Freier arbeiten

Code schreiben von Bali aus, Mails zwischen Yogakurs und Lunchdate, Homeoffice im Schlafanzug – so sehen angeblich Wunschträume der Generation Z aus. Was ist dran am Klischee?

Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Kai Kolwitz Redaktion

Trigema-Patriarch Wolfgang Grupp war in seinem Interview mit dem Tagesspiegel nicht um Diplomatie bemüht: „Wenn einer im Homeoffice arbeiten kann, ist er unwichtig.“ Und auch Roland Mack, Chef des Freizeitparks „Europa-Park“ im südbadischen Rust, blickt mit Ratlosigkeit auf die Ansprüche junger Bewerber: „Da kommen 25-Jährige und wollen nur drei Tage arbeiten.“ Im Interview mit der Basler Zeitung fügte der 72-jährige Mack hinzu: „Dabei haben die das ganze Leben noch vor sich, könnten hier etwas werden, Verantwortung übernehmen, Karriere machen.“

Die beiden Zitate illustrieren, dass sich zwischen den Alten und den Jungen im Job eine Kluft aufzutun scheint. Während in der Generation Ü70 Arbeit vielfach noch zum Lebensethos gehörte, scheint die Generation Z genauer darauf zu achten, dass auch für ihre Interessen und Bedürfnisse jenseits des Berufs genug Zeit übrig bleibt.

Zur Generation Z werden diejenigen gezählt, die von Mitte der Neunziger bis etwa 2010 geboren wurden. Und Umfragen und Studien unterstreichen den Eindruck: So ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Yougov im Auftrag des Autozulieferers Continental im Sommer 2023, dass 47 Prozent der 16- bis 24-Jährigen eine Vier-Tage-Woche bevorzugen würden – bei den 58- bis 67-Jährigen sind es laut Umfrage nur 35 Prozent. Und auch dazu, wo die Arbeit stattfinden sollte, haben heutige Berufseinsteiger eine klare Vorstellung: Nur 27 Prozent sind Fans von Büro oder sonstigem festen Arbeitsort. 35 Prozent wollen an einem selbst ausgesuchten Platz arbeiten, 33 Prozent abwechselnd beim Arbeitgeber und woanders.

Wirft man allerdings einen zweiten Blick auf die Umfrage, dann zeigt sich: Auch die Älteren sind in kaum geringerem Maß Fans des Homeoffice: Von den 25- bis 57-Jährigen bevorzugt nur ein Prozent weniger die Arbeit zuhause oder an einem anderen selbstgewählten Ort. Lediglich bei den ganz Alten im Job weicht die Zahl signifikant ab. Das dürfte eine Folge der Corona-Zeit sein. Denn während Homeoffice vorher etwas eher Exotisches war und Arbeit im Denken der allermeisten Chefs in Präsenz stattzufinden hatte, zwang die Gesetzgebung ab 2020 die Firmen, ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nach Hause zu schicken, sofern möglich. Auf einmal und in der Regel ohne Vorbereitung mussten sie darauf vertrauen, dass sich das Personal trotzdem um das kümmern würde, was getan werden musste.

In den meisten Fällen scheint das geklappt zu haben. So ermittelte das ifo-Institut in diesem Jahr, dass gut 60 Prozent der Unternehmen erwarten, dass die Produktivität sich auch bei einer vollständigen Rückkehr aller Mitarbeiter ins Büro nicht ändern würde. Und laut TU Darmstadt haben 76 Prozent von gut 1000 befragten Wissensarbeitenden das Gefühl, zuhause produktiv zu sein – vom Büro sagen das nur 61 Prozent.

Laut einer Studie der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers arbeiten inzwischen rund 80 Prozent der Büroangestellten in Deutschland zumindest teilweise im Homeoffice. Knapp die Hälfte tut dies an mindestens zwei Tagen pro Woche. Und die Unternehmensberater stellen fest, dass sowohl Arbeitgeber als auch Mitarbeitende dabei sind, sich dauerhaft in diesem Zustand einzurichten: Laut Studie haben viele Unternehmen in bessere Rahmenbedingungen investiert. Arbeitnehmer nehmen die Anbindung an ihre Firmen bei mobilem Arbeiten als deutlich besser wahr als zu Anfang der Pandemie.
»Auch die Älteren sind in kaum geringerem Maß Fans des Homeoffice.«

Firmenchefs alter Schule wie Mack oder Grupp wird das nicht gefallen. Aber es ist eine Realität, mit der sich Unternehmen in Zeiten von Bewerbermangel anfreunden müssen. Quer über alle Altersgruppen findet laut Continental-Studie rund die Hälfte aller Befragten flexible Arbeitsmodelle interessanter als hohe Bezahlung – und je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr werden junge Bewerber solche Voraussetzungen einfach als Standard empfinden. Es gilt also, Arbeit so zu organisieren, dass nicht jeder immer sofort verfügbar sein muss. Führungsaufgaben müssen auf mehrere Schultern verteilt werden.

Manche tun sogar noch mehr, um sich für Bewerber attraktiv zu machen. So gibt es deutsche Medienunternehmen, die Außenstellen auf anderen Kontinenten eingerichtet haben. Dank der Zeitverschiebung halten Mitarbeiter von dort aus die Nachrichten-Websites in der deutschen Nacht aktuell, ohne dabei selbst zur Nachteule werden zu müssen. Gleichzeitig kann ein Jahr in Sydney oder Melbourne eine ziemlich interessante Perspektive für junge Mitarbeitende sein. Viele andere Unternehmen erlauben zumindest, dass ihre Mitarbeitenden das Homeoffice zeitweise ins Ausland verlagern. Dr. Julian Stahl vom Portal Xing, wo man ebenfalls versucht hat, die Generation Z zu ergründen, fasst das Ergebnis zusammen: „Wer nicht über Benefits wie Homeoffice, Workation oder Sabbatical nachdenkt, wird einen Teil dieser Generation als Arbeitgeber erst gar nicht erreichen.“

Also arbeiten in Zukunft alle, die das können, wann und von wo sie wollen? Küchentisch-Romantik, paradiesische Ruhe und mal eben zum Sport contra volle S-Bahn, Neonlicht und lautes Großraumbüro?

Allerdings gibt es aus Arbeitgebersicht ja durchaus auch Gründe, warum man seine Angestellten gern im Büro hätte: Der informelle Austausch zwischen Kollegen sorgt dafür, dass sich Informationen besser herumsprechen. Im Team ist man oft kreativer – und wer sich auf der menschlichen Ebene gut kennt, dem fällt es leichter, in der Zusammenarbeit den richtigen Ton und die richtige Organisation zu finden. Dazu passt, dass die Unternehmensberatung KPMG in einer internationalen Umfrage ermittelt hat, dass knapp zwei Drittel der Geschäftsführer großer Unternehmen ihre Angestellten am liebsten mittelfristig wieder komplett ins Büro holen würden.

Angesichts der Gesamtlage wird das bei Leistungsträgern aber wohl häufig nicht über Zwang funktionieren. Dazu haben sich viele zu sehr an die Vorzüge des flexiblen Arbeitens gewöhnt. Es gilt also, Anreize zu schaffen: Gutes Essen, angenehme Atmosphäre - und generell ein Betriebsklima, das Mitarbeitende am liebsten aus der Nähe erleben möchten.

Diejenigen, die die ganz Jungen danach befragt haben, was die sich von potenziellen Arbeitgebern besonders wünschen, bekamen ein Wort immer wieder zu hören: „Wertschätzung“ macht attraktiv.

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