Herausforderung Energiewende

Trotz Ausbau der Erneuerbaren Energien: Die größte Herausforderung bleibt der Ausstieg aus fossilen Energieträgern.
Energiewende
Illustration: Ivonne Schulze
Klaus Lüber Redaktion

Lazaros Tsikritzis hat Mühe, in die Kamera zu schauen. In einem aktuellen Fernsehbeitrag des ARD-Magazins Panorama sieht man den griechischen Bergbauingenieur auf einer kleinen Anhöhe stehen, hinter ihm die aufgerissene Erde eines Braunkohle-Tagebaus im Norden des Landes. Dort, berichtet Tsikritzis, wird der Duisburger Konzern Hitachi Europe ein neues Kohlekraftwerk bauen. Es soll 2019 ans Netz gehen. Und das, obwohl Griechenland eigentlich prädestiniert wäre für Solarenergie. „Sie sehen, ich kann kaum sprechen, weil mich die Sonne blendet“, sagt er. „Wir sind im November und die Temperatur liegt bei mehr als 20 Grad. Aber das Angebot aus Deutschland war so gut, dass wir es nicht ausschlagen konnten.“

 

Die besondere Attraktivität des Angebots, so erfährt man weiter, hat mit der großzügigen Förderung des Projektes durch die staatliche „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ (KfW) zu tun. Mehr als drei Milliarden Euro Exportkredite für Kohle-Vorhaben hat die Kreditanstalt nach Angaben der Panorama-Redaktion seit 2006 gewährt. Ein Umstand, über den die Grüne Klimapolitikerin Annalena Baerbock im Beitrag nur den Kopf schütteln kann. „Griechenland ist das Paradebeispiel für die Absurdität dessen, was hier passiert. Man macht das Land 40 bis 50 Jahre abhängig von Kohle, obwohl man eigentlich sagt, in den nächsten 30 Jahren wollen wir aus den fossilen Energieträgern aussteigen.“

 

Tatsächlich ist diese sogenannte „Dekarbonisierung“ nach wie vor das erklärte Ziel der bundesdeutschen Klimapolitik. Vor 15 Jahren wurde das Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien, kurz EEG, verabschiedet. Die Marschrichtung war klar. Man wollte weg von konventionellen, hin zu alternativen Energieformen. Ein Fördersystem aus festen Vergütungen sowie der garantierten Abnahme und vorrangigen Einspeisung des Stroms wurde installiert, um sauberen Technologien wie Windkraft und Photovoltaik den schnellen Markteintritt zu ermöglichen. 

»Immer mehr Stiftungen und Privatleute ziehen Kapital aus fossilen Energien ab.«

Mit durchschlagendem Erfolg: Schon fast dreißig Prozent des deutschen Strommixes stammen aktuell aus erneuerbaren Energien. 2012 erreichten Solaranlagen in Deutschland eine Leistung von 22,4 Gigawatt, was in etwa der von 15 großen Kernkraftwerken entspricht. Rund 24.000 Windkraftanlagen tragen zu einer Wertschöpfung von jährlich 10,67 Milliarden Euro bei und haben rund 140.000 Arbeitsplätze geschaffen. Lange Zeit konnte und durfte Deutschland sich als internationaler Vorreiter einer grünen Klimapolitik präsentieren. 

 

Was also ist zu halten von der Tatsache, dass die deutsche Regierung offensichtlich genau denjenigen Energieträger, der bei der sogenannten Energiewende möglichst überhaupt keine Rolle mehr spielen sollte, nämlich die Kohle, zumindest im Ausland fördert? Widerspricht es nicht fundamental dem so eindeutig formulierten Ziel, mit dem Ausbau Erneuerbarer Energien einen wichtigen Anreiz zu einer nachhaltigeren globalen Energiepolitik zu leisten? 

 

Die Antwort ist kompliziert. Weder ist es so, dass das Vorhaben Energiewende im Kern gescheitert wäre. Dazu sind die positiven Effekte in Form vom stetig steigenden Anteil grünen Stroms am Energiemix zu eindeutig. Noch handelt es sich um eine Verschwörung der Kohlelobby, die im Ausland Milliardengeschäfte wittert. Die Wahrheit ist: Trotz des offensichtlichen Ausbaus Erneuerbarer Energien ist es offenbar schwerer als gedacht, das Hauptziel nicht aus den Augen zu verlieren: Die Reduzierung der CO2-Emmissionen.

 

Das liegt auch daran, dass ausgerechnet Deutschland sich selbst nach wie vor sehr schwer tut, aus der Kohleverstromung auszusteigen. Über 20 Milliarden Euro jährlich investiert das Land in die Förderung alternativer Energieerzeugung. Doch zugleich spielen die Kohlekraftwerke im Land eine fast so große Rolle wie im Jahre 2000, als das EEG in Kraft trat. Dabei müsste nach Angaben des Thinktank Agora Energiewende der Kohlestrom bis 2030 um 60 Prozent gesenkt worden sein, will die Regierung ihr Klimaziel von minus 55 Prozent CO2-Emission für denselben Zeitraum einhalten. Eine solche Exit-Strategie wurde zwar von Bundesumweltministerin Barbara
Hendricks angekündigt, aber noch nicht vorgelegt.

 

Am politischen Willen scheint es nicht zu liegen. In einer Regierungserklärung rief Hendricks kürzlich Stiftungen und Privatleute dazu auf, Kapital aus fossilen Energien abzuziehen. „Effektiver Klimaschutz ist nur möglich, wenn möglichst viele Finanzströme in Richtung Klimaschutz und Klimaanpassung umgelenkt werden“, sagte sie bei einer Regierungserklärung am 4. Dezember. Zuletzt hatte der Versicherungskonzern Allianz angekündigt, nicht länger Geld in Kohle-Unternehmen anzulegen.

 

Divest Invest wird dieser Abzug von Kapital auch genannt und organisiert sich in Form der Divest Invest Initiave bereits weltweit – und das recht erfolgreich. Gemäß des aktuellen Arabella Advisors Report haben 436 Institutionen und 2040 individuelle Personen aus 43 Ländern mit einem Vermögen von 2,6 Billionen US-Dollar Assets under Management zugesichert, ihr Kapital abzuziehen und damit die Klimarisiken aus ihren Portfolios zu entfernen. Im September letzten Jahres lagen die Zusagen noch bei 50 Milliarden US-Dollar.

 

Der schwierige Kohle-Exit ist nicht die einzige Herausforderung, vor der die Energiewende steht. Dringend zu lösen ist das Problem der Energieverteilung. Wie soll der Windstrom aus dem Norden oder die Sonnenenergie aus dem Süden zum Verbraucher gelangen? Wie geht man mit den großen Schwankungen der Stromproduktion um, welche Möglichkeiten gibt es, grünen Strom zwischenzuspeichern? 

 

Und nicht zuletzt die Digitalisierung des Strommarktes: Die Zeiten, in denen ausschließlich große Stromversorger die Haushalte mit Energie beliefern, werden bald vorbei sein. Die Haushalte versorgen sich selbst. Neben die Solarzellen auf dem Dach treten zusehends private Batterien im Keller. „So wird die Energiewende plötzlich zum Weggefährten der digitalen Welt, in der neben die Schwarmintelligenz des Internets die Schwarmstabilität vieler kleiner Speicher treten könnte“, wie es der Journalist Michael Bauchmüller kürzlich für die Süddeutsche Zeitung sehr schön zusammenfasste.

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