Auf dem Königsweg

Der bayerische Märchenkönig Ludwig II. hatte Sinn für Schönes und liebte die Abgeschiedenheit. Er ließ sich sein erstes Schlösschen auf fast 2.000 Metern Höhe bauen. Bis heute hat der Ort nichts von seinem Zauber verloren.
Illustration: Constanze Behr
Gaby Herzog Redaktion

Nasse Füße kann der Auerhahn wirklich gar nicht leiden. Der Vogel mit seinen glänzenden schwarzen Federn ist auf einen Baumstumpf gehüpft und sonnt sich. Den Schnabel gen Himmel gerichtet, hat er den rechten Flügel aufgefächert, um ihn zu trocknen. Wir, eine Gruppe Wanderer auf dem Weg hinauf zur Schachenalpe, haben den seltenen Vogel von Weitem gesehen und sind leise ein paar Schritte zurück getreten. Sobald das Knirschen unter den Sohlen verstummt ist, hört man es plätschern. Viele kleine Rinnsale sind unter dem Gras und den dichten Mooskissen versteckt und leiten das restliche Schmelzwasser den Berg hinunter. Erst nach fast einer Minute merkt der eitle Auerhahn, dass er nicht mehr alleine ist und verschwindet mit einem unbeholfenen Hopser im Unterholz.


Wer auf diesem wildromantischen Weg wandert, versteht sofort, warum die meisten Deutschen ihre Ferien im eigenen Land verbringen. Das hat auch Ludwig II. so gesehen. Der bayerische König hat sich auf der Alpe, in 1876 Metern Höhe, einst ein kleines Lustschlösschen bauen lassen. Mit einem eigens konzipierten Wagen ließ sich der exzentrische Märchenkönig zu seinem Lieblingsort kutschieren. Etwa drei Mal im Jahr kam er für eine Woche nach hier oben. Heute ist der Schachen nur zu Fuß zu erreichen. Etwa vier Stunden dauert der Marsch. Die Wanderroute im Wettersteingebirge gehört zu den schönsten Touren der Region. Es ist der Königsweg – im wahrsten Wortsinn!


Die ersten Vorboten des Sommers sind der stengellose Enzian, das gelbe Bergaurikel und die hübschen Alpenglöckchen: Ihre lilafarbenen Hütchen, die an kahlen braunen Stielen aus dem Boden schauen, sehen aus wie winzige Lampions. Nicht nur weil das Umfeld noch recht wintergrau und karg ist, erscheinen die Blüten hier oben als besonders starke Farbtupfer. Der hohe Anteil an energiereichem UV-Licht in der Höhe fördert die Entstehung von Farbstoffen und beschleunigt den Stoffwechselprozess. Deshalb sind die Blüten der Alpenpflanzen größer und farbenprächtiger als die ihrer Verwandten unten im Tal. Um sich gegen Frost zu schützen, reichern viele Pflanzen Kohlehydrate an und sind in der Lage, mit grünen Blättern zu überwintern. Sobald Schnee und Eis geschmolzen sind, können ihre Knospen austreiben. Der Sommer ist kurz und intensiv.


Oberhalb der Baumgrenze erreichen wir das Lustschloss. Es liegt auf einem freien Plateau mit Blick über das Reintal bis zur Zugspitze. Der Bau ist von außen eher schlicht gehalten und lässt den Glanz hinter den Buntglasfenstern im Inneren kaum vermuten. Im „Türkischen Saal“ dringt das Sonnenlicht durch bunte bleiverglaste Fenster und taucht den Raum in ein weiches Licht. Diwane und Sessel sind reich verziert und bestickt. In der Mitte des Salons sprudelt ein orientalischer Springbrunnen, in goldenen Vasen stehen Fächer aus Pfauen- und Straußenfedern. Der prächtige Kronleuchter ist nicht nur ein Deko-Element: Mit seinem enormen Gewicht trägt er dazu bei, dass das Dach des kleinen Schlösschens bei den schweren Winterstürmen fest gehalten wird.


Gerade dank dieser Abgeschiedenheit hat der Ort seinen besonderen Zauber bewahrt. Während an anderen Bauwerken des Märchenkönigs der Massentourismus tobt, hört man hier oben die Murmeltiere pfeifen und kann die Gamsböcke beobachten, wie sie geschickt in der grauen Felswand oberhalb des Schlösschens klettern. Eine Wandertour in eine andere Welt. 

 

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