War es das schon wieder mit der Verkehrswende in der deutschen Hauptstadt? Erst im Jahr 2018 hatte Berlin in einem Mobilitätsgesetz festgeschrieben, dass in Zu‑ kunft Fußgänger, Radfahrende sowie der Öffentliche Nahverkehr in der Stadt Vorrang haben sollten vor den Autos.
Ab Anfang der 2020er Jahre hatte die daraus abgeleitete In‑ frastruktur auch so langsam angefangen, das Gesicht der Stadt zu verändern: Neue, breite Radwege entstanden. In Kiezblocks sorgten Verkehrsführung und Sperren dafür, dass der motori‑ sierte Durchgangsverkehr kleine Wohnstraßen nicht mehr als Schleichweg nutzen konnte. Für diejenigen, die sich anders als im Auto durch die Stadt bewegten, stieg die Lebensqualität spürbar.
STRASSE STATT S-BAHN?
Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung in Berlin durch einen Senat aus CDU und SPD im Jahr 2023 hat sich der Wind allerdings deutlich gedreht: Geplante Radschnellwege wur‑ den zum Großteil gestrichen, ein existierender in der Kantstraße wird zugunsten des Autoverkehrs demnächst sogar wohl wieder zurückgebaut. Durchfahrtssperren in Wohnvierteln sollen nur noch in Ausnahmefällen aufgebaut werden.
Gebaut werden soll dagegen eine rund 300 Millionen Euro teure neue Verbindungsstraße im Berliner Osten. Dafür sollen zum Teil Flächen genutzt werden, die eigentlich als Vorratsflächen für einen S‑Bahn‑Ausbau gedacht waren. Dieser wäre damit in Zukunft unmöglich.
Auch anderswo ist der Rollback spürbar. Im Programm der neuen Bundesregierung findet sich die Prämisse: „Die Straße ist ein bedeutender Verkehrsträger und das Auto ein wichtiges Fortbewegungsmittel, vor allem für die Menschen im ländlichen Raum.“ Zum städtischen Verkehr bleibt es dagegen vage, ebenfalls zu Fußgängern, Radfahrenden und in großen Teilen auch zur Bahn. Immerhin soll das Deutschlandticket bis 2029 nicht angetastet werden. Allerdings wird es von Unionspolitikern regelmäßig in Frage gestellt. Ist Deutschland also in der Rücktransformation zum reinen Au‑ toland? Sind Ambitionen, Mobilität vielfältiger und nachhaltiger zu machen, bis auf Weiteres ad acta gelegt?
Jein, könnte man sagen. Denn zum einen steht das Thema nachhaltige Mobilität schon seit rund 15 Jahren im Blickpunkt.
Und in dieser Zeit ist einiges erreicht worden, das bleiben wird. Und zum Zweiten gibt es durchaus Ansätze für zukünftige Innovationen – mal mehr, mal weniger gefördert durch den Staat.
E-ROLLER SIND NORMALITÄT
So gibt es inzwischen deutlich mehr Möglichkeiten, in der Stadt mobil zu sein, als man sich das 2010 vorstellen konnte. E‑Roller werden von vielen für kürzere Wege oder die letzte Meile genutzt. Elektrische Fahrräder zum Leihen stehen vielerorts an jeder Straßenecke und werden gut angenommen. Wenn die Strecken weiter werden oder mehr transportiert werden muss, übernimmt Carsharing inzwischen vieles, für das vorher das eigene Auto herhalten musste, selbst Transporter für kleinere Umzüge lassen sich spontan mit dem Smartphone buchen.
Viele haben sich E‑Bikes für den Weg zur Arbeit angeschafft. Und auch elektrische Lastenräder als Lieferfahrzeuge für Pakete oder Lebensmittel sieht man in den Innenstadtbereichen gar nicht mehr so selten. Das alles passiert in Städten wie Berlin inzwischen so alltäglich, dass man permanent vergisst, dass auch das ein Teil eines deutlichen Wandels in der Mobilität ist.
Von den Visionen der 2010er‑Jahre sind manche besser, manche schlechter in der Realität angekommen. Was den öffentlichen Nah‑ verkehr angeht, hat das Deutschlandticket vieles erleichtert. Ansonsten werden in den Kommentarspalten der Medien immer die gleichen Wünsche formuliert: Sicher, sauber und verlässlich soll es sein, erst dann werden Busse und Bahnen zur Alternative. Das wird in verschie‑ denen Städten unterschiedlich gut beherzigt. So konnten die Berliner Verkehrsbetriebe mit einer Initiative punkten, die berüchtigte Linie 8 deutlich engmaschiger zu reinigen als bisher. Insge‑ samt ist das Image der BVG allerdings derzeit ausbaufähig. Und mit ihm die Bereitschaft vieler Autonutzer, den Umstieg zu wagen.
Als Innovationstreiber betätigt sich derweil die Hamburger Hochbahn. Mitte dieses Jahres soll in der Han‑ sestadt ein Probebetrieb autono‑ mer Shuttles beginnen, zu dem neben dem VW‑Konzern auch der Verkehrsbetrieb der Stadt ein Angebot beisteuern soll. Ende 2023 hatte übrigens der rot‑grüne Hamburger Senat eine Strategie Mobilitätswende beschlossen, die der Berliner nicht komplett unähnlich ist. Nach 15 Jahren Diskussion über neue Formen der Mobili‑ tät sind viele Ideen bereits im Alltag oder zumindest in der Umsetzung angekommen. Man hat den Eindruck, dass es im Moment weniger an Zukunftsvisionen wie Magnetschwebebahnen, Flugtaxis, elektrischen Booten oder Lastentrams mangelt. Was dagegen immer stärker in den Fokus rückt, sind Steuerung, politischer Wille und Infrastruktur: Wieviel Platz mag man jedem Verkehrsmittel zum Fahren und Parken zubilligen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass private PKW in engen Städten bei weitem am meisten Platz pro transportierter Person brauchen? Wie geht man mit Widerständen um, wenn der eine in Zukunft weniger Platz hat zu Gunsten des anderen? Wie macht man Menschen den Umstieg auf nachhaltigere Formen der Mobilität schmackhaft, sodass er sich nicht wie Verzicht anfühlt? Und wie löst man Konflikte, die bei mehr Arten Mobilität naturgemäß häufiger sind als bei einer rein auf das Auto ausgerichteten Stadt?
ZUKUNFT E-AUTO
Das Thema Infrastruktur betrifft übrigens sehr stark ein Verkehrsmittel, dass in den kommenden Jahren wohl immer stärker aus seiner Nische herausfahren wird: Das Elektro‑Auto. Die neueste Generation kann in puncto Ladezeiten und Reich‑ weite mit Verbrennern endlich mithalten: BMW verspricht zum Beispiel für den kommenden iX3 800 Kilometer Reichweite und zehn Minuten Ladezeit für so viel Strom, wie er für 350 Kilometer benötigt wird. Die Akkus sind auch bei jetzigen Laufleistungen nach übereinstimmenden Studien schon für hohe Laufleistungen gut. Und auch die Preise sinken: Für knapp 30.000 Euro hat man inzwischen einige Auswahl. Renault‑ Chef Luca de Meo geht in Interviews sogar da‑ von aus, dass Stromer bald günstiger als Verbrenner sein werden.
Wer auf dem Land im Eigenheim mit Solarzellen auf dem Dach wohnt, für den dürfte das E‑Auto in einigen Jahren die bei weitem günstigste Variante sein, per PKW mobil zu sein. Wer in der Stadt wohnt, braucht allerdings öffentliche Ladeinfrastruktur. Immerhin, die will die neue Bundesregierung fördern, wie auch die Anschaffung von E‑Autos. Es sieht so aus, als werde die Zahl der Möglichkeiten weiter wachsen, in der Stadt mobil zu sein und Transporte zu erledigen – ob man nun Menschen oder Güter befördert.