»Sie brechen das Eis unserer Gesellschaft«

In einer Zeit, in der Einsamkeit und soziale Kälte das menschliche Miteinander zu bestimmen scheinen, profitieren Halter von Hunden und Katzen psychisch, sozial und körperlich enorm von ihren Haustieren. Warum, das erklärt im Interview die Psychologin und Professorin Andrea Beetz, die seit Jahren zur Beziehung und Interaktion zwischen Tier und Mensch forscht.

Illustration: Hanna Kaps
Illustration: Hanna Kaps
Helen Weber Redaktion

Frau Professor Beetz, die Zahl der Haustiere in Deutschland ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Was glauben Sie - warum schaffen sich so viele Menschen Haustiere an? 

Ich glaube, das hat vor allem zwei Gründe: Bis vor einiger Zeit haben sich viele Menschen, die berufstätig sind, die Anschaffung eines Haustieres verkniffen. Da hat man oft den Satz gehört: „Ich hätte so gerne einen Hund, aber das geht erst, wenn ich weniger arbeite oder in Rente bin.“ Die Corona-Krise hat viel verändert: Seitdem wir alle mehr im Home Office arbeiten, können wir auch mehr Zeit mit unseren Haustieren verbringen – Katzen sind weniger allein, Hunde müssen weniger wegorganisiert und fremdbetreut werden. Der zweite Grund ist die wachsende Vereinzelung in unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen leben allein, menschliche Bindungen sind unsicherer geworden. Tiere werden immer mehr zu wichtigen Sozialpartnern und wirken der Einsamkeit entgegen.
 

Können Tiere denn die Beziehung zu einem Menschen ersetzen? 

Nun, das sei dahingestellt. Aber wir leben in einer konfliktreichen Zeit, die Tonalität unter Menschen ist härter geworden, das Führen von Beziehungen komplizierter. Mit Tieren ist es da sehr viel einfacher. Sie sind als Mitbewohner nicht nachtragend und wir tragen ihnen auch nichts nach. Tiere freuen sich immer, wenn wir nach Hause kommen, sie freuen sich, wenn wir uns mit ihnen beschäftigen - das empfinden Menschen als Wertschätzung und sind dankbar für ihre bedingungslose Zuneigung. Tiere geben uns das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden. Dieses Gefühl kann ein Anker sein, in einer Zeit, die viele als krisenhaft erleben. Außerdem ist echte Bezugnahme möglich, wie wir Forscher sagen: Wenn wir denken, unser Tier liebt uns, weil es Freude zeigt und unsere Nähe sucht, dann ist diese Mensch-Tier-Liebe echt. Wir wissen ja heute, dass Tiere ähnliche Emotionen wie wir Menschen haben.
 

Die Forschung dazu ist noch relativ jung … 

Ja, vor 15 oder 20 Jahren hat sich noch niemand getraut, zu Tieren und ihren Emotionen zu forschen. Dass es heute gemacht wird, zeigt den veränderten Stellenwert von Tieren in unserer Gesellschaft. Ein schönes Beispiel ist das Experiment von der Verhaltensforscherin Friederike Range und Kollegen, die untersuchten, ob Hunde Ungerechtigkeit empfinden können. Dazu ließ sie zwei Hunde getrennt voneinander die Pfote geben, der eine bekam als Belohnung nur das verbale Lob seiner Besitzerin, der andere ein Leckerli. Sobald die Hunde jedoch in einen Raum gesetzt wurden und der Hund, der bisher nur mit verbaler Zuneigung belohnt wurde, sah, dass sein Kollege für das Pfote geben jedes Mal einen Snack bekam, stellte er das Pfote geben ein. Das könnte man in etwa damit vergleichen, wenn wir herausbekommen, dass unser Kollege für den gleichen Job, den wir selbst machen, etwa 10.000 Euro mehr im Jahr verdient - dann protestieren wir auch. Generell wissen wir inzwischen, dass Säugetiere ähnliche Hirnareale haben wie wir Menschen, die für bestimmte Emotionen zuständig sind. Fürsorge, Trauer, Freude. Dementsprechend liegt es nahe, dass wir uns ihnen wirklich verbunden fühlen und ihr Verhalten vermutlich richtig deuten. Das meine ich mit realer Verbundenheit in der Beziehung zwischen Tier und Mensch.
 

Sie forschen schon lange zu den positiven Effekten, die Haustiere auf Menschen haben. Welche sind das?

