In Deutschland wird es bald deutlich weniger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geben – zwischen vier und sechs Millionen weniger werden es bis 2035 laut der jüngsten Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes (Destatis) sein. Das zeigt: Auch wenn die Diskussion um den demografischen Wandel nicht neu ist, ist sie leider kein Schnee von gestern.
Denn obwohl in den letzten zehn Jahren viele junge und oft hoch qualifizierte Menschen zugewandert sind und die Geburtenrate seit 2012 wieder ansteigt, dürften bald Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter fehlen. Die abmildernden Effekte sind in der Berechnung schon berücksichtigt. „Ohne Nettozuwanderung würