Vernetzte Welt

Wie ist der Stand der Dinge beim Internet der Dinge?
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Illustration: Ksenia Kostritski
Klaus Lüber Redaktion

1987 wurde der US-amerikanische Informatiker Mark Weiser zum Leiter des Computerlabors im damals schon legendären Palo Alto Research Center (PARC) der Firma Xerox berufen. Dort stellte man 1973 Xerox Alto vor, ein etwa kühlschrankgroßes Gerät mit Bildschirm, Tastatur, Maus, grafischer Benutzeroberfläche und einem Netzwerkanschluss – einer der wichtigsten Vorläufer des späteren Personal Computers. Doch 14 Jahre nach dieser bahnbrechenden Erfindung und lange, bevor der PC sich anschickte, die ganze Welt zu verändern, stellte Weiser das Prinzip „Personal Computing“ schon wieder in Frage. Es sei entscheidend, so Weiser, eine Haltung zu Computern zu entwickeln, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und die Computer in den Hintergrund verschwinden lässt.

 

Zusammen mit seinen Kollegen entwickelte Weiser ein Konzept namens Ubiquitous Computing. Computertechnik, so die Idee, wird erst dann ihr volles Potenzial entfalten, wenn sie nicht mehr als bloßes Werkzeug, sondern als Teil unserer Umwelt wahrgenommen wird. „Die wirksamsten Technologien sind diejenigen, die verschwinden“, schrieb er in seinem Aufsatz „The Computer of the 21. Century“. „Sie weben sich so lange in das Muster unseres Alltags ein, bis sie ununterscheidbar von diesem geworden sind.“ Als Vorbild galt Weiser die „Informationstechnologie“ Schrift: Wir nutzen sie ununterbrochen, sie ist Teil unserer Umwelt geworden, ohne dass wir sie noch als das wahrnehmen, was sie eigentlich ist: eine Technologie. 

 

Weisers Vision schlug Wellen und führte, dank der Erfindung des Internets, zu einer Weiterentwicklung seiner Ideen. 1999 prägt Kevin Ashton, Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT), den Begriff „Internet der Dinge“. Schon bald, so Ashton, sei es möglich, sämtliche Dinge unserer Umwelt mit Computertechnologie auszustatten. Zwar nicht unbedingt als miniaturisierte Computer, wie sich das Mark Weiser noch vorstellte, sondern vielmehr als miteinander vernetzte Einheiten, die Daten sammeln und sie zur Berechnung an die Cloud weitergeben. 

 

Nun sind weitere 17 Jahre vergangen und es stellt sich die Frage: was ist aus Weisers und Ashtons Vision geworden? Das ist interessanterweise gar nicht so leicht zu beantworten. Zweifelsohne ist das Internet der Dinge eines der Top-Themen so gut wie aller aktueller Elektronikmessen weltweit. Angefangen bei der CES in Las Vegas über den Mobile World Congress, die CeBIT und schließlich die Hannover Messe – überall werden die immensen Potenziale der Technik beschrieben. Dabei hat die Art und Weise, wie über die neuen Möglichkeiten der Technologie gesprochen wird, nach wie vor etwas Visionäres, scheint aber dabei den tatsächlich schon vorliegenden technischen Lösungen noch ein wenig voraus zu sein. David Rose, Forscher am Medialab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) spricht enthusiastisch von „enchanted objects“, „verzauberten Dingen“, mit denen wir es in Zukunft zu tun haben werden. Bei den vernetzten Thermostaten allerdings, die Rose über seine Firma „Ambient Devices“ vertreibt, mag sich das Gefühl von Magie noch nicht so recht einstellen.

 

Andererseits wäre es auch genauso falsch, das Internet der Dinge lediglich als im Augenblick noch etwas überhitztes Trend-Thema mit viel revolutionärem Potenzial und noch wenig revolutionärer technischer Umsetzung abzutun. Das noch leicht befremdliche Schmunzeln vieler Verbraucher angesichts der Zahnbürste, die die Putztechnik des Besitzers überwacht oder des Toasters, der den Dienst verweigert, nachdem ihm das Fitness-Armband einen Hinweis gegeben hat, mag berechtigt sein. Es gibt aber auch gute Gründe dafür, zu konstatieren: Das Internet der Dinge, lieber Verbraucher, ist schon längst dabei, deinen Alltag zu verändern. Und Zahnbürsten und Toaster spielen dabei, zumindest noch im Augenblick, eine eher marginale Rolle.

 

Die Rede ist beispielsweise von der Logistikbranche – manche sagen, der eigentliche Treiber der ursprünglichen Idee von Weiser und Ashton. Damit weltumspannende Lieferketten möglichst reibungslos funktionieren, werden Waren schon seit längerem mit sogenannten RFID-Etiketten gekennzeichnet, die jeden Gegenstand eindeutig identifizierbar machen und über seinen Aufenthaltsort aufklären. Nun will man noch einen Schritt weiter gehen. „Unser Ziel ist ein System, das sich komplett selbst steuert“, so Michael ten Hompel, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik und Professor an der TU Dortmund, im März 2016 gegenüber der FAZ. „Im Internet der Dinge steuern sich die Kisten selbst durch die logistischen Netze wie die Datenpakete im Internet – und der letzte sagt dem Lkw, dass jetzt alle da sind und es losgehen kann.“

 

Ein anderer Bereich, in dem das Internet der Dinge bereits heute sein revolutionäres Potenzial entfaltet, ist die industrielle Fertigung. Unter dem Stichwort „Industrie 4.0“, das im Grunde nichts anderes meint, als ein Internet der Dinge in der Fabrik der Zukunft, werden Möglichkeiten diskutiert, wie sich Arbeitsabläufe beispielsweise durch die Vernetzung von Maschinen und Werkstücken optimieren lassen. „Es geht um die Verschmelzung von realer und virtueller Welt zu sogenannten cyber-physischen Systemen“, erklärt Henning Kagermann, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und „Mit-Erfinder“ des Begriffes „Industrie 4.0“. 

 

Die Bedeutung für die deutsche Industrie ist nicht zu unterschätzen. „Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, wie der Begriff Industrie 4.0 zu einer internationalen Marke wurde“, so Kagermann. „Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt, dass man uns als Experte auf diesem Gebiet akzeptiert und uns zutraut, kompetent mit den Herausforderungen umzugehen.“ Allerdings müsse man auch dafür sorgen, dass dies auch in Zukunft so bleibt.

 

Das sieht auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel so. „Bislang sind wir der Ausrüster der Industrialisierung der Welt. Aber es ist eben nicht ausgemacht, wer der Innovationstreiber der Industrialisierung bleibt“, sagte er auf einer Konferenz des Hasso-Plattner-Instituts (HPI) zum Thema Industrie 4.0 im Februar 2015. 

 

Wobei gerade die von SAP-Gründer Hasso Plattner initiierte private Hochschule HPI mit ihrer interdisziplinären und wirtschaftsnahen Ausbildung von IT-Kräften den richtigen Weg weist: Dinge mögen demnächst mit uns sprechen können. Doch was sie uns tatsächlich sagen und wie nützlich oder riskant die Informationen sind, die sie über uns sammeln und untereinander austauschen, hängt auch maßgeblich von der Kompetenz und Umsicht derjenigen ab, die die Dinge zum Sprechen bringen.