Zunächst sind da die messbaren physiologischen Wirkungen. Tiere habe eine beruhigende, entspannende Wirkung auf Menschen. Wenn wir im Kontakt mit einem Tier sind oder es streicheln, dann sinkt unsere Herzfrequenz, das Stresshormon Cortisol sinkt ebenfalls und unser Blutdruck geht herunter. Tiere haben sogar direkten Einfluss auf unser Immunsystem: Studien haben gezeigt, dass kurz nachdem jemand ein Tier gestreichelt hat, der Wert Immunglobulin A im Speichel erhöht ist. Sehr bekannt ist mittlerweile auch die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, auch Bindungs- oder Kuschelhormon genannt, im direkten Kontakt mit Tieren. Oxytocin ist der Gegenspieler von Stress, es löst innere Anspannung. Außerdem geben uns Haustiere Struktur im Alltag: Sie müssen regelmäßig gefüttert werden, wollen Gassi gehen oder Katzen wollen vor die Tür gelassen werden.
 

Welchen Einfluss haben Haustiere noch auf die psychische Gesundheit?

Es gibt zahlreiche Studien, die zeigen, wie der Kontakt und das Zusammenleben mit Tieren depressive Verstimmungen abmildern kann, ja sogar stimmungsaufhellend sein kann. Ist ja klar: Wenn meine Katze anfängt, mit mir zu spielen, und lustige Sachen macht oder mein Hund albern und gut gelaunt im Garten herumtollt, dann müssen wir lächeln oder auch lachen. Ihr Verhalten und ihre Lebensfreude wirkt ansteckend und hat einen direkten Effekt auf unseren Gemütszustand. Der Umgang mit Haustieren reduziert außerdem Ängste und subjektives Schmerzempfinden. Hier können auch Ablenkungseffekte eine Rolle spielen, denn wenn wir krank sind und Schmerzen haben, so werden uns Familienmitglieder oder Freunde meist auf unser Befinden ansprechen und das Gespräch dreht sich um unseren eigenen Zustand. Tiere tun das selbstverständlich nicht, sie reißen uns eher aus unseren Gedanken und – ganz wichtig – lenken oft das Gespräch auf sich. In einem Raum, in dem ein Tier ist, sprechen die Menschen früher oder später über das Tier.

Illustration: Hanna Kaps
Illustration: Hanna Kaps

Durch Tiere kommt immer auch menschliche Interaktion zustande. Das heißt, Tiere haben auch positive soziale Effekte, oder?

So ist es. Und diese sozialen Effekte wirken sich natürlich wiederum auch auf unsere psychische Gesundheit aus. Tiere wirken als soziale Eisbrecher, man sagt auch Katalysatoren. Auf der Straße würde man eher selten eine fremde Person einfach so ansprechen. Begegnen sich jedoch zwei Hundehalter, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ein paar Worte miteinander wechseln, ziemlich hoch. Oder man wird auf den eigenen Hund angesprochen, von jemandem, der keinen Hund hat. Ob Menschen sich nur kurz austauschen oder ob über die Tiere sogar Bekanntschaften oder auch Freundschaften entstehen. Jeder Hundehalter oder auch Katzenhalter kennt das: Über das eigene Tier hat man meist Kontakte, die sonst nie zustande gekommen wären. Doch die positiven sozialen Effekte sind noch vielschichtiger. Die Forschung hat herausgefunden, dass der regelmäßige Umgang mit Tieren auch unsere eigenen sozialen Fähigkeiten positiv beeinflussen kann – wir gehen empathischer auf unser Gegenüber ein, Kinder mit Tieren sind im Durchschnitt sozial kompetenter. 
 

Einsamkeit und soziale Kälte sind große Themen unserer Zeit. Welche Benefits ziehen wir denn direkt aus der Beziehung zu unseren Tieren, die wir bei Menschen nicht finden? 

Auch hier geht es wieder um die Psyche. Reden reicht nicht. Aber genau das ist häufig das einzige, das wir mit anderen Menschen tun, es sei denn, wir befinden uns in einer funktionierenden, liebevollen Beziehung und finden dort echte Nähe. Wir Menschen sind Berührungswesen. Wir sind dazu gemacht, in Gesellschaft zu leben, der eine vielleicht mehr, der andere weniger. Die Vereinzelung und Hyperindividualisierung, die wir gerade bei jüngeren Generationen seit Jahren erleben, macht viele Menschen einsam und unglücklich. Die meisten Menschen haben kaum noch Berührung zu anderen – und damit meine ich wirkliche Berührung, also Haut-an-Haut-Kontakt, Umarmungen, über die Wange streicheln, eng nebeneinander sitzen. Tiere aber bieten Berührung und Nähe. Mit der Katze auf dem Schoß schmusen und Fernsehen gucken, oder mit dem Hund ausgiebig kuscheln, sobald man nach Hause kommt, das tut einfach gut und ist viel mehr, als wir uns und unseren Mitmenschen heute zugestehen. Auch das Kontaktliegen mit unseren Tieren, buchstäblich Wärme spüren, kommt unserem Bedürfnis nach Kontakt und Nähe nach.
 

In den sozialen Medien gibt es immer wieder Videos von sehr alten Menschen, die humorvoll behaupten, allein ihre Tiere seien dafür verantwortlich, dass sie so alt noch so glücklich und fit sind. Ist da etwas dran?

Ja, da ist ganz viel dran. Auch wenn Tiere natürlich kein Garant dafür sind, glücklich zu sein und alt zu werden. Eine große Studie, der Survey of Health aus Großbritannien, stellte fest, dass Hunde- und Katzenbesitzer im höheren Alter besser und länger ihre kognitiven Fähigkeiten behalten als Nicht-Tierbesitzer. Die Forscher fanden heraus, dass Hundebesitzer vor allem ein besseres Gedächtnis haben, sowohl direkte als auch verzögerte Erinnerungen konnten sie besser abrufen. Katzen scheinen vor allem einen positiven Einfluss auf die verbalen Fähigkeiten und Wortfindungen ihrer Besitzer zu haben. Die Interaktion, vor allem mit Hunden und Katzen, so vermuten die Forscher, stimuliert auf einzigartige Weise die kognitiven Fähigkeiten. Denn bei Besitzern von Fischen oder Vögeln, die ebenfalls in der Studie untersucht wurden, fand man diesen Effekt nicht.
 

Bei Hunden dürfte auch der Effekt auf die körperliche Fitness eine Rolle spielen, oder?

Absolut. Das setzt natürlich voraus, dass wir die Bedürfnisse unserer Hunde erkennen und ihnen nachkommen. In unseren Breitengraden ist es normal, dass wir mehrmals am Tag mit unseren Tieren spazieren gehen. Ich habe lange in den USA gelebt, dort sieht die Sache oft anders aus, viele Hundebesitzer lassen ihre Hunde in den Garten und das wars. Das hat mir leid getan für die Tiere – aber auch als Besitzer verpasst man etwas. Denn die regelmäßigen Runden mit dem Hund halten zum einen natürlich körperlich fit. Spazieren gehen wirkt darüber hinaus entspannend und Stress reduzierend. Wir bewegen uns an der frischen Luft, wir erleben den Wandel der Jahreszeiten und spüren das Wetter. Wir halten inne, sehen Dinge, die wir sonst vielleicht nicht bemerken würden. Das Reh, das morgens am Waldrand grast, das Blatt, das sich im Spätsommer langsam verfärbt. Tiere lassen uns die Welt anders erleben – wenn wir es denn zulassen und nicht auch noch beim Gassi gehen permanent auf unser Smartphone starren.
 

Da sprechen Sie eine wichtige Sache an. Nicht jeder Haustierbesitzer hat vermutlich eine gute Beziehung zu seinem Tier. Was ist Ihrer Meinung nach die Voraussetzung dafür?

Tiere machen uns glücklich, wenn wir sie glücklich machen. Ihre Lebensfreude entfaltet sich dann, wenn es ihnen gutgeht. Um das zu ermöglichen, sollte jeder Tierbesitzer sich mit den Bedürfnissen seines Tieres auseinandersetzen: Wie viel Auslauf braucht es, welches Futter, wie viele soziale Kontakte zu Artgenossen und welche Erziehung ist nötig? Verantwortung übernehmen, sich fortbilden. Das kann anstrengend sein, ja, es macht Arbeit. Aber ich denke, das schulden wir unseren Tieren, weil sie uns Menschen so viel zurückgeben. Das ist wie in jeder guten Beziehung: Wir sollten uns ehrlich für unser Gegenüber interessieren, nur dann ist echte Verbundenheit möglich. 

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