Saubere Server

Digitale Datenströme verbrauchen Unmengen an Energie und belasten damit die Umwelt. Ein IT-Unternehmen aus Nordfriesland will das ändern – und hat das erste CO2-absorbierende Rechenzentrum Deutschlands gebaut.
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Janina Martens Redaktion

Die Nordseeküste ist nur einen Katzensprung entfernt, das Land flach. Erst wenn die Schafe keine Locken mehr haben, so sagt man hier, zählt Wind in dieser Gegend als Sturm. „Der perfekte Standort für ein Rechenzentrum!“, sagt Wilfried Ritter. Gemeinsam mit seinen Geschäftspartnern hat der 30-Jährige das Unternehmen Windcloud gegründet und in Schleswig-Holstein das erste klimaneutrale Rechenzentrum Deutschlands gebaut.

 

Seit August 2020 ist die Pilotanlage auf einem ehemaligen Militärgelände in der nordfriesischen Gemeinde Enge-Sande in Betrieb. Was früher ein Offiziersheim war, beherbergt nun dreißig Serverschränke – und eine Algenfarm auf dem Dach. Algenzucht auf einem Rechenzentrum? Es mag befremdlich klingen, doch dieses innovative Konzept könnte Informations- und Kommunikationstechnik umwelt- und klimaschonender machen.

 

Das Internet ist derzeit ein Stromfresser und Klimakiller. Wäre es ein Land, hätte es den sechstgrößten Energieverbrauch der Welt. Einen erheblichen Teil davon macht der Betrieb der Rechenzentren aus, denn die Server laufen rund um die Uhr, hängen am Strom und müssen gekühlt werden. Derzeit verbrauchen allein die Rechenzentren in Deutschland mehr als 13 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr. Das entspricht ungefähr dem Stromverbrauch der Stadt Berlin.

 

Zukunftsfähige Green-IT-Konzepte sind also unerlässlich. „Wir sollten den Anspruch haben, alle gemeinsam die Kurve zu kriegen und die CO2-Emissionen zu senken“, sagt Wilfried Ritter von Windcloud. „Dafür müssen Werte wie ‚Bio‘ und ‚Regional‘ nicht nur bei Gemüse, sondern auch bei IT-Dienstleistungen eine Rolle spielen.“ Der digitale Konsum müsse ökologischer werden. Aber wie kann das funktionieren?

 

Zum einen spielt das Nutzerverhalten jedes Einzelnen eine Rolle. Jede Suchanfrage bei Google, jede Videokonferenz, jeder Netflix-Serienabend verbraucht Energie. 30 Minuten Streaming setzt ungefähr so viel CO2 frei wie sechs Kilometer Autofahren, zwanzigmal Googeln entspricht etwa dem Stromverbrauch einer Energiesparlampe in der Stunde. Als Internetnutzer kann man seinen eigenen CO2-Fußabdruck verkleinern, indem man den digitalen Datenverkehr verringert, also zum Beispiel beim Online-Meeting das eigene Video ausschaltet und Serien nicht in höchster Auflösung streamt.

 

Zum anderen stehen auch Computerhersteller, Rechenzentrumsbetreiber und Software-Entwickler in der Verantwortung, die CO2-Emissionen digitaler Technik zu reduzieren. Windcloud geht mit gutem Beispiel voran. Die Firma versorgt ihre Rechenzentrumsanlage mit 100 Prozent physikalischem Ökostrom. Größtenteils stammt dieser aus Windenergie. „Davon gibt es hier in Schleswig-Holstein mehr als genug“, sagt Geschäftsführer Ritter. „Deshalb ist das der ideale Standort für uns.“

 

Wilfried Ritter hat den größten Teil seines Lebens in Hamburg verbracht und fühlt sich im Norden wohl. Die Arbeit führte ihn für eine Weile nach Nord-
rhein-Westfalen, dort baute der gelernte Elektroniker sich eine eigene Dienstleistungsfirma für Baustrom auf. Parallel dazu beschäftigte er sich mit dem Schürfen von Kryptowährungen, auch „Mining“ genannt.

 

„Warum minen wir nicht grün?“, habe er sich gefragt. Das Schürfen von digitalem Geld, zum Beispiel Bitcoin, frisst massenhaft Energie. Dem Portal „Power Compare“ zufolge übersteigt der Stromverbrauch für Bitcoin-Mining bereits jetzt den jährlichen Durchschnittsverbrauch von Ländern wie Irland oder Nigeria, Tendenz steigend. Wilfried Ritter wollte umweltfreundlicher schürfen.

 

In Skandinavien fand er nachhaltigere Mining-Rechenzentren, aber er wollte es noch besser machen. Und vor allem: in Deutschland. „Ich habe mich umgehört“, erzählt er, „und festgestellt, dass es in Schleswig-Holstein günstigen Strom gibt, 100 Prozent grün.“

 

So kehrte Ritter wieder zurück in den Norden. Seine Idee, ein grünes Mining-Rechenzentrum aufzubauen, entwickelte sich weiter, das Mining geriet in den Hintergrund. Wilfried Ritter fand mit seinen Ansprüchen und Visionen ein Zuhause auf dem „GreenTEC-Campus“ in Enge-Sande. In dem grünen Gewerbepark, nur 20 Autominuten von der Nordseeküste entfernt, sind diverse Unternehmen angesiedelt, die Zukunftstechnologien für mehr Nachhaltigkeit entwickeln.

 

Hier traf Ritter Gleichgesinnte und gründete, hervorgehend aus einem Vorgängerunternehmen, seine Firma Windcloud 4.0, die er gemeinsam mit Stephan Sladek leitet. Das war im April 2018. Zwei Jahre später ging das Rechenzentrum an den Start – komplett ökostrombasiert.

