Bauen anders denken

Deutschland hat ein Wohnraumproblem: hohe Mieten und Bedingungen, die das Bauen verteuern. Es gibt verschiedene Lösungsansätze, die ein klares politisches Handeln erfordern.

Illustration: Anna Fedoseeva
Illustration: Anna Fedoseeva
Julia Thiem Redaktion

Es sind deutliche und vor allem alarmierende Worte, die die sogenannten Immobilienweisen in ihrem Frühjahrsgutachten finden: Deutschland drohe sehenden Auges auf ein soziales Debakel zuzusteuern. Eigentlich hatte sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. Das hat zwar weder 2022 noch 2023 geklappt, Bundesbauministerin Klara Geywitz war Anfang vergangenen Jahres allerdings noch guter Dinge, dass es 2024 oder 2025 klappen könnte – Vorfertigung im Bau und die Digitalisierung würden es sicher richten, konstatierte die Ministerin damals.

Das Gutachten des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) zeigt nun: Statt der angestrebten 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, werden es 2024 voraussichtlich gerade einmal 150.000. Und auch 2023 habe man das Ziel Schätzungen zufolge bereits um 130.000 Wohnungen verfehlt. Dadurch werden allein in diesem Jahr schon 600.000 Wohnungen fehlen, 2025 dann 720.000 und bis 2027 830.000 Wohnungen. Das liegt laut der Immobilienweisen des ZIA vor allem daran, dass bauen „faktisch unmöglich“ geworden ist. Um die Baubranche, die 19 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuere, stehe es so schlecht und kritisch wie nie zuvor in der Nachkriegsgeschichte, betont ZIA-Präsident Andreas Mattner bei der Präsentation des Gutachtens. Bauen muss attraktiver und vor allem bezahlbarer werden. Die Immobilienwirtschaft sei durch Kosten und Auflagen „geknebelt“. Förderungen sowie ein vorübergehender Verzicht auf die Grunderwerbsteuer, aber auch die Vereinfachung von Vorschriften, sind Lösungsansätze des Rates. Dass Bund und Länder sich auf einen Beschleunigungspakt für Planungs- und Genehmigungsprozesse verständigt haben, ist aus ZIA-Sicht ein Lichtblick. Eine weitere Chance, die Lage zu verbessern, sei das serielle und modulare Bauen, mit dem merkliche Einsparungen möglich sein dürften.


FÖDERALISMUS MACHT BAUEN KOMPLIZIERTER


Als Auslöser für diese Bau- und Wohnungskrise werden vor allem die gestiegenen Baukosten sowie das aktuell hohe Zinsniveau herangezogen. Eine Krise, die auch Dr. Dirk Assmann in Bezug auf die Bauwirtschaft sieht. Der Themenmanager Innovationsräume und Urbanisierung in der Abteilung Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung betont, dass alles, was den Bau von Wohnungen in den vergangenen Jahren günstig und damit attraktiv gemacht habe, nun nicht mehr gegeben sei. Gleichzeitig gibt Assmann zu bedenken: „In Deutschland ist die Staatsquote im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch, wobei der zentrale Faktor die Grunderwerbsteuer ist.“ Tatsächlich liegt die Grunderwerbssteuer in Dänemark beispielsweise bei nur 0,6 Prozent, während sie hierzulande bis zu 6,5 Prozent betragen kann. In den Niederlanden oder Belgien zahlen „Immobilienneulinge“ gar keine Grunderwerbsteuer. So will man den Einstieg in den Immobilienmarkt erleichtern. In Deutschland ist die Grunderwerbsteuer seit 2006 Ländersache. Man habe gehofft, dass dadurch eine Art Unterbietungswettbewerb entsteht, mit dem die Grunderwerbsteuer sinkt, sagt Assmann. Eingetreten sei das Gegenteil. Überhaupt erschwere der Föderalismus das Bauen an weiteren Stellen unnötig, glaubt der Experte der Friedrich-Naumann-Stiftung: „Wir haben in Deutschland 16 Bundesländer und damit auch 16 verschiedene Bauordnungen. Ein Bauunternehmer, der in Mannheim, Heppenheim und Worms identische Mehrfamilienhäuser errichten will, muss sich an drei verschiedene Bauordnungen halten.“ Auch diese Art von administrativem Aufwand treibt die Baukosten in die Höhe und auch hier sind unsere europäischen Nachbarn deutlich schlanker aufgestellt.

Illustration: Anna Fedoseeva
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BAUEN UMDENKEN


Was durch die vielen verschiedenen Bauvorschriften außerdem erschwert werde, ist das serielle Bauen, glaubt Assmann. Wer dabei an den Plattenbau in den ehemaligen Ostblockländern denkt, liegt gar nicht so falsch – allerdings heute als Upgrade, quasi die Platte 2.0. Denn die Idee ist durchaus gleich geblieben: Vorgefertigte Materialien oder ganze Module werden zentral hergestellt und auf der eigentlichen Baustelle „nur noch“ zusammengefügt. Damit könnten seriell gefertigte Wohnbauten als eine Teillösung für das Wohnungsproblem in deutschen Großstädten dienen, glaubt auch ein Zusammenschluss aus Bundesbauministerium, dem Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW und des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie. Serielles Bauen nach dem Lego-Prinzip bringt zudem eine deutliche Zeit- und Kostenersparnis mit sich, wie eine aktuelle Studie der BayWa AG und der Unternehmensberatung EY zeigt. „Beim elementbasierten Bau lassen sich beispielsweise bei einem Mehrfamilienhaus mit etwa 25 Wohneinheiten bis zu 15 Prozent der Kosten einsparen,“ erläutert Björn Reineke, Partner bei EY-Parthenon. Zudem seien viele Prozesse unabhängig von Witterungsbedingungen und auch die hohe Fragmentierung von Arbeitsteilung werde zum Teil aufgehoben. Und ein hoher Grad an Vorfertigung mindere die Fehlerquote, verhindere Verzögerungen und mache den Betrieb auf der Baustelle effizienter und sicherer. Zeitlich könne die Verlagerung eines Teils der Wertschöpfung in die Werkshalle den Bauprozess sogar um bis zu 30 Prozent verkürzen, heißt es in der Studie.


KAUM LUFT ZUM ATMEN


Schließlich brauchen die Menschen auch noch Luft zum Atmen – respektive Geld zum Leben. Und beides ist aktuell knapp. Die Wohneigentumsquote in Deutschland lag laut Statista Ende 2022 ohnehin bei niedrigen 49,5 Prozent. Nur in der Schweiz können sich noch weniger Menschen die eigene Immobilie leisten (42,3 Prozent). In Ländern wie Dänemark (59,2 Prozent), Frankreich (64,7 Prozent) oder den Niederlanden (70,1 Prozent) zeigt sich ein ganz anderes Bild. Zudem rechnet das statistische Bundesamt Destatis vor, dass die Mietbelastungsquote für Menschen, die nach 2019 in ihre Wohnung gezogen sind, Einpersonenhaushalte und Haushalte in Großstädten überdurchschnittlich hoch sei. Bei 3,1 Millionen Haushalten läge sie bei 40 Prozent und mehr. 1,5 Millionen Haushalte hätten 2022 sogar bereits mindestens die Hälfte ihres Einkommens für Nettokaltmiete und verbrauchsunabhängige Betriebskosten ausgegeben. Wer hier noch andere Pflichtausgaben addiert, versteht das „soziale Debakel“ schnell, von dem der ZIA in seinem Frühjahrsgutachten spricht.

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