Abenteuer Landhaus

in|pact-media-Chefredakteur Mirko Heinemann hat ein paar neue Hobbys: Schleppen, Wuchten, Rühren und Spachteln. Und Handwerkervideos schauen.

Illustration: Nicole Pfeiffer
Illustration: Nicole Pfeiffer
Mirko Heinemann Redaktion

Die Wochenenden mit Museumsbesuch, Waldspaziergang und Abendessen mit Freunden sind selten geworden. Als jüngst wieder die große Tochter bei uns zu Besuch war, gestaltete sich unser Sonntag so: Früh klingelte der Wecker, dann hieß es aufstehen, anziehen und ab ins Auto. „Und was ist mit Frühstück?“, fragte die Tochter fassungslos, die uns bis dato nur als Wochenend-Langschläfer mit Brunch und Endloskaffee kannte.

„Wir holen etwas beim Bäcker“, beschieden wir. Ihre Augen wurden immer größer, bis sie verstand, dass wir es ernst meinten. Er war aber angekündigt, der Ausflug zu unserem neuen Lieblingsziel. Dessen Bezeichnung ist abweichend, je nachdem, wen man fragt: Baustelle. Handwerkerobjekt. Ruine. Wir sagen: Landhaus mit Scheune und großem Garten. Dass bis dorthin noch ein gewisser Weg zurückzulegen sein würde, war im Kauf eingepreist.

Wir stopften die halb schlafenden Kinder auf den Rücksitz, dahinter stapelten sich bereits 90 Kilogramm Fertigputz, ein Gerät zum Abschleifen von Decken und Wänden und eine Palette, die wir auf der Straße gefunden hatten. Außerdem diverse Pinsel, Rollen, Schnellbauschrauben, die Flex, die schon seit Wochen auf ihre Reparatur wartete, eine neue Baulampe, weil es im Herbst schon früh dunkel wird. Quer durch das Auto ragten stählerne U-Profile für den Einsatz im Trockenbau.

Und dann ging es raus aus der Stadt. Dorthin, wo die wenigen Menschen, die dort leben, sich mit einem „Moin“ grüßen und Redewendungen wie „Weissu“ und „Sachmaschnell“ benutzen. Sie glauben, dass es in der Großstadt zu laut ist und dass wir deshalb aus ihr fliehen, dorthin, wo sie selbst leben: im Bauerndorf, in dem morgens um sieben die Traktoren dröhnen, die Kettensägen kreischen und die Hunde bellen. Wo aber auch am Abend der Waldkauz ruft, der Jupiter, der Vollmond und der Mars nacheinander vor dem Fenster aufgehen und die Milchstraße über den silbrig glänzenden Pappeln sichtbar wird.

Solche Momente möchten erarbeitet werden. Als wir das Haus übernahmen, sah es von außen ganz okay aus, innen hatte aber jemand eine Bombe gezündet. Der Vorbesitzer nannte es „Vorarbeiten“, was beinhaltete, dass er im Flur einen Zementestrich gegossen hatte, aus dem so viele elektrische Leitungen herausragten, dass man eine Industrie-4.0.-Fertigungsanlage hätte anschließen können. Er freute sich darüber, denn klar, je mehr Kabel, desto besser. Wir freuten uns auch und glaubten einen tollen Deal gemacht zu haben: so viele Kabel, an denen man so viele schöne Geräte würde anschließen können! Und der Fußboden, der war ja auch schon fertig, wie schön!

»Unsere Familiengespräche drehen sich um Baustellenorganisation, Materialpreise, Lieferkosten.«


Am Ende, so viel sei verraten, ließen wir den Zement von zwei Bauarbeitern aufstemmen und entsorgen. Die regelwidrig verlegten Kabel brachten uns beim Schrotthändler noch hundert Euro ein, immerhin. Das andere war der Zustand der anderen Räume. Die Böden fehlten, man stand im Sand. Der Putz an den Wänden war zum Teil abgeschlagen, der andere Teil war feucht und bröselig. Türen gab es auch nicht. Auch keine sonstigen Einrichtungsgegenstände.

Unsere erste Nacht verbrachten wir auf dem Dachboden. Dort schlug uns der Odem der DDR entgegen. Die dort eingezogenen Wände waren aus Plaste, also Kunstholz, der Boden aus Elaste, auf den Dielenbrettern lag rotbraunes PVC. Darunter fanden wir Zeitungsseiten aus dem „Neuen Deutschland“ der 1980er. Fliegen schwirrten um unsere Köpfe. Wir meißelten als Erstes eine feuchte Stelle unter dem Dachfenster frei, dichteten die Fensterbank mit Zement und Silikon ab und verputzten die Wand neu. Danach atmeten wir tief durch.

Das war vor einem Jahr. Seitdem brauchen wir uns nicht mehr den Kopf zu zerbrechen, was wir an den Wochenenden unternehmen sollen. Jeden Freitag geht es in den Baumarkt. Unsere Familiengespräche drehen sich um Baustellenorganisation, Materialpreise, Lieferkosten. Und um den Fachkräftemangel, der sich vor allem in den klassischen Gewerken bemerkbar macht: Maurer, Verputzer, Estrichleger, Fliesenleger, Elektriker, Heizungsinstallateure. Alles Leute, die wir dringend brauchen und die ausgebucht sind bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Und diese Preise, um Himmels willen! Nach jeder Telefonsession mit den Firmen empfehlen wir unseren Töchtern eindringlich, die akademische Laufbahn zu meiden und einen Handwerkerbetrieb zu gründen.

Wenn wir keine Handwerker finden, machen wir es eben selbst. Da gibt es mehrere positive Nebeneffekte: Zum einen sparen wir uns ein teures Sportstudio, denn die Schlepperei, Wuchterei, Kletterei und das Rühren und Spachteln und Überkopfarbeiten, das Hinundherlaufen auf der Suche nach dem ewig verschwundenen Werkzeug – das ist viel effektiver als das bisschen Training am Rudergerät oder am Crosstrainer. Dazu kommt eine gewisse kreative Nuance, die sich ergibt, wenn wir Wände oder Decken verputzen. Sieht halt nicht aus wie von der Stange, nicht wahr?
Die Muskeln wachsen, die Schwielen an den Händen blühen. Und seit sich rumgesprochen hat, dass wir da sind, entspannt sich auch der Fachkräftemangel. Denn hier draußen auf dem Land ist jeder Zweite von Beruf Handwerker, und der Bruder und Schwager auch. Jeder weiß noch von jemandem, der noch Kapazitäten frei hat oder doch noch einen Auftrag dazwischenschieben kann. So muckeln wir uns durch Mund-zu-Mund-Propaganda von Gewerk zu Gewerk, und wenn es mal hängt, packen wir halt selbst an.

Seit Neuestem haben wir sogar eine Heizung! Im November ist das allerdings ein unverzichtbares Detail. Den letzten Winter haben wir in unguter Erinnerung: Unablässig heulte der Heizlüfter, während wir sieben Tonnen Schutt, Putz und Mauerreste aus dem Haus räumten und in Container schippten. Wir keuchten und schwitzten und hatten dennoch immer klamme Hände und halb erfrorene Füße.

Noch stört uns die Campingsituation auf dem Dachboden ein wenig, und es ist wirklich nervig, dass wir weder eine Dusche noch ein WC haben. Dafür haben wir eine nette Nachbarin, deren Türen uns offen stehen und die uns mit Kartoffelpuffer und Obstsuppe verwöhnt. Die ungemütliche Sanitärsituation soll sich bald ändern. Heute Abend schauen wir wieder Handwerkervideos auf YouTube. Diesmal die Folge: „Sigma-Element WC verkleiden mit Gipskarton“. Wir sind schon sehr gespannt.
 

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