Wenn der deutsche Hip-Hop-Musiker Peter Fox seinen Hit „Haus am See“ singt, klingt die Aussicht, alt zu werden, nach einem romantischen Spaziergang in sorgenfreiem Wohlstand. Die Realität sieht häufig anders aus. Berufsbetreuerin Sabine Müller trifft oft auf Krankheit und Armut. Müller ist verantwortlich für Menschen, die aufgrund von meist altersbedingten Erkrankungen wie Krebs oder Demenz oder wegen psychischer Probleme nicht mehr in der Lage sind, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern – und keine nahestehenden Personen haben, die das für sie übernehmen.
„Die Menschen sind oft vom Schicksal schwer getroffen, beziehen Grundsicherung und können von Vergnügungen wie Urlaub oder Restaurantbesuchen nur träumen. Trotzdem sind sie einigermaßen happy“, berichtet die Berufsbetreuerin. „Zumindest solange sie in den eigenen vier Wänden leben können.“ Das ist auch das Ergebnis der letzten Studie „Hohes Alter in Deutschland“, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde. Danach sind sogar viele Menschen mit 80 Jahren und älter mit ihrem Leben zufrieden und fühlen sich wohl, besonders, wenn sie im eigenen Zuhause leben. Ob das gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Die wichtigsten Garanten für ein langes, gesundes und selbständiges Leben sind seit langem bekannt: gesunde Ernährung auf Pflanzenbasis, regelmäßige Bewegung zur Stärkung von Muskeln und Herz-Kreislauf-System, Vermeiden von Genussgiften wie Alkohol, vor allem Verzicht aufs Rauchen. Seit einiger Zeit wird auch betont, wie wichtig soziale Kontakte sind. Viele Ältere sind kaum mobil, Verwandte wohnen weit weg, Freunde sind verstorben; wen soll man also treffen? Mit wem kann man reden? Die Initiative „Kulturistenhoch 2“ der Hamburgerin Christine Worch ist ein Beispiel für privates Engagement. Sie schafft Begegnungen zwischen Alt und Jung. Schülerinnen und Schüler treffen sich mit Seniorinnen und Senioren, besuchen gemeinsam Kulturveranstaltungen und tauschen sich über ihren Alltag aus.
»Gesundes, glückliches Alter ist nur zu einem geringen Teil genetisch vorbestimmt.«
Trotz öffentlicher Hilfen und privater Initiativen werden viele Probleme in den kommenden Jahren zunehmen. Inzwischen sind die Babyboomer, die Alterskohorte der zwischen 1955 und 1964 Geborenen, im Rentenalter. Gesundheits- und Pflegekosten steigen. Daran ist auch der medizinische Fortschritt schuld. Bereits 2018 hat die Weltgesundheitsorganisation das Alter als eigenständige Krankheit in ihre International Classification of Diseases (ICD) aufgenommen.
Geforscht wird nicht nur nach Hilfe gegen typische Alterserkrankungen wie Demenz, Inkontinenz und Herzprobleme, sondern gegen die eigentliche Krankheit, das Älterwerden selbst.
Wissenschaftler wie die Biologen Professor David Sinclair und Dr. Peter Attia wollen das menschliche Leben in Länge und Qualität optimieren. Longevity heißt das Zauberwort, gesund alt werden; Longevity-Gurus wie Sinclair, Attia oder der Mitochondrien-Experte Aubrey de Grey, der über die Kraftwerke der Zelle geforscht hat, prognostizieren den Menschen eine maximale Lebensdauer von deutlich über 120 Jahren. Die Politik zieht, wenn auch noch zögerlich, nach. So fordert die Partei für schulmedizinische Verjüngungsforschung, gegründet 2015, massive Investitionen in Biologie und Medizin, um typische Alterskrankheiten wie Krebs, Diabetes II und Alzheimer zu bekämpfen. Ihr Ziel: Der Mensch soll 1.000 Jahre alt werden.
Alleine mit gesunder Lebensführung gelingt das wohl nicht. Longevity-Experten und sogenannte Bio-hacker, die aus ihren Langlebigkeitsaktivitäten eine echte Lebensaufgabe samt lukrativer Einnahmequelle als Influencer auf Social Media machen, nutzen Pülverchen und Pillen wie zum Beispiel NMN und Quercetin, Spermidin und Resveratrol. Mit deren Hilfe soll das Altern der Zellen verlangsamt und sogar rückgängig gemacht werden können. Eine ganze Liste dieser Nahrungsergänzungsmittel nimmt etwa Professor Sinclair zu sich und freut sich öffentlich, dass sein biologisches Alter zehn Jahre weniger betrage als jenes, das in seinem Ausweis steht. Begleitend zu Medikamenten und Nahrungsergänzungsmitteln empfehlen Sinclair und Kollegen ganz klassisch Eisbäder, Fasten (zumindest gelegentlich), hochwertige pflanzliche, unverarbeitete Lebensmittel, gelegentlich fetten Fisch sowie ausreichende Bewegung. Bei diesen relativ einfach umzusetzenden Maßnahmen können spezielle Programme der Krankenkassen für Stressabbau, gesunde Ernährung und besseren Schlaf helfen.
Der Erfolg dieser Aktivitäten beweist, dass ein gesundes, glückliches Alter nur zu einem geringen Teil genetisch vorbestimmt ist. Vielmehr gilt das Motto „Jeder ist seines Glückes beziehungsweise seiner Gesundheit Schmied“. Entscheidend ist die individuelle Aktivität bei der Gestaltung verschiedener Lebensphasen. Dazu kann auch eine zweite Karriere im Rentenalter gehören, wie sie die Journalistin und Demografie-Expertin Margaret Heckel in ihrem Buch „Der Weg in den Unruhestand“ beschreibt. „Wir sind in einer historisch einmaligen Situation und müssen unser Arbeits- und Sozialsystem komplett neu ausrichten“, so Heckel. „Die feste Aufteilung unseres Lebens in die Phasen Lernen, Arbeiten, Ausruhen wird ersetzt durch kürzere Phasen, in denen sich diese Abschnitte häufiger abwechseln. Es ist mehr Flexibilität wie zum Beispiel in nordischen Ländern erforderlich, in denen es viel einfacher ist, das Rentenalter frei zu wählen und Teilrenten zu beziehen. Vor allem müssen wir die Rush Hour des Lebens entzerren und frühere Ausruhphasen während der Berufstätigkeit zulassen.“ Heckel prognostiziert, dass es mehr berufliche Quereinsteiger, neue Berufsbilder und häufige Wechsel zwischen Berufen und Funktionen geben werde. „Wir haben heute die Chance, den Sinn und unsere generelle Lebenszufriedenheit in allen Lebensphasen, auch im Alter, zu steigern.