Die ihr Ding machen

Start-ups sind die Wegbereiter der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erneuerung in Deutschland. Moderner Unternehmergeist verbindet Diversity mit technischen Innovationen. Eine entscheidende Rolle dabei spielen Gründerinnen.
 

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann
Lars Klaaßen Redaktion

Ihre Großeltern benötigten am Ende eine permanente Betreuung. „Wir fühlten uns auf dem komplizierten und überteuerten Markt der Pflege oft allein gelassen“, berichten Philipp Buhr und Jan Hoffmann rückblickend. Fünf Jahre suchten die beiden mehrfach nach einer guten und finanziell fairen Agentur – vergebens. „Als wir feststellten, dass die Agenturen den größten Teil des Gehalts abfingen, das wir unserer Betreuerin zahlten, wurden wir wütend.“ Aus dieser schwierigen Situation und dem Ärger über die Umstände entstand die Idee, eine bessere Lösung für die 24-Stunden-Betreuung von älteren Menschen in Deutschland zu ermöglichen.  Eine, wie die beiden sie selbst gesucht hatten.

Ihr Online-Marktplatz bringt nun mithilfe von Algorithmen Pflegekräfte mit älteren Kunden zusammen, die Hilfe benötigen. „In Erinnerung an Marta, die uns jahrelang liebevoll bei der Pflege unserer Großeltern unterstützt hat, benannten wir unser Unternehmen nach ihr.“ Mit ihrem Konzept landeten die beiden auf einer der berühmten Listen der US-amerikanischen Forbes. Das Wirtschaftsmagazin veröffentlicht jedes Jahr neben einem Ranking der Superreichen und erfolgreichen Unternehmer auch eine Liste der „30 under 30“, die es sowohl für Nordamerika als auch Europa gibt. Auf der diesjährigen europäischen Liste stehen 28 Start-ups aus Deutschland, Österreich sowie der Schweiz – darunter auch die Marta-Gründer.

Nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich braucht es neue Ideen, die von tatkräftigen Unternehmerinnen und Unternehmern dann auch realisiert werden. Viel zu tun gibt es hierzulande unter anderem auch bei der Bildung, in Sachen Mobilität und mit Blick auf die Energiewende. Im Hinblick darauf hat das Bundeskabinett eine umfassende Start-up-Strategie beschlossen, um Gründungen in Zukunft zu erleichtern. Das Programm soll einen schnellen Zugang zu Förderungen und Finanzierungen ermöglichen, bessere Bedingungen für gemeinwohlorientierte Start-ups enthalten und für eine Vernetzung der Start-up-Szene fördern. In Zukunft soll es möglich sein, Gründungen digital und möglichst innerhalb von 24 Stunden an den Start zu bekommen. Ein weiteres Ziel lautet, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu Finanzierungen und Förderungen zu erleichtern.

Wirtschaftliche und gesellschaftliche Erneuerung
 

„Start-ups sind die Wegbereiter der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erneuerung, sie schaffen immer mehr Arbeitsplätze, stehen für innovative Geschäftsmodelle und treiben maßgeblich die Digitalisierung sowie nachhaltige Entwicklung Deutschlands voran“, betonte Gesa Miczaika, Vorständin des Bundesverbands Deutsche Start-ups, anlässlich der Publikation des Deutschen Start-up-Monitors (DSM) 2021. Die Erhebung erfasst 2.013 Start-ups, 5.012 Gründerinnen und Gründer sowie deren 33.589 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Laut DSM schaffen Start-ups in Deutschland immer mehr Arbeitsplätze. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl stieg 2021 im Vergleich zum Vorjahr von 14,3 auf 17,6 Personen. 91,6 Prozent der erfassten Start-ups planen Neueinstellungen – im Schnitt 8,7 in den kommenden zwölf Monaten. Die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland stärken dieses Ökosystem beträchtlich. Mehr als jede vierte Gründung (26 Prozent) stammt aus diesem Umfeld und über ein Drittel aller Befragten haben ihre Mitgründerinnen beziehungsweise Mitgründer an der Hochschule kennengelernt (36,4 Prozent).

Ein steigender Anteil der Gründerinnen und Gründer nimmt das hiesige Startup-Ökosystem positiv wahr. 2020 waren es 61,4 Prozent, im vergangenen Jahr äußerten 65 Prozent der Befragten sich so. Besonders zufrieden mit der Nähe zu Universitäten zeigten sich 2021 mehr als Dreiviertel der DSM-Teilnehmer (76,1 Prozent). Die Vorständin des Bundesverbands Deutsche Start-ups weist mit Blick auf den DSM 2021 allerdings auch daraufhin, „wo wir unbedingt besser werden müssen – denn die internationale Konkurrenz schläft nicht.“

Drei Themen rückten in den Fokus: Talente, Kapital und ein fairer Wettbewerb. „Wir brauchen attraktivere Formen der Mitarbeiterbeteiligung und ein Tech-Visum.“ Im Bereich Kapital heiße es, die Möglichkeiten für Finanzierungen zu stärken. „Und wir müssen in der Digitalwirtschaft Monopolismus und Wettbewerbsnachteilen konsequent entgegenwirken.“

Als positiv hebt Miczaika wiederum den zunehmenden Anteil an Frauen bei der Gründung von Start-ups hervor: Erneuerung bedeute auch, das gesamte Potenzial unserer Gesellschaft auszuschöpfen. Der Anteil an Gründerinnen in den DSM-Start-ups ist nach nur geringem Wachstum der letzten Jahre stärker angestiegen. Er lag 2021 bei 17,7 Prozent (2020: 15,9 Prozent). Trotzdem bleiben Frauen im Ökosystem der Start-ups deutlich unterrepräsentiert, es wird nur ein Bruchteil des vorhandenen Potenzials ausgeschöpft.

Anteil der Gründerinnen steigt
 

Der Anteil erfolgreicher Gründerinnen und Unternehmerinnen nimmt nicht zuletzt auch deshalb zu, weil Frauen engagiert und strategisch darauf hinarbeiten. Anastasia Barner etwa, heute 23 Jahre alt, weiß mit über 19.400 Followerinnen und Followern bei Instagram nicht nur, wie man Social Media für Projekte und Start-ups nutzt. Sie gründete mit gerade mal Anfang 20 bereits ihr erstes Unternehmen: FeMentor ist die erste Female-Reverse-Mentoring-Plattform in Europa. „Reverse Mentoring“ bedeutet, dass nicht bloß die Mentorin ihr Wissen weitergibt, sondern dieser Austausch in beide Richtungen auf Augenhöhe stattfindet. Die junge Frau als Mentee kann ihr Wissen – sowohl individuell als auch das ihrer spezifischen Generation – ebenfalls vermitteln. Die Gründerin erhielt den FemTec Award 2020 in der Kategorie Leadership.

„Entscheidend ist bei diesem Konzept der Rollentausch zwischen Mentorin und Mentee“, erläutert Barner. „Die jungen Frauen werden zu Mentorinnen, wenn es um zum Beispiel um Social Media geht.“ Empowering für junge Frauen lautet das Ziel dabei. Dabei sei es auch heute noch wichtig, junge Frauen zu ermutigen und ihnen ein weibliches Rolemodel zur Seite zu stellen. „Statt Geld fließt Wissen, denn Wissen ist Macht“, so Barner. „Dadurch gibt es kein Gefälle zwischen Mentor und Mentee. Es entsteht ein Austausch auf Augenhöhe, der beiden behilflich ist.“ FeMentor kooperiert mit Startups, mittelständischen Unternehmen und DAX-Konzernen, öffnet jungen, talentierten Frauen also die Türen dorthin.

„Potenzielle Partner kommen in der Regel auf uns zu“, sagt Barner. „Im Vorfeld sprechen wir mit mindestens einer weiblichen Person im Unternehmen, um uns ein Bild zu machen.“ Ob die Unternehmenskultur passt, macht FeMentor an einer Reihe von Kriterien fest, unter anderem: Art der Rekrutierung, faires Gehalt für alle, aktive Ansprache von Frauen, Gleichberechtigung am Arbeitsplatz.

Illustration: Josephine Warfelmann
Illustration: Josephine Warfelmann

Gegenseitiges Lernen
 

Auch in der eigenen Firma legt die Chefin Wert auf Diversity, mit Blick auf Geschlechter, Generationen und Kulturen. Das Reverse-Mentoring-Netzwerk besteht aus über 1.600 Mentorinnen, die aus unterschiedlichen Kulturen, Branchen und Altersgruppen kommen. Die Frauen, die sich bei FeMentor engagieren, sind weltweit tätig: So arbeitet dort etwa eine Frau aus Afrika, die nun in Italien lebt, mit einer Schwedin zusammen, die in München studiert hat. „Je bunter das Team, desto vielfältiger ist der Input für unsere Arbeit“, betont die Gründerin. Um davon zu profitieren, müsse eine Chefin vor allem zwei Stärken haben, „zuhören können und offen sein.“

Diversität und Kommunikation waren auch für Sabrina Spielberger wichtige Schlüssel zum Erfolg. Im Alter von 28 Jahren gründete sie digidip. Das Start-up, 2013 auf den Markt gekommen, führt in über 40 Ländern Onlinehändler mit Webseitenbetreibern zusammen und ist dabei auf automatisierte Content-Monetarisierung und Performance-Analyse spezialisiert. Als Meta-Netzwerk, das von rund 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betrieben wird, bietet es Bloggern, Online-Magazinen und Influencern Zugang zu 100 Affiliate-Netzwerken und über 40.000 Händlern weltweit. Mit selbstentwickelter Technologie an den Start gegangen, gehörte es schon bald zu den am schnellsten wachsenden Firmen Europas, belegte im Bereich Sales & Marketing Platz 1 in Europa. Um sich unternehmerische Freiheit in größerem Maße zu wahren, ging Spielberger mit digidip als „Bootstrap“-Unternehmen an den Start, verzichtete also auf eine externe Finanzierung. Ausgaben mussten deshalb minimiert und Einnahmen zugleich maximiert werden.
„Der Druck war zwar enorm“, sagt Spielberger. „Eine entscheidende Basis für den Erfolg aber war, Chancengleichheit bei digidp zu leben, bei allen unternehmerisches Denken zu fördern.“ Wichtig für das dynamische und kreative Klima sei zudem gewesen, wer sich bewirbt: „Diverse Teams bereichern die Unternehmenskultur ungemein.“

Community statt Competition lautete ihr Ziel, transparente Kommunikation habe zu besseren Ergebnissen geführt. Diese Werte im Arbeitsalltag zu realisieren, hat nicht von Anfang an reibungslos funktioniert. „In den ersten Jahren habe ich noch einige Fehler gemacht“, erinnert die Gründerin sich. Das habe sich etwa auch auf die Fluktuation der Belegschaft ausgewirkt. „Ein Leadership-Coaching hat mich dann für die praktischen Aufgaben fitter gemacht.“
Zu den Idealen kam das handwerkliche Know-how fürs Management. „Es ist wichtig zu wissen, wann man seine Leute einbinden sollte und wann sie Führung brauchen“, betont Spielberger. Wenn etwa die Leitlinien und Ziele des Unternehmens formuliert werden, sei Mitsprache von großer Bedeutung. Spüre man hingegen Unsicherheit im Team, sei Führungsstärke gefragt: „Dann heißt es, die Richtung vorzugeben, eigene Unsicherheit ist da fehl am Platz. Für mich persönlich ist es dann wichtig, mit Entschlossenheit zu agieren.“

Mit Blick auf Profitabilität und Umsatzziele sah Spielberger im vergangenen Jahr alle ihre Ziele erreicht, die sie sich gestellt hatte. Sie verkaufte das Start-up und verließ das Unternehmen in diesem Sommer: „digidip ist nun Teil einer Unternehmensgruppe, was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern größere Aufstiegschancen eröffnet.“ Spielberger hat gerade eine Stiftung gegründet, die junge Talente fördern soll, mit Fokus auf Inklusion und Diversität. Sollten dort künftige Gründerinnen und Gründer auf den Weg gebracht werden, wäre das sicher ein gern gesehener Nebeneffekt. Aber auch die persönlichen Ambitionen sind noch Thema: „Als ich mit digidip an den Start ging, paarte sich eine Portion Wahnsinn mit Naivität, das fehlt mir heute“, sagt Spielberger lachend. Dass sie sich demnächst nochmal an eine Gründung macht, wäre dennoch nicht auszuschließen: „Das ist nach wie vor mein Ding!“

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