Weltmeister werden!

Wie werden Konzerne innovativ? Jedenfalls nicht so, wie viele denken. Ein Zwischenruf aus dem Zukunftsinstitut.
Daniel Cronin ist Experte beim Zukunftsinstitut. Außerdem leidenschaftlicher Entrepeneur, Keynote Speaker, Moderator und Universitätslektor.
Daniel Cronin ist Experte beim Zukunftsinstitut. Außerdem leidenschaftlicher Entrepeneur, Keynote Speaker, Moderator und Universitätslektor.
Daniel Cronin Redaktion

 

Wie bringt man Start-up-Mentalität in Konzerne? Diese Frage höre ich regelmäßig und ich habe eine klare und unpopuläre Meinung: gar nicht. Das ist die Stelle, an der sicherlich der eine oder andere sich an seinem Latte Macchiato jetzt gerade ordentlich verschluckt hat ... my bad. Was ist denn jetzt mit all den Workshops, den Inspirationsreisen ins Silicon Valley und den superschicken neuen Workspaces, die genau diesen Spirit wecken sollen? Innovationstheater! Unterhaltsam, aber übrig geblieben ist wahrscheinlich relativ wenig. Okay, vielleicht dürft ihr jetzt Sneaker tragen, und ihr duzt euch. Aber wirklich agil ist nun nichts geworden und dieselben trägen Strukturen sind noch immer da.

Inkrementelle oder radikale Innovation?

Aber wenn man Start-up-Mentalität nicht in Konzerne bringen kann, was dann? Es gibt ein wunderbares Zitat von Thomas Alva Edison, das lautet: „Genius is 1 percent inspiration and 99 percent perspiration.“ Und da ist was dran. Aber der Reihe nach: Kaum ein Begriff wurde in den letzen Jahren so überstrapaziert und ist zeitgleich so überlebenswichtig wie „Innovation“, aber keiner macht sich die Mühe, den Begriff näher zu betrachten, denn wir müssen diesen nämlich in zwei verschiedene Formen unterteilen: inkrementelle Innovation und radikale Innovation.

Beginnen wir mit der inkrementellen Innovation. Vereinfacht ausgedrückt wird ein bestehendes Produkt mit jeder Generation schneller, effizienter, sicherer und besser. Der Porsche 911 oder auch das iPhone sind hier schöne Beispiele. Und dabei wächst ein Konzern um dieses Produkt herum, der genau das möglich macht, und lockt dann Personen an, die genau aus diesem Grund dort arbeiten wollen: Sie schätzen genau die Marke, die Historie, die Erfolge, aber auch vor allem die Stabilität und auch die Sicherheit und wurden auch genau dafür ausgewählt und angestellt. Beide Seiten sind hier risikoavers. Und noch etwas: Ihre Leistung wird in Quartalen gemessen und der Bonus entsprechend ausgeschüttet.

Nun zur radikalen Innovation. Hier geht es um komplett neue, unerprobte Dinge, häufig ohne Markt und ohne Erfahrungswerte. Home of Start-up: per Definition nichts anderes als eine Unternehmensphase, in der Hypothesen gebildet und so schnell wie möglich am Markt/Kunden validiert werden. Und das funktioniert – oder nicht. Im Regelfall nicht. Aber wenn es funktioniert, dann werden die Akteure fürstlich entlohnt. High Risk, high Reward - und das zieht natürlich wiederum Personen an, die hochgradig risikoaffin sind. Die Leistung wird hier in Jahren und länger gemessen. Der Reward erfolgt oft erst beim Exit oder gar IPO.

Es bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, dass völlig verschiedene Akteure einen völlig verschiedenen Innovationsansatz verfolgen mit einem völlig unterschiedlichen Zeithorizont und völlig anderer Belohnungsstruktur. Sie sind nicht kompatibel. Okay, so weit, so gut. Aber was ist denn jetzt besser? Es geht tatsächlich nicht um entweder/oder, sondern um sowohl/als auch!

Forschen und optimieren zugleich

Der Begriff Ambidextrous Organisational Design stammt aus dem Jahr 1976 und beschreibt, dass ein Unternehmen einerseits forschen muss (Explore) und anderseits optimiert (Exploit). Klingt durchaus logisch und simpel, doch tatsächlich beschreibt es zwei von-einander getrennte Unternehmungen. Die inkrementelle Konzernmutter und die radikale Tochter. Nun wird der eine oder andere von euch jetzt sagen: Klar, kenn ich! Innovationsabteilung haben wir schon.

Doch es gibt eine entscheidende Herausforderung: die Akteure. Innovationsabteilungen werden im Regelfall mit MitarbeiterInnen besetzt, die seit Jahren im Konzern arbeiten. Das bedeutet, dass Personen, die grundsätzlich risikoavers sind und in der Sicherheit und Struktur des Konzerns sozialisiert wurden, jetzt plötzlich risikoaffin werden sollen? Sehr unwahrscheinlich ... wer beispielsweise 20 Jahre lang Limousinen konstruiert hat, kann nicht plötzlich über Nacht Formel-1-Autos auf Spitzen-Niveau entwickeln. Mercedes wird sicherlich nicht den Nachfolger von Lewis Hamilton innerhalb des Konzerns suchen. Das passendste Profil ist dann wahrscheinlich der Chauffeur vom Vorstand, und dieser wird durch eine dreitägige-Inspirations-Reise an den Nürburgring wohl eher nicht zum Formel-1-Weltmeister.

Aber hier liegt das Problem begraben: Automobilkonzerne beispielsweise trennen seit Jahren ihre Motorsport-Abteilungen bewusst vom Mutterkonzern, denn es ist eine völlig andere Disziplin, wie so ein Unternehmen aufgebaut und auch gelenkt wird. Unit Economics werden sicherlich nicht verglichen und auch die Spaltmaße vom Renn-Prototyp müssen wahrscheinlich nicht den hohen Qualitätsansprüchen der Serie entsprechen, ganz zu schweigen vom Kofferraumvolumen und der Work-Life-Balance. Genau, Rennen sind immer sonntags. Und auch die Straßenverkehrsordnung gilt natürlich nicht - ich denke hier an dich, liebe Compliance-Abteilung. Motorsport ist genau wie ein Start-up auf Erprobung von neuen Technologien ausgelegt, immer am Limit, oft drüber, befeuert von Personen, die dafür brennen. Und wenn sich etwas im Renneinsatz bewährt, kommt es in die Serie.

Denken wir zurück an das Zitat von Edison: radikale Innovation hat nur einen Bruchteil mit Technologie und viel mehr mit Umsetzung zu tun. Es geht um Geschäftsmodelle und beinharte Execution - und so wie Motorsport durch RennfahrerInnen und Menschen mit Benzin im Blut getrieben wird, kann das nur durch echte UnternehmerInnen erfolgen!

Noch etwas zu dem Bild der Motorsport-Abteilungen: Diese sind häufig gemischt mit Personen von innen, die sich auf das konzentrieren, was sie gut können (zum Beispiel Motoren bauen), und Personen von außen mit Skill-Sets, die innen nicht zu finden sind (Rennteam leiten, Rennfahrer und andere). Und noch etwas: Diese Motorsport-Abteilungen sind oft das Lieblingskind des Vorstandes der Mutter. Sie haben ein klares Ziel (Weltmeister werden) und werden mit Budget ausgestattet, aber der Vorstand involviert sich nicht.

Also: Anstatt Geld in Innovationstheater zu versenken, sollten Konzerne den Mut haben, unternehmerisch agierende „Motorsport-Abteilungen“ zu gründen, die ein High-Risk-High-Reward-Umfeld ermöglichen, den richtigen Innovationsansatz und Zeithorizont verfolgen und unternehmerisches Risiko erlauben und dadurch Personen von innen und außen anlocken, die genau so ein Umfeld wollen und mit einem klaren Ziel vor Augen: Weltmeister. Oder Marktführer. Oder beides.

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