwickelt werden, damit Arbeit, Wohnen und Freizeit in naher Umgebung erreichbar und möglich sind und die oben genannten Speckgürtel nicht noch größer werden.

Energiefresser Einfamilienhaus

Nicht nur der Flächenverbrauch, auch der Energieverbrauch ist bei einem Einfamilienhaus recht hoch – und streng genommen ist es ein Energiefresser. Denn von den insgesamt rund 19 Millionen Wohngebäude in Deutschland sind rund 15 Millionen Ein- und Zweifamilienhäuser. Damit stellen sie zahlenmäßig die größte Gruppe dar und haben mit 39 Prozent den größten Anteil am Endenergieverbrauch in Gebäuden. Das geht aus einem Bericht der Deutschen Energie-Agentur (dena) hervor. „Im Gegensatz zu einer Geschosswohnung hat ein Einfamilienhaus viel mehr Außenfläche. Darüber wird Wärme abgegeben und somit muss mehr geheizt werden, während in einem Geschosswohnungsbau die Wohnungen sich auch gegenseitig wärmen“, sagt Architektin Kaufmann.

Sanierungsanreize vom Staat

Um die Treibhausgasemissionen im Gebäudesektor nachhaltig senken zu können, muss auch der Gebäudebestand energetisch effizienter werden. Mit Steuerförderungen für energetische Sanierungen will der Staat hier Anreize schaffen. Noch bis Ende 2029 werden etwa der Einbau neuer Fenster, die Dämmung von Dächern und Außenwänden sowie der Heizungstausch steuerlich gefördert. Sich unabhängig machen von russischem Öl und Gas ist das jüngst erklärte Ziel der Bundesregierung – und zwar so schnell wie möglich. Haus- und Wohnungseigentümer sollten schon jetzt über Alternativen bei der Wärmegewinnung nachdenken und von ihren alten Öl- und Gasheizungen auf klimafreundliche Anlagen oder direkt auf erneuerbare Wärme umsteigen – je nachdem, was am jeweiligen Standort überhaupt möglich ist. Wer seine alte Ölheizung gegen eine energieeffiziente austauscht, erhält dafür bis zu 45 Prozent Zuschuss vom Staat. Ab 2026 soll der Einbau von Ölheizungen grundsätzlich nicht mehr erlaubt sein, wenn eine klimafreundlichere Wärmeerzeugung möglich ist. Das schreibt das Gebäudeenergiegesetz vor.

Selbst aktiv werden

Schon heute kann man das Nutzungsverhalten in den eigenen vier Wänden scannen, etwa beim Stromverbrauch sowie beim Heizen. Wo es möglich ist, sollte man Energie einsparen, etwa indem man richtig lüftet. Das bedeutet: Die Fenster nicht kippen, sondern ganz öffnen und für mehrere Minuten stoß lüften, im besten Fall sogar quer lüften, also in mehreren Räumen die Fenster öffnen und die Türen auflassen, damit die Luft im gesamten Wohnraum zirkulieren kann. Sinnvoll ist auch der Einbau intelligenter Thermostate. Dadurch regeln Heizkörper die gewünschte Raumtemperatur von selbst. Wichtig: Beim Lüften die Heizung ganz ausschalten. Wer länger nicht im Raum ist, die Heizung eine Stufe herunterdrehen. So spart man Energie, ohne die Wände auszukühlen.

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