Eva Eichenauer forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Ihre Schwerpunkte sind demografischer Wandel und die Lebensverhältnisse in Stadt und Land.
Frau Eichenauer, gibt es in Deutschland eine neue „Landlust“?
Tatsächlich geht der Trend dazu, dass Menschen vermehrt aufs Land ziehen. Und zwar nicht erst seit Corona, sondern durchaus auch schon seit 2016 oder 2017. In unserer Studie, die wir dazu letztes Jahr veröffentlicht haben, konnten wir den Wanderungssaldo von Gemeinden berechnen. Ist der Wanderungssaldo eines Ortes positiv, ziehen mehr Menschen hin als weg. Ist er negativ, ziehen insgesamt mehr Menschen weg. Zu beobachten war, dass gerade im ländlichen Raum der Wanderungssaldo zunehmend positiv wird. Besonders gut sieht man das an einem Vergleich mit den Jahren 2008 bis 2010 und 2018 bis 2020. Im früheren Zeitraum waren die Wanderungssalden im ländlichen Raum negativ. Das hat sich zehn Jahre später stark gewandelt. Es wandern zwar immer noch Menschen in Städte ab, aber auch im ländlichen Raum und im peripher gelegenen ländlichen Raum ist der Wanderungssaldo durchaus positiv. Es ziehen wieder mehr Menschen hin als weg.
Wohin ziehen diese Menschen? Nur in den nächsten Speckgürtel oder richtig weit raus?
Der Speckgürtel ist natürlich beliebt und immer ein Renner. Aber auch das hat sich in den letzten Jahren, und damit meine ich von 2008 bis 2020, verändert. Anfangs sind die Menschen vor allem in zentral gelegene Landgemeinden gezogen, also in die klassischen Speckgürtel. Ab 2016 zogen sie auch in ländliche Regionen, die etwas weiter draußen liegen, und später auch in das, was man sehr peripher gelegene Landgemeinden nennt. Ab 2019 war es eigentlich egal, wo die Landgemeinden lagen, ob eher nah an einem Ballungsgebiet oder relativ weit draußen. Hier haben sich die Wanderungssalden angeglichen. Um das mal mit Zahlen zu belegen: 2008 bis 2010 hatten 27, 7 Prozent der Dörfer einen positiven Wanderungssaldo. Zehn Jahre später waren das schon 63,2 Prozent. Der Anteil der Landgemeinden, in die mehr Menschen hin- als weggezogen sind, hat sich in dem Zeitraum mehr als verdoppelt.
Wen zieht es am meisten aufs Land?
In unserer Studie sind es vor allem die 30- bis unter 50-Jährigen, in Verbindung mit den unter 18-Jährigen, deren Kindern. Diese Gruppe bezeichnen wir als klassische Familienwanderinnen und -wanderer. Sie lassen sich demografisch übrigens gut abgrenzen von denen, die in die Städte ziehen. Das sind überwiegend Menschen zwischen 18 und 25 Jahren, die fertig mit der Schule sind und den ländlichen Raum verlassen. Die Gruppe, die aufs Land zieht – das haben wir in unseren qualitativen Interviews herausgefunden, besteht in der Regel aus der klassischen Kleinfamilie. Also Vater, Mutter, zwei Kinder, Mittelschicht, Einfamilienhaus. Natürlich gibt es auch noch andere Personen, die in Landgemeinden ziehen, Pioniere, die sich alte Höfe in Brandenburg kaufen und dort ein Wohnprojekt aufziehen. Auch eine sehr geringe Zahl älterer Menschen treibt es aus den Großstädten raus, weil es auf dem Land ruhiger ist. Aber das sind insgesamt nicht viele.
Warum gewinnt der ländliche Raum an Attraktivität?
Ein wichtiger Grund sind die Kosten. Die Mietpreis- und Kaufpreisentwicklung in den Ballungsgebieten ist gerade exorbitant. In den Städten ist kaum bezahlbarer Wohnraum zu finden und im ländlichen Raum ist der durchaus noch bezahlbar. Deswegen ist eine Frage, die man sich auch stellen muss: Ist es eine Landlust oder doch eher eine Stadtflucht, weil viele sich die Stadt nicht mehr leisten können? Aber auch der Wunsch nach einer eigenen Immobilie und nach mehr Platz ist ein wichtiger Grund. Die eigene Immobilie lässt sich im ländlichen Raum besser verwirklichen, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist um einiges besser. Die Familien mit Kindern, die aufs Land ziehen, wollen nicht nur mehr Platz haben, sondern wünschen sich auch ein bestimmtes Umfeld, in dem ihre Kinder groß werden können. Viele von ihnen gehen gerne wieder in den Ort zurück, in dem sie aufgewachsen sind. Hier haben sie dann oft auch ein besseres Betreuungsnetzwerk durch Großeltern oder andere Familienmitglieder.