Ein Anfang ist gemacht

Das neue Klimaschutzgesetz weist den Weg. Aber erst die vollständige Kopplung aller Sektoren wird die Energiewende vollenden.
Mirko Heinemann Redaktion

Illustration: Johannes Fuchs

 

Fast 40 Prozent des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes erzeugt die Energiewirtschaft, vor allem ihre Braunkohlekraftwerke. Dahinter folgt die Industrie mit Stahlproduktion, Raffinerien, Zement- und der Chemie-Industrie. Platz Drei nimmt der Verkehr ein, mit Individualverkehr, Straßengüterverkehr und Luftfahrt. Danach kommt der Wärmebereich, also die Gebäudeheizung. Und den Schluss bildet, mit knapp zehn Prozent der CO2-Emissionen, die Landwirtschaft.


Um den CO2-Ausstoß merklich herunterzufahren, müssen Verbrennungsprozesse auf Basis fossiler Energieträger in all diesen „Sektoren“ sukzessive eingeschränkt werden. Entweder werden Prozesse elektrifiziert, also Maschinen, Fahrzeuge, Stahlgießereien und Heizungen durch Strom aus erneuerbaren Energien – etwa Wind-, Wasserkraft, Photovoltaik – betrieben. Oder die fossilen Energieträger werden durch andere, aus erneuerbaren Quellen gewonnene Energieträger ersetzt. Etwa dort, wo die Speicherung von großen Strommengen schwierig ist. Ein Beispiel ist Wasserstoff, der in Tanks gelagert werden kann und bei seiner Verbrennung reinen Wasserdampf erzeugt. Gewonnen wird das Gas, indem Wasser per Elektrolyse in Sauerstoff und Wasserstoff aufgespalten wird. Dafür braucht es wiederum elektrischen Strom, der aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden kann. Die Kopplung aller Sektoren in einem Gesamtsystem, dessen Basis Energie aus erneuerbaren Quellen ist, macht den entscheidenden Teil der Energiewende aus.


Der von der Bundesregierung erarbeitete Entwurf für ein Klimaschutzgesetz enthält zum ersten Mal ein Instrument zur Steuerung von Emissionen über alle Sektoren hinweg. Bisher gab es solch ein Instrument nur in den Sektoren Energie und Industrie – und zwar in Form des europäischen Emissionshandels ETS. Hier werden die Emissionen von europaweit rund 11.000 Anlagen der Energiewirtschaft und der energieintensiven Industrie erfasst, die zusammen rund 40 Prozent der Treibhausgas-emissionen in Europa erzeugen. Seit 2012 ist auch der innereuropäische Luftverkehr in den EU-ETS einbezogen – Flüge aus der EU und in die EU bleiben allerdings bis 2021 von CO2-Abgaben befreit.


In dem Entwurf für ein nationales Klimaschutzgesetz wird erstmals ein CO2-Preis genannt: Der Ausstoß einer Tonne CO2 soll demnach zu Beginn zehn Euro betragen. Ab dem Jahr 2026 soll der Preis steigen. Im Entwurf zum Klimaschutzgesetz ist außerdem verankert, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzen werde, einen europaweiten übergreifenden Zertifikatehandel aller Sektoren einzuführen. In einem ersten Schritt soll der bestehende Emissionshandel für Energie und Industrie um einen „moderaten europäischen Mindestpreis“ ergänzt werden.


Kaum war der Gesetzentwurf in der der Öffentlichkeit, hagelte es Kritik von Wissenschaftlern. Mit diesem Gesetz werde das bis 2030 angepeilte CO2-Reduktionsziel bestenfalls zu einem Drittel erreicht, erklärte Patrick Graichen, Direktor des Thinktanks Agora Energiewende. „Der angesetzte Startpreis von zehn Euro pro emittierter Tonne CO2 ist viel zu niedrig, um eine Wirkung zu entfalten.“ In ihrem Impuls-Papier, das Agora Energiewende im Mai dieses Jahres vorlegte, hatten die Energieexperten einen Startpreis von 50 Euro pro Tonne CO2 über alle Sektoren hinweg empfohlen.


Dahinter steht der Gedanke, dass jegliche Verschmutzung Geld kosten muss, das wiederum in die Beseitigung der Verschmutzungsfolgen fließen soll. Schließlich zahlt jeder für die Entsorgung von Müll eine Gebühr – diese wird demnächst auch für den Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre fällig. Damit wird die Nutzung erneuerbarer Energien automatisch attraktiver. Ihr Anteil im deutschen Energiemix soll laut Klimaschutzplan der Bundesregierung bis zum Jahr 2050 auf 100 Prozent steigen. Damit orientiert sich die Bundesregierung am Ziel des Pariser Abkommens, wonach in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts weltweit Treibhausgasneutralität erreicht werden soll. Nur eine bis dahin weitgehend CO2-freie globale Wirtschaft gewährleistet, dass der Anstieg der Temperatur auf der Erde auf maximal 1,5 bis zwei Grad Celsius begrenzt werden kann.


Während Finanzminister Olaf Scholz glaubt, das Klimaschutzgesetz könne den Klimawandel aufhalten, sind Wissenschaftler skeptisch. In allen Sektoren würden die Ausbauziele verfehlt, so Agora-Direktor Patrick Graichen. Die avisierten steuerlichen Förderbeträge für die energetische Gebäudesanierung von 152 Millionen im Jahr 2021 bis 455 Millionen im Jahr 2023 seien ebenfalls zu niedrig, um bis 2030 das Ziel einer Sanierungsrate von 1,8 Prozent pro Jahr zu erreichen – Agora hatte das Fördervolumen auf
fünf Milliarden Euro pro Jahr beziffert.


Für den Sektor Verkehr erklärte Christian Hochfeld, Geschäftsführer von „Agora Verkehrswende“, der aktuelle Gesetzentwurf belasse den Verkehr in seiner Rolle als „Sorgenkind der Energiewende“. „Mit den avisierten Maßnahmen ist nicht abzusehen, dass die Klimaziele in Reichweite kommen“, sagte Hochfeld. Die Erhöhung der Pendlerpauschale zum Ausgleich für höhere Benzinpreise sei gar ein Signal, das in die falsche Richtung weise. „Der Anreiz zu pendeln wird verstärkt.“ Damit werde der Individualverkehr eher weiter zunehmen.


Direktor Graichen kritisierte außerdem die mangelnde Festlegung auf einen klaren Ausbaupfad der erneuerbaren Energien im Gesetzentwurf. Sowohl bei der Photovoltaik als auch bei der Windenergie an Land fehlten konkrete Ausbauziele und somit die Antwort auf die Frage, wie der Anteil an erneuerbaren Energien auf 65 Prozent im Jahr 2030 gesteigert werden könne. Angesichts des stagnierenden Ausbaus etwa der Windenergie an Land ist dieses Ziel wieder in die Ferne gerückt. Der Energieexperte sieht ab 2021 Milliardensummen auf die Bundesrepublik zukommen, denn falls die nationalen Einsparziele nicht erreicht werden, muss Deutschland bei anderen EU-Mitgliedern überschüssige Nicht-ETS-Emissionsrechte kaufen, um die Unterdeckung auszugleichen.

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