 

Doch nicht nur das. Windcloud setzt noch eins obendrauf, und zwar buchstäblich: ein gläsernes Gewächshaus oben auf das Dach der Anlage. Normalerweise müssen Rechenzentren energieaufwendig klimatisiert werden, da beim Serverbetrieb viel Abwärme entsteht. Windcloud spart sich die Kühlung und nutzt die warme Luft: Über einen Abwärmekanal wird sie direkt ins Gewächshaus geleitet.

 

Bei konstanten 32 Grad Celsius gedeihen hier in Schläuchen und einem Wasserbecken die Blaualgen Spirulina. Sie haben gleich zwei Vorteile: Sie binden CO2 und tragen somit zur guten Emissionsbilanz des Rechenzentrums bei. Außerdem spülen sie zusätzliches Geld in die Firmenkasse, denn sie werden verkauft und weiterverarbeitet zu Nahrungsergänzungsmitteln und Kosmetika.

 

Die Kombination aus Algenfarm und Rechenzentrum ist ungewöhnlich. „Aber wir sind nicht die Ersten, die die Abwärme von Servern nutzen“, sagt Wilfried Ritter. Sein Vorbild seien Rechenzentren in Skandinavien gewesen. Dort sei man schon eine ganze Ecke weiter. Nicht nur, dass Datenzentren in Norwegen etwa in stillgelegten Minen untergebracht werden, in denen es ganzjährig kühl ist, auch die Abwärmenutzung wird bereits stärker mitgedacht. In Stockholm etwa speisen die Datenknotenpunkte ihre Abwärme direkt ins städtische Fernwärmenetz ein.

 

Mittlerweile ist das Thema jedoch auch in Deutschland angekommen. Das Dresdner Unternehmen Cloud & Heat etwa hat ein Konzept entwickelt, um Serverschränke als Heizanlagen für Gebäude zu nutzen. So zum Beispiel im Eurotheum in Frankfurt am Main. Das Hochhaus beherbergt ein Rechenzentrum, das an das Gebäudeheizungssystem angeschlossen ist. Im Inneren der Serverschränke verlaufen Wasserkanäle. Das durchfließende Wasser kühlt den Rechner, erwärmt sich auf 60 Grad Celsius und geht in den Heizungskreislauf. So werden Büroräume und Hotelzimmer mit der Serverabwärme geheizt.

 

Neben vielen Green-IT-Startups arbeiten auch Branchengrößen an Projekten für ökologischeres Internet. So hat der IT-Gigant Microsoft im Sommer 2018 ein autonomes Unterwasser-Rechenzentrum vor der schottischen Küste installiert. Der Konzern versenkte „Natick“, eine 14 Meter lange und 12 Meter breite Metallröhre mit knapp 900 Servern. Das Meerwasser dient als natürliche Kühlung; es wird durch die Kühler auf die Rückseite der Server-Racks geleitet und dann zurück in die Nordsee.

 

Windcloud setzt dagegen auf „direkte freie Kühlung“, sprich: auf das kühle norddeutsche Wetter. „Es ist hier in Nordfriesland durchschnittlich 2,9 Grad kälter als in den Metropolregionen Deutschlands“, erklärt Wilfried Ritter. Die Umgebungstemperatur in Kombination mit dem Abwärmekanal, der ins Gewächshaus führt, mache eine zusätzliche Kühlung des Rechenzentrums überflüssig. „Nur bei Außentemperaturen von 30 oder 40 Grad müssten wir die Klimageräte anschmeißen.“

 

Wilfried Ritter hält Schleswig-Holstein nicht zuletzt deshalb für den idealen Rechenzentrumsstandort. „Das Land weiß selbst noch nicht, was es hier hat.“ Was erneuerbare Energien angeht, ist Schleswig-Holstein ein Vorreiter. Fast zwei Drittel der Stromproduktion machen hier erneuerbare Energien aus. „Ein Teil davon kann aber nicht ins Netz eingespeist werden“, sagt Ritter. Unter anderem liegt das daran, dass es an einer Nord-Südtrasse fehlt.

 

Überhaupt sei vieles im Hinblick auf die Energiewende bürokratisch und nicht langfristig gedacht, meint Ritter. Nachhaltige Digitalisierung könne eigentlich viel schneller vorangehen. Bei Windcloud jedenfalls ist das nächste Projekt schon in Planung: Zwei oberirdische Bunker auf dem Gelände in Enge-Sande sollen zu Rechenzentren werden. „Die Abwärme der Server wollen wir auf Wasser übertragen“, erklärt Ritter. Und das wiederum fließe dann in ein Gewächshaus auf der Grünfläche zwischen den Bunkern.

 

Die derzeitige Pilotanlage mit der Algenfarm auf dem Dach liefert dem Unternehmen wertvolle Daten zur Weiterentwicklung des Konzeptes, ist aber auch bereits voll zertifiziert und garantiert höchste Standards für Verfügbarkeit, Sicherheit und Energieeffizienz. Kunden können in der Anlage ihre eigene Hardware unterbringen oder die Rechentechnik von Windcloud nutzen und beispielsweise Cloud-Speicherkapazitäten mieten.

 

„In den Köpfen vieler Leute hat sich der Gedanke festgesetzt: Was ökologisch ist, ist auch teurer und weniger profitabel. Das stimmt nicht!“, sagt Wilfried Ritter. Im Geschäftsmodell von Windcloud gehen Ökologie und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand: So sind die Algen auf dem Dach eine wichtige Einnahmequelle für die Firma – und zugleich CO2-Absorber und Klimaretter.

 

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