Soziale Verantwortung hat in diesen Zeiten keine Konjunktur. Aus globaler Sicht scheinen immer mehr Menschen von der darwinistischen Idee angezogen zu werden. Sie wählen in demokratischen Verfahren Anführer, die das Recht des Stärkeren vertreten, die gängige Moral oder christliche Werte mit Füßen treten. Gern wird dann als Instanz Immanuel Kant ins Spiel gebracht, der Philosoph der Aufklärung. Sein kategorischer Imperativ, der dazu auffordert, so zu handeln, dass die Maxime des Willens als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne, spricht dem Individuum höchste Freiheit – und höchste Verantwortung – zu. Die andere Seite der kantischen Philosophie ist ihr völliges Fehlen von Handlungsanleitungen. Gleich welche Entscheidungen Menschen in Verantwortung treffen: Wenn sie sich auf Kant berufen, können sie sich stets bestärkt fühlen. In den folgenden 250 Jahren wurde Europa von zahlreichen Kriegen heimgesucht. Der kategorische Imperativ hat nicht dazu beigetragen, dass Menschen ihrer Art gegenüber empathischer geworden sind. Stattdessen wird offenbar gerade wieder Prämisse geostrategischer Politik, sich selbst und seine Sippe an die erste Stelle der Nahrungskette zu stellen, andere anzugreifen, zu erniedrigen und zu verletzen. Kriege sind das letzte und zugleich zwingende Mittel dieser Prämisse.
Kants schottischer Zeitgenosse Adam Smith hatte es so gesehen: „Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen“, befand er. Gemeinschaftlichkeit, Solidarität, soziale Verantwortung, Nächstenliebe – hinter diesen Werten steckt die Grundannahme, dass alle Menschen gleich wertvoll sind, gleich vor dem Gesetz und auch gleich behandelt gehören. Dieser Prämisse folgen jene, die nicht in einer Welt leben möchten, wo Zäune immer höher und Hunde immer bissiger werden. Wo Nachbarn sich die schlimmsten Feinde sein könnten.
Wie ökonomische Macht politisch eingesetzt werden kann, zeigen die Beispiele der Oligarchen aus den USA. Der Präsident selbst, aber auch seine Unterstützer aus der Tech-Szene, zu denen einst auch Tesla-Chef Elon Musk gehörte, kommen aus einem darwinistischen Verständnis von Unternehmertum, in dem sich alle Moral dem Streben nach dem Deal unterordnet. Funktioniert der Deal nicht, etwa weil geltendes Recht ihm widerspricht, wird zunehmend politischer Druck ausgeübt. Dass die Macht der Milliarden auch Verpflichtungen enthalten könnte, ist diesen Unternehmern völlig fremd.
In Artikel 14, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, heißt es: „Eigentum verpflichtet“. Eigentum gibt nicht nur Rechte, sondern soll auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Dieser Annahme entspringt das System der Sozialen Marktwirtschaft, das dem Ausgleich dient: soziale Unruhen zu verhindern und Wohlstand für alle zu schaffen. Viele Unternehmer sehen sich gut beraten, soziale Verantwortung in ihrem Unternehmen zu leben. Sie werden dadurch nicht nur attraktiver für Nachwuchs und Fachkräfte, sondern nehmen, nach Adam Smith, an dem Schicksal anderer Anteil, sie nehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr.
Heute steigt in Deutschland die Ungleichheit wieder. Zu wachsender Einkommensungleichheit, hoher Vermögenskonzentration und einer zunehmenden Armutsquote kommen hohe Wohnkosten, Inflation und Unsicherheit, die besonders die unteren und mittleren Einkommen belasten. Besonders stark ausgeprägt ist dieses Gefälle zwischen Ost und West. Ostdeutschen fiel es aufgrund des politischen Systems besonders schwer, Vermögen zu bilden. Erbschaften fallen niedriger aus als im Westen. Wer in Wirtschaft und Gesellschaft Verantwortung trägt, sollte sich der Herausforderung bewusst sein, die Ungleichheit verursacht. Wie zukunftsfähig unsere Gesellschaft ist, hängt von Faktoren wie Fairness und Teilhabe ab. Dann kann auch das angeschlagene Vertrauen der Menschen in die demokratische Mitbestimmung und in die politischen Institutionen wieder wachsen.