Arbeit im Wandel

Flexibilisierung heißt das Wort der Stunde. Arbeitgeber hält sie wettbewerbsfähig, Arbeitnehmer macht sie krank. Aber stimmt das wirklich?
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Illustration: Irene Sackmann
Klaus Lüber Redaktion

Flexibel zu sein ist eigentlich etwas Gutes. Wenn Dinge flexibel sind, dann können sie sich besser an ihre Umgebung anpassen, sie halten Belastungen besser aus, gehen weniger leicht kaputt. Wenn Menschen flexibel sind, dann verhält es sich ähnlich. Auch sie passen sich leichter an, können mit den ständigen Veränderungen, die das Leben mit sich bringt, besser umgehen. Aber was genau passiert, wenn Arbeit flexibel wird?


Elke Ahlers arbeitet am Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Themen „Arbeitsbedingungen und Gesundheit“ und „Work-Life-Balance“. Unsere Arbeitswelt, sagt Ahlers, ist im Begriff, sich grundlegend zu wandeln. Und dieser Wandel zeige sich auch in der Tatsache, dass immer mehr Menschen sich wünschen, flexibler zu arbeiten. „Zum einen haben sich die Ansprüche der Beschäftigten geändert. Familie, Freizeit, soziales Engagement sind im Wert stark gestiegen.“ Zum anderen hätten natürlich auch die Unternehmen ein veritables Interesse an einer zunehmenden Flexibilisierung, zum Beispiel durch die bessere Anpassung an schwankende Auftragslagen.


Also im Grund eine Win-win-Situation? Leider nicht ganz. „Obwohl die Vorteile sowohl für die Unternehmen als auch für die Beschäftigten auf der Hand liegen, dient Flexibilisierung im Augenblick vor allem den Unternehmensinteressen“, so Ahlers. „Theoretisch haben die Beschäftigten schon jetzt mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeiten, etwa über Gleitzeit, Arbeitszeitkonten oder Vertrauensarbeitszeit. Wir wissen aber aus Befragungen: wenn sie verantwortlich sind für bestimmte Arbeitsergebnisse oder für Projektziele oder Deadlines, dann entscheiden sie sich letztlich mehr oder weniger selbst dafür, ihre Freizeit zu opfern.“


Eine solche Vermischung von Leben und Arbeit führe dann letztlich dazu, dass sich die vermeintlichen Vorteile der neuen Arbeitswelt in das genaue Gegenteil verkehren. „Wir wissen mittlerweile aus einer Vielzahl von Studien, dass Aspekte wie ständige Erreichbarkeit, hoher Verantwortungsdruck und fehlende Erholungsmöglichkeiten die Gesundheit der Beschäftigten beeinträchtigen können. Vor allem die psychischen Belastungen nehmen zu“, so Ahlers. Dreimal so viele Krankschreibungen wie vor 15 Jahren, so berichtet die DAK in ihrem aktuellen Psychoreport, gehen auf Diagnosen wie Depression, Angststörung, Erschöpfungssyndrom oder Neurose zurück. 2014 waren das 1,9 Millionen Menschen.


Wunsch nach Anerkennung

Heißt das also, um Arbeitnehmer gesünder zu halten, müsste man dafür sorgen, dass die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit wieder schärfer wird? Liest man nicht immer häufiger von Unternehmen, die ihre Mitarbeiter dazu anhalten, spät in der Nacht keine E-Mails mehr zu beantworten? Und ist nicht mittlerweile auch zu den Arbeitnehmern die Erkenntnis durchgedrungen, dass es besser wäre, das Smartphone abends einfach einmal zu ignorieren, um nicht wie der arme Kollege oder die arme Kollegin in den Burnout abzurutschen?


So einfach ist es leider nicht. Noch viel mehr als eine gut ausgewogene Work-Life-Balance scheint es ein gutes Arbeitsklima zu sein, das Menschen im Job gesund hält. „Arbeit ist aus neurobiologischer Sicht eine der besten Möglichkeiten, ein menschliches Grundbedürfnis zu befriedigen: den Wunsch nach Anerkennung“, sagt der Mediziner Joachim Bauer, der sich seit vielen Jahren mit der Frage beschäftigt, wann Arbeit uns gesund hält und wann sie krank macht. „Wenn diese Resonanzerfahrung fehlt und Menschen am Arbeitsplatz zu wenig oder keine Rückmeldung bekommen, steigt das Krankheitsrisiko.“


Für Bauer liegt es vor allem in der Verantwortung der Führungskräfte, Kontakt zu halten und bei Mitarbeitern das Gefühl entstehen zu lassen, das eigene Engagement finde Beachtung. Nur dann wäre es möglich, die Qualität der Arbeit langfristig zu verbessern. „Vorgesetzte sollten grundsätzlich freundlich auftreten, sollten aber auch klar definieren, welche Ziele erreicht werden sollen. Sie sollten gute Arbeit wertschätzen und loben, aber auch keine Angst davor haben, Defizite und Mängel zu benennen. Dabei sollte auf Ausgrenzung und Demütigung von Mitarbeitern verzichtet werden.“


Betriebliches Gesundheitsmanagement

Die entscheidende Frage wäre nun natürlich: sind sich die Unternehmen dessen eigentlich bewusst? Und was tun sie schon für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter?


Thomas Olbrecht ist Bereichsleiter der Markt- und Sozialforschung des Marktforschungsunternehmens EuPD Research. In Kooperation mit dem TÜV Süd, dem Handelsblatt und der ias Gruppe prämiert EuPD Research jedes Jahr Unternehmen für den Corporate Health Award. Ausgezeichnet wird ein herausragendes Engagement im Bereich Betriebliches Gesundheitsmanagement. Man könnte also sagen, Herr Olbrecht hat einen guten Überblick darüber, was in Unternehmen im Bereich Gesundheitsmanagement (BGM) gerade passiert. Die Bedeutung der Mitarbeitergesundheit, stellt Olbrecht fest, wächst immens. „Wo früher einzelne Maßnahmen das Gesundheitsmanagement prägten, steht bei der Mehrheit der von uns geprüften Unternehmen mittlerweile ein strategisches Gesamtpaket.“


Das jedenfalls scheinen die Gewinner des aktuellen Awards, der am 19. November in Bonn verliehen wurde, zu bestätigen. Ausgezeichnet wurde zum Beispiel das Pharmaunternehmen Abbvie. Yoga- und Fitnesskurse für Mitarbeiter sind Standard. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, sich umfassend medizinisch untersuchen und beraten zu lassen. Besonders beeindruckt hat die Jury ein spezielles Programm zur Prävention und Therapie psychischer Belastungen und Störungen. Ebenso Programme, die den Übergang in den Ruhestand gestalten. So lernen Mitarbeiter beim Projekt „time goes bye“ Wissen über ihren Ruhestand hinaus im Unternehmen weiter zu verankern. In einem virtuellen Campus können im Ruhestand befindliche Mitarbeiter sich weiterhin als Mentoren einbringen.


Ebenso das Unternehmen Sick, ein Mittelständler aus dem Schwarzwald, das zu den weltweit führenden Anbietern von Sensortechnik gehört. Auch hier bescheinigen die Experten ein vorbildliches Gesundheitsmanagement, vor allem im Bereich der sogenannten psychischen Gefährdungsbeurteilung. Nach einer Spezifikation des Arbeitsschutzgesetzes aus dem Jahr 2013 ist jedes Unternehmen, das mehr als einen Mitarbeiter beschäftigt, dazu verpflichtet, die psychische Belastung der Angestellten zu erfassen. Die Sick AG hat hierzu eine Kombination aus validierten Fragebögen und qualitativen Workshops entwickelt. Zunächst werden die unterschiedlichen Belastungsfaktoren, zum Beispiel soziale Faktoren, Umfeld, Organisation und Aufgaben, ermittelt. Anschließend werden die Ergebnisse sowohl mit Führungskräften als auch mit Mitarbeitern separat diskutiert und Handlungsableitungen sowie Pflichten generiert.


Wettbewerbsvorteil Gesundheit

Das sind beeindruckende Beispiele. Dennoch, gibt Olbrecht zu bedenken, spielt BGM längst noch nicht in jedem Unternehmen eine so große Rolle. „Während die Unternehmen, die sich bei uns bewerben, das Thema BGM größtenteils vorbildlich umsetzen, so wissen wir auf Basis unserer Analysen auch, dass deutschlandweit nur etwa die Hälfte der Unternehmen über ein ausreichendes Gesundheitsmanagement verfügt.“


Eine psychische Gefährdungsanalyse beispielsweise sei relativ anspruchsvoll. „Schließlich geht es um eine umfassende Auflistung sämtlicher Faktoren, die zu negativem Stress führen könnten. Von der Lärmbelastung, der Lichtsituation bis hin zum allgemeinen Arbeitsklima. Damit beschäftigen sich viele Unternehmen gar nicht.“ Das kann auch Elke Ahlers vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung bestätigen. „Aus einer aktuellen Betriebsrätebefragung unseres Instituts wissen wir, dass im Augenblick nur 24 Prozent aller Unternehmen solche Gefährdungsbeurteilungen tatsächlich umsetzen.“


Thomas Olbrecht von EuPD Research ist dennoch zuversichtlich, dass das Thema BGM in den nächsten Jahren weiter an Bedeutung zunehmen wird. Und zwar auch aus handfesten ökonomischen Gründen. „Ein systematisches Gesundheitsmanagement wird für viele Unternehmen ein Wettbewerbsvorteil im Kampf um Fachkräfte sein.“ Einen Kampf, den besonders mittelständische Unternehmen ausfechten werden, die schon heute unter den Folgen des demografischen Wandels leiden.


Wie strategisch sinnvoll eine solche Investition in jedem Fall sein könnte, zeigt auch die Tatsache, dass das Thema Gesundheitsmanagement nun auch an den Hochschulen immer wichtiger wird – also genau an den Orten, an denen die Fachkräfte von morgen ausgebildet werden. Ein Gesundheitspass für Mitarbeiter, ein Abo im Fitnesszentrum, mobile Massageangebote, Nichtraucherkurse, Grippeschutzimpfungen, Herzscreening, Lungen-Check, Coachings zur Entspannung – für diese Vielfalt an Angeboten erhielt die Hochschule Paderborn im letzten Jahr den Coporate Health Award.

Erster Artikel
Karriere
Oktober 2023
Illustration: Marina Labella
Redaktion

Frauen in Führung

Der Aufbau einer chancengleichen Organisation ist nicht nur Aufgabe der Personalabteilung. Vielmehr sollte Female Leadership als Teil der Unternehmensstrategie verstanden werden und auch Gegenstand eines ganzheitlichen Führungsverständnisses sein.