Rico Gürtler und Natascha Junker haben sich in Brandenburg, einige Kilometer außerhalb von Berlin, einen Lebenstraum erfüllt – der ganz schön viel Arbeit macht. Sie haben Burg Nagezahn erschaffen, einen Lebenshof für Kaninchen und Nagetiere. Denn, so erfährt man hier schnell, Kaninchen sind keine Nagetiere, das sei einer von vielen weit verbreiteten Irrtümern über die kleinen Heimtiere. „Kaninchen sollten auch keine Karotten bekommen, auch wenn das in der Werbung häufig so abgebildet wird“, sagt Natascha Junker. „Karotten sind zu hart, sie verursachen Verletzungen der Zahnwurzeln und machen den Kaninchen Probleme im Verdauungstrakt. Kaninchen zermahlen ihre Nahrung, sie kauen nicht.“
ARTGERECHTE ERNÄHRUNG UND VIEL PLATZ
Im Sommer gehen die beiden an sieben Tagen die Woche los und sammeln draußen frische Wiesenkräuter und Gräser für ihre über 70 Tiere. Zwei oder drei große Tragetaschen eines bekannten Möbelherstellers voll Grün bringen sie nach Hause. Im Winter geht es zum Einkaufen in die Gemüseabteilung der Supermärkte. Frischfutter in Form von Gemüse, (Bitter-) Salaten, Kohlsorten, Wildkräutern und Gräsern seien die artgerechteste und gesündeste Ernährung für Kaninchen und Meerschweinchen, sagen die Tierschützer. „Es ist ein Mythos, dass zum Beispiel Heu für Kaninchen das Grundnahrungsmittel ist“, erklärt Gürtler. „Heu sollte immer zur Verfügung stehen und begleitend zum Frischfutter gefüttert werden, es dient aber vor allem der Beschäftigung und als zusätzliche Nahrung.“ Zum Knabbern bekommen die Kaninchen auf Burg Nagezahn außerdem frische Obstzweige oder auch Haselnussgehölz. „Wenn man sein Kaninchen gesund ernähren möchte, kostet es im Winter mindestens 50 Euro pro Pärchen in der Woche“, sagt Junker. „Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, wie teuer gesunde Ernährung auch für kleine Heimtiere ist. Auch darüber sollte man sich vor der Anschaffung unbedingt Gedanken machen.“
Neben falscher Ernährung ist es der ungeeignete Lebensraum und mangelnde Platz, den viele Kaninchen und Nagetiere zur Verfügung haben - darüber klärt das engagierte Paar seit Jahren vor allem über die sozialen Medien auf. „Die Käfige, die es im Zoohandel zu kaufen gibt, egal ob für Kaninchen oder Mäuse oder Meerschweinchen, sind einfach viel, viel zu klein. Es sind Gefängnisse, die nicht den Bedürfnissen der Tiere entsprechen und sie in eine enge Gefangenschaft setzen“, sagt Rico Gürtler. Auf Burg Nagezahn leben alle Tiere ohne Käfig in großen abgeteilten Bereichen, in eigenen Zimmern oder auch draußen im 450 Quadratmeter großen Kaninchen-Garten, der ausbruchssicher eingezäunt ist.
„Kaninchen brauchen Platz zum laufen, sie springen gerne vor Lebensfreude. Sechs Quadratmeter für zwei Kaninchen sind die Mindestvorgabe“, erklärt Gürtler. „Dazu benötigen sie einen rutschfesten Untergrund, da glatte oder rutschige Böden ihnen Angst machen. Und ausreichend Artgenossen.“
KLEINTIERE ALS KOMPROMISS FÜR KINDER
„Hamster sind die einzigen Kleintiere, die wirklich allein gehalten werden sollten“, sagt Natascha Junker. „Alle anderen – Kaninchen, Ratten, Mäuse, Meerschweinchen, Degus, Chinchillas – alle brauchen Gesellschaft, und zwar innerhalb der eigenen Art.“ Immer wieder hören sie die Geschichten von Tieren, die ein Leben lang allein gehalten wurden. Oft erzählen ihnen Erwachsene davon, wie sie in ihrer Kindheit ein Kleintier allein und in einem beengten Käfig gehalten haben. Viele schämten sich heute dafür. „Kleintiere sind leider klassische Einstiegstiere“, sagt Natascha Junker. „Wenn Kinder quengeln, dass sie eine Katze oder einen Hund haben wollen, dann einigen sich die Eltern häufig auf einen Kompromiss: ein Kaninchen, einen Hamster oder Mäuse.“ Den Kindern, auch dem eigenen früheren Ich, dürfe man dafür keine Vorwürfe machen, findet die Tierschützerin. Denn die Verantwortung für ein Tier in der Familie trügen nun mal immer die Eltern. „Eltern sollten wissen: Das Interesse am Tier lässt bei Kindern immer früher oder später nach. Das ist normal. Aber schon vorher ist es die Pflicht der Eltern, dafür zu sorgen, dass es den Kleintieren gutgeht.“ Viel Wissen über diese Tierarten wurde erst in den letzten 15-20 Jahren erforscht und es sei zwingend notwendig, sich ausführlich über deren Bedürfnisse zu informieren.