Generation Plattform

Die Digitalisierung stellt alte Geschäftsmodelle infrage. Plattformen bieten aber auch der Old Economy die Chance, sich vor Disruption zu schützen sowie flexibler und mobiler zu werden.
Illustration: Agata Sasiuk
J. W. Heidtmann Redaktion

Wer in Nordrhein-Westfalen eine längere Autofahrt antritt, für den gehören die Staunachrichten im WDR zum Pflichtprogramm. In keinem anderen Bundesland gibt es mehr Staus, mehr Baustellen. Radio? Wie altertümlich, mag sich manch einer sagen. Moderne Navigationssysteme integrieren doch längst die aktuellen Staumeldungen in ihre Angaben zu Fahrtzeiten oder erstellen Alternativrouten.


Auch der Dienst „Google-Verkehr“, den jeder Internetnutzer im Rahmen des Kartendienstes Google Maps kostenlos nutzen kann, bündelt die anonymisierten Bewegungsdaten aller Android-Smartphones und kann so in Echtzeit Staus auf den Autobahnen erkennen, anzeigen und mit Navigationsdaten verknüpfen. Mit dem Aufkommen der mit dem Internet vernetzten Automobile, also der so genannten Car2X und Car2Car-Kommunikation, werden solche Dienste noch effektiver. Dann melden auch Autos Staus, Hindernisse oder Unfälle in Echtzeit – im besten Fall direkt an den nachfolgenden Fahrer, der dann noch die Ausfahrt nehmen kann, bevor er in der Totalsperrung gefangen ist. Niemand wird dann mehr seine Zeit mit dem Zählen von Staumeldungen im Radio vergeuden müssen. Dem Radio geht damit allerdings ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Im Gegenzug gibt es mehr Sendezeit für Musik und Informationen. Das Kerngeschäft wird gestärkt.


Digitale Plattformen übernehmen immer mehr bestehende Dienstleistungen und stellen sie den Nutzern über mobile Geräte bereit. Viele althergebrachte Unternehmen empfinden dies als Bedrohung, zumal sie von branchenfremden Anbietern kommt. So beginnen in der Reisebranche reine Internetfirmen wie Google oder Facebook bereits die Buchung ganzer Reisepakete und fordern so die Branche heraus. Michael Faber, Geschäftsführer des Beratungsunternehmen Tourismuszukunft, spricht bereits von einer „Revolution der Veranstaltersysteme“ durch digitale Plattformen. Jahrelang gewachsene Systeme seien überholt, nun drängten neue Anbieter mit digitalen Lösungen auf den Markt.


Solche Disruption kann vermieden werden, wenn die „Old Economy“ selbst frühzeitig den Trend erkennt. Man muss nicht Uber heißen, nicht Airbnb oder Booking.com, um sein Geschäftsmodell intelligent in den digitalen Raum hinein zu erweitern. Der börsennotierte Stahlhändler Klöckner & Co etwa hat für seine Branche eine eigene Digitalisierungsstrategie entwickelt – auf einer Plattform. Die Liefer- und Leistungskette in der Stahlindustrie sei heutzutage „hochgradig ineffizient“, heißt es bei Klöckner. Viele Transaktionen würden noch per Telefon, Fax oder E-Mail abgewickelt.


Nun digitalisiert das Unternehmen seine Liefer- und Leistungsketten mit dem Ziel, eine internetbasierte Plattform für den Stahlhandel zu entwickeln. Mit einem durchgängig digitalen Order- und Produktionsmanagement möchte der Konzern hohe Lagerkosten abbauen sowie die Prozesskosten verringern. Um den Wandel des Geschäftsmodells möglichst innovativ zu gestalten, hat der Stahlhändler eigens ein Start-up-Unternehmen ins Leben gerufen: kloeckner.i, das in Berlin residiert. Schon im Jahr 2019 will Klöckner über die Hälfte des Konzernumsatzes online erzielen.

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