Klimafreundlich fliegen

Für eine Energiewende am Himmel braucht es neue Technologien. Elektroflugzeuge, Wasserstoff, synthetische Kraftstoffe – was ist die Zukunft?
Illustration: Andres Muñoz Claros
Illustration: Andres Muñoz Claros
Janina Martens Redaktion

Ein Sportflieger holpert über die Rollbahn, mit dröhnendem Motor, und hebt wankend ab. Die alten Maschinen am Flugplatz Strausberg in Brandenburg beim Start zu beobachten, ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Doch auch die Zukunft ist hier zum Greifen nah: Hinter den Mauern der auf dem Gelände angesiedelten Apus Group tüftelt ein Ingenieursteam an neuen Antriebssystemen für eine klimafreundliche Luftfahrt.

In der Halle dröhnen die Kompressoren. Zwischen Segelfliegern, Kabeltrommeln und Elektromotoren steht ein bläuliches Flugzeugmodell, noch ohne Flügel, gut acht Meter lang, die Form erinnert an einen Fisch: Die „apus i-2“ soll später einmal mit Wasserstoff fliegen, erklärt Apus-Geschäftsführer Phillip Scheffel. Sie werde weder CO2 noch Stickstoffoxide ausstoßen und fast geräuschlos unterwegs sein. „Nichts weniger als eine Revolution in der Luftfahrt“, so wirbt die Firma.

Fliegen belastet die Umwelt und schadet dem Klima. Der Anteil der durch den Luftverkehr verursachten Emissionen am weltweiten CO2 - Ausstoß liegt bei circa 2,5 bis drei Prozent. Damit soll bald Schluss sein: Bis 2050 soll der Flugverkehr in Europa klimaneutral werden, so sieht es der „European Green Deal“ der EU-Kommission vor. Wie kann das gelingen? Trotz Flugscham und Fridays for Future stieg die Anzahl von Flügen und Passagieren zuletzt stetig an. Pandemiebedingt blieben zwar viele Flieger am Boden, jedoch rechnen Experten bald wieder mit einem Wachstum der Branche.

Um den Klimaeffekt des Fliegens nachhaltig zu reduzieren, braucht es daher umweltschonende Antriebe und Alternativen zu fossilen Treibstoffen. Ein „vielfältiger Technologiemix mit umfangreichen Entwicklungen“ sei notwendig – so heißt es in einem Whitepaper, das das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) 2020 zum Thema „Zero Emission Aviation“ herausgegeben hat. Eine wichtige Rolle spielt dabei: Wasserstoff. Das DLR prophezeit in seiner Publikation: „Luftfahrzeuge mit hybriden Antriebskonzepten auf Basis von Brennstoffzellen lösen perspektivisch heutige Flugzeuge auf der Kurz- und Mittelstrecke ab.“

Ebendiesen Ansatz verfolgt die Firma Apus. „Mit Wasserstoff ist technologisch viel möglich“, sagt Phillip Scheffel. Der 42-jährige Maschinenbauer gründete sein Ingenieurbüro 2014, um Lösungen für eine nachhaltige Mobilität zu entwickeln. Sein viersitziges Brennstoffzellenflugzeug „apus i-2“ soll 800 Kilometer Reichweite und fünf Stunden Flugzeit erreichen – für 2023 ist ein erster öffentlicher Testflug angesetzt. Fünf Jahre Entwicklungsarbeit und anderthalb Jahre Konstruktion stecken in dem Entwurf, „die Idee ist simpel, aber die Umsetzung komplex“, sagt Scheffel.

Denn Wasserstoff hat einige Tücken. Zum Beispiel benötigt er mehr Platz als Kerosin. Dieses Problem hat das Apus-Team bereits im Griff – mit strukturintegrierten Tanks, die in den Flügeln verbaut werden. In die Rumpfnase des Fliegers kommt eine Brennstoffzelle, die den Wasserstoff in Strom verwandelt, der wiederum zwei Elektromotoren antreibt, welche die Propeller zum Drehen bringen. Alles perfekt ausgetüftelt.

Auf ein Problem haben sie jedoch keinen Einfluss: Bislang wird Wasserstoff meist in einem energieintensiven Prozess überwiegend unter Einsatz von fossilen Rohstoffen erzeugt. Für eine gute CO2-Bilanz bräuchte es möglichst flächendeckend „grünen“, also mit Wind- oder Solarstrom erzeugten Wasserstoff. Projekte auf diesem Feld unterstützt die Bundesregierung im Rahmen ihrer „Wasserstoffoffensive“ von 2020 mit Fördergeldern in Höhe von neun Milliarden Euro. Wenn es gut läuft, könnte grüner Wasserstoff dann irgendwann auch bei Passagierflugzeugen zum Einsatz kommen. Der Konzern Airbus etwa hat angekündigt, bis 2035 das erste Verkehrsflugzeug mit Wasserstoffantrieb herauszubringen.

Eine andere Richtung schlägt die norwegische Fluggesellschaft Widerøe ein: Sie hat sich mit dem Triebwerkshersteller Rolls-Royce und dem Flugzeugkonstrukteur Tecnam zusammengeschlossen und will bis 2026 ein rein elektrisches Passagierflugzeug an den Start bringen. Der batteriebetriebene Flug ist mit Blick aufs Klima besonders reizvoll, denn Batterien haben einen hohen Wirkungsgrad. Das heißt: Sie sind effizient, es geht kaum Energie verloren. Allerdings sind aufgrund der geringen Energiedichte derzeit nur kleine Reichweiten möglich. Das DLR sieht in batterie-elektrischen Konzepten deshalb hauptsächlich bei Regionalflugzeugen für kurze Reisen innerhalb von Ballungsgebieten und für die Urban Air Mobility eine Perspektive.

Besonders hoch im Kurs stehen in diesem Kontext: Flugtaxis. Weltweit arbeiten schätzungsweise 200 Firmen daran, Großkonzerne wie Boeing sowie viele Start-ups. In Deutschland hat der Flugtaxi-Pionier Lilium jüngst den Börsengang gewagt. Die Firma plant einen siebensitzigen Serienflieger, der mit 36 Rotoren senkrecht in die Luft steigen und im Jahr 2024 den kommerziellen Betrieb aufnehmen soll. Eine Flugvorführung gab es bisher jedoch nicht und das 2015 gegründete Unternehmen sieht sich zunehmend mit Kritik und Zweifeln an der Umsetzbarkeit konfrontiert – sowie mit starker Konkurrenz.

So ist etwa die Firma Volocopter aus Bruchsal seit 2011 am Start und ihr zweisitziges Flugtaxi „VoloCity“ hat bereits zahlreiche öffentliche Testflüge absolviert. Das Vehikel ist inspiriert von Drohnen, hat 18 Rotoren und Motoren, die von neun austauschbaren Akkupacks angetrieben werden. Die größten Hürden seien überwunden, erklärt Christian Bauer, der Leiter für Finanzstrategien von Volocopter, schriftlich. „Derzeit hat der VoloCity eine Reichweite von circa 35 Kilometern.“ Die Technologie funktioniere und sei sicher, der Zertifizierungsprozess angestoßen. Danach werde die Markteinführung auf ersten Routen folgen, voraussichtlich in Singapur und Paris. „Flugtaxis werden für die Luftfahrt so wie E-Taxis für den normalen Verkehr sein“, meint Bauer.

Bis dahin ist der Weg jedoch noch weit. Studien zeigen, dass es in der Bevölkerung Vorbehalte gegenüber den Air-Taxis gibt. Zudem ist der Luftraum stark kontrolliert und reguliert. Flugtaxis wären neue Verkehrsteilnehmer, für deren Integration es neue Verkehrsmanagement-Systeme und Regeln braucht.

Egal, ob batterieelektrisch oder wasserstoffbetrieben – für eine Umstellung auf diese Systeme ist eine Umrüstung der Fluginfrastruktur in großem Stil nötig. Eine Alternative, die nur geringe Nachrüstungen an den Flugzeugflotten erfordern würde, stellen synthetische Kraftstoffe dar. Besonders der Ansatz „Power-to-Fuel“ – also Strom zu Treibstoff – scheint vielversprechend. Sogenannte „E-Fuels“, strombasierte Kraftstoffe, sollen dem herkömmlichen Kerosin beigemischt werden. Für die Mittel- und Langstrecke ist das die Technologie, der das DLR das größte Potenzial zuschreibt.

Auch die Bundesregierung fördert diesen Ansatz und hat als eines von vier „Kopernikus-Projekten“ zur Energiewende das Projekt „Power to X“ ins Leben gerufen. In dessen Rahmen finanziert sie von 2016 bis 2025 verschiedene Forschungsvorhaben, etwa am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Hier widmet sich ein Team der Frage, wie sich aus dem Kohlendioxid der Luft mithilfe von Ökostrom flüssiger Kraftstoff herstellen lässt.

Die Forschenden haben ein innovatives System entwickelt, bei dem CO2 aus der Luft gefiltert und in einem vierstufigen Verfahren zu Kerosin, Benzin und Diesel wird. Die Prototypanlage in Karlsruhe produziert zehn Liter Kraftstoff am Tag, eine neue Anlage soll auf 200 bis 300 Liter kommen.

Das ist natürlich noch weit entfernt von industriellen Maßstäben. Doch zwei der Firmen, die in Karlsruhe mitarbeiten, Sunfire und Climeworks, haben sich dem Konsortium „Norsk-e-Fuel“ angeschlossen. Dieses plant in Herøya, einem Industriepark 150 Kilometer südwestlich von Oslo, eine Anlage, die ab 2023 jährlich zehn Millionen Liter synthetischen Kraftstoff produzieren soll. Ein Vorteil des Standorts an der norwegischen Küste wäre gute Verfügbarkeit von Wasserkraft zur Erzeugung grüner Energie. Davon braucht es reichlich, denn die Herstellung von E-Fuels ist extrem energieintensiv und bisher wenig effizient.

Die erneuerbaren Energien sind ein Knackpunkt mit Blick auf alle innovativen Technologien: Damit emissionsfreier Luftverkehr gelingen kann, braucht es einen weiteren Ausbau der Wind- und Sonnenenergie, darauf weist das DLR in seinem Whitepaper explizit hin. Denn nur wenn genügend erneuerbare elektrische Energie verfügbar ist, können synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff klimafreundlich erzeugt und Batterien mit Ökostrom geladen werden.

„Manchmal kommt es uns wie ein Tropfen auf den heißen Stein vor, was wir tun“, sagt Apus-Chef Phillip Scheffel. „Aber wir müssen beginnen, die fossilen Technologien in der Luftfahrt zu ersetzen und dürfen nichts unversucht lassen.“ In der Theorie ist auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Luftfahrt bereits vieles möglich. Bis die Technologien ihre Marktreife erreichen, wird wohl noch mindestens ein halbes Jahrzehnt vergehen. Und noch länger, bis sie als Massentransportmittel geeignet sein könnten. Bis dahin, so Phillip Scheffel, sollte die Devise lauten: „Lieber mal dem ICE den Vorzug vor dem Inlandsflug geben.“

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