Die Wohn-Zentrale

Arbeitsraum, Aufenthaltsraum, Wohnraum – Küchen waren früher schon häufig und sind heute mehr denn je der Mittelpunkt des eigenen Heims.
Illustration: Josephine Rais
Axel Novak Redaktion

Was waren das für die Zeiten, als die Partys neben dem Kühlschrank am schönsten waren. Und heute? Soziale Kontakte frieren ein. Irgendwie hat Corona die Menschen zurückgeführt in ihre Wohnhöhle. Dort wird gelebt, gearbeitet, gelernt und abseits der Öffentlichkeit gekocht und gegessen. Droht uns der soziale Abstieg zum eigenbrötlerischen Einsiedler?


„Der neue Trend heißt Home. Wir werden wieder gemeinschaftlicher und scharen uns um einen analogen Nukleus des Soziallebens“, sagt Professor Dr. Gunther Hirschfelder, vergleichender Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg. „Gerade weil die Eventkultur erodiert, wird das Zuhause immer wichtiger – vor allem für junge Leute. Das gemeinsame Kochen ist der niedrigschwellige Einstieg in die Eventkultur.“


Homeoffice, Homeschooling, Cocooning – die Küche wird also zum neuen Wohnmittelpunkt während und nach der Corona-Pandemie. Dabei dient Kochen schon seit langem nicht mehr nur der Nahrungsmittelzubereitung, sondern ist Teil der sozialen Selbstdefinition. Dabei orientieren sich viele Kücheneinrichter an aktuellen Wohn- und Lifestyletrends aus Skandinavien – wie Hygge (dänisch für Gemütlichkeit), Lagom (schwedisch für Balance) oder Sisu (finnisch für Beharrlichkeit). Diese werden übersetzt in gemütliche Wohn- und Landhausküchen, offene Kochzeilen, freistehende Modelle – sogenannte Range Cooker – und technisch ausgefeiltes Zubehör. Die Vernetzung wird künftig immer avancierter: Mit dem Handy, vom Tablet aus oder per Sprachbefehl können die elektrischen Geräte immer präziser gesteuert werden.


Gleichzeitig gehen – wenn genügend Platz vorhanden ist – Küche und Wohnbereich sanft ineinander über. Für die Küchenhersteller heißt das, dass sie Lösungen für Wohn-, Ess- und Arbeitsbereiche anbieten, um die Küche „Raum in Raum“ zu gestalten.


Dabei zeigen sie sogar ein bisschen sozialen Realismus: Ging es bisher meist um große Küchen, deren Nutzer in riesigen Lofts oder Neubauten mit gigantischen Wohn-Essbereichen wohnen sollten, steht heute die städtische Realität im Fokus. Die Kücheneinrichter planen Stauraum und Technik für Einraum-Wohnungen genauso wie für Reihenhäuser mit Küchennische.


Mit solchen neuen Ansätzen reagiert die Branche auch auf den sinkenden Umsatz. Bis zum Jahresende rechnen gut 40 Prozent der Unternehmen mit einem Umsatzrückgang von mehr als 20 Prozent, so der Verband der Deutschen Möbelindustrie (VDM).


Für Kunden hat die Not der Branche einen gewichtigen Vorteil: Wer jetzt seine Küche planen will, findet kompetente Ansprechpartner mit viel Zeit. Das merkt, wer im Netz nach Küchentrends sucht: Auf jeder Seite blinkt rasch der Chatbot auf und lädt zum Planen ein. Mit gutem Grund: Das Statussymbol Küche ist ja eine kostspielige Anschaffung, die dem Käufer im Durchschnitt rund 20 Jahre erhalten bleibt.


Der Home-Trend hat Folgen, die weit über Raum und Möbel hinausweisen: „Wir erleben eine De-Globalisierung. Das bedeutet in diesem Kontext ein neuer Hype des Regionalen“, sagt Hirschfelder. Regionale Lebensmittelhändler und lokale Fachgeschäfte könnten bald Aufwind spüren. Die Küche will ja auch genutzt werden.

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