Homosapiens, der moderne Mensch, bricht vor rund 130.000 Jahren von Afrika nach Indien auf. Er nimmt überlebenswichtige Gegenstände wie Waffen und Werkzeuge mit – der Transport über größere Distanzen ist geboren. Und damit auch die Logistik: Wer trägt was, wie und wie viel, wie weit kommt man damit und wie lange dauert das?
Die Aufgaben sind bis heute gleich: Dinge sollen auf ideale Art von A nach B gelangen. Menschen und Informationen bleiben in dieser Gleichung einmal ausgeklammert – es ist spannend genug, den Wandel der Transportmöglichkeiten zu betrachten und wie der Mensch die Logistik immer weiter perfektioniert.
DAS GEHEIMNIS DES PYRAMIDENBAUS
Weit am Anfang steht die Arbeitsdelegierung auf Tiere: Domestizierte Rinder mit einer Tragfähigkeit von 100 Kilogramm sind bereits für das 9. Jahrtausend v. Chr. nachgewiesen; dagegen läuft der Einbaum, Urahn aller Boote, erst um 7.600 vor unserer Zeitrechnung auf Binnengewässern vom Stapel.
Eine frühe runde Sache im Landtransport sind Rollen, etwa aus Baumstämmen. Vermutlich wurden sie beim Bau der ägyptischen Pyramiden eingesetzt – gesichert ist das aber ebenso wenig wie Zeitpunkt und Ort der Erfindung des Rads, das näherungsweise Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. aufkommt.
Zu Wasser beginnt der nachweisliche Transport von Waren ungefähr vor 40.000 Jahren in Amerika bei der Überwindung von Meerengen, der Obsidian-Handel aus Kleinasien über das Mittelmeer um 8.300 v. Chr. markiert eine frühe Hinwendung zur Hochseeschifffahrt.
Ein Sprung ins Mittelalter: Genua und Venedig betreiben Speditionsverkehr per Schiff bis nach England und ins Schwarze Meer, in der Ostsee bestimmt die Hanse über Jahrhunderte den Warentransport. An Land sind Packpferde meist ein Privileg solventer Kaufleute, Maulesel transportieren Waren über die Alpen, Karren rumpeln auf schlechten Wegen, gezogen von Pferden, Ochsen oder Menschen – wie überhaupt der Großteil des Transports zu Fuß abläuft.
LEBENSWICHTIGER NACHSCHUB FÜR DIE ISS
Erst die Neuzeit mit der Entwicklung der Eisenbahn und der ersten Dampflokomotive Anfang des 19. Jahrhunderts ermöglicht es, große Mengen über weite Distanzen zu befördern, nicht zuletzt Kohle, die die Industrialisierung befeuert. Annähernd gleichzeitig pflügt das erste Dampfschiff durch die Wasser des Hudson River, im Transatlantikhandel sind ihnen Großsegler bis Ende des Jahrhunderts in puncto Schnelligkeit weit überlegen.
Ihre Nachfahren, riesige Containerschiffe, haben heute einen Anteil von 90 Prozent am globalen Warenverkehr, Güterzüge im europäischen Schienennetz sind bis zu 740 Meter lang, Flugzeuge befördern 2021 mehr als 65 Millionen Tonnen Luftfracht. Bleibt abzuwarten, wie sich der Warentransport im All entwickelt: Das Automated Transport Vehicle ATV versorgt die Internationale Raumstation ISS regelmäßig mit fünf Tonnen Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Atemluft und Treibstoff.
Dabei sind tausendundein Fehler möglich und kein einziger erlaubt. Das Manöver verlangt eine perfekte Logistik. Klingt militärisch? Kein Wunder, denn komplexere Logistik, wie wir sie heute verstehen, hat ihren Ursprung im Kriegswesen.
Schon römische Legionen haben einen Tross für Nachschub, den eine extra gebaute Heerstraße vereinfacht, ebenso wie die schnelle Verlegung von Truppen. Ideen, die später aufgegriffen werden, etwa in den industrialisierten Weltkriegen mit ihren Materialschlachten. Die Entwicklung des Verbrenners sowie der elektrisch angetriebenen Eisenbahn führt zu einer immer stärkeren Motorisierung des Nachschubwesens, heute Supply Chain genannt, das sich vor allem auf die Koordinierung von Lkw, Zügen, Schiffen und Flugzeugen konzentriert.
Transportmittel wandeln sich, doch seit den Pharaonen entstehen permanent weitere logistikrelevante Treiber des Handels und der Wirtschaft: Schriftverkehr, doppelte Buchführung, Steuern, Gesetze und Verträge, Kredite und Versicherungen, Informationssysteme, Planung, Termine und letztlich der Preis – der messbare Wert der Dinge in der Zeit.
DIE UHRZEIT LÄSST DAS LOGISTIKHERZ SCHLAGEN
Der Begriff Zeit sticht heraus aus der gängigsten Logistik-definition, die vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler E. Grosvenor Plowman stammt: „Logistik heißt, die Verfügbarkeit des richtigen Gutes, in der richtigen Menge, im richtigen Zustand, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, für den richtigen Kunden, zu den richtigen Kosten zu sichern.“
Kein Zufall, dass Just-in-time, die Lieferung von Waren genau dann, wenn sie benötigt werden, das Herz der zeitgenössischen Logistik ist – zu schlagen beginnt es durch die Erfindung der Uhrzeit. Das erste präzise Instrument zu ihrer Messung verdankt die Welt dem Briten John Harrison, der seine Uhr 1759 vorstellt. Sie ermöglicht auch die exakte Bestimmung des Längengrads und damit der Position eines Objekts, etwa eines Schiffes auf dem Ozean. Und zur Koordinierung der unterschiedlichen Uhrzeiten an unterschiedlichen Orten ersinnt der Kanadier Sandford Fleming Ende des 19. Jahrhunderts das Konzept der weltumspannenden 24 Zeitzonen.
Im Zeitraffer führt eine direkte Linie zum global präzisen Takt von Satelliten- und Kommunikationssystemen, Navigationsinstrumenten und Computernetzwerken, Algorithmen und KI, die Güterbewegungen kontrollieren und steuern – logistische Prozesse, die irgendwann vielleicht ganz ohne Menschen auskommen.
Für den Auszug des Homosapiens aus Afrika werden diverse Gründe diskutiert: Klimawandel, Nahrungsmittelangebot, Über- oder Unterbevölkerung, Konflikte. Aber einen möglichen Faktor lässt die Wissenschaft außer Acht: den Zufall. Die erste simple Logistik, menschenersonnen, könnte auf ihn zurückgehen – ausgerechnet die Variable, die ebenjener Mensch aus den Gleichungen der Logistik streichen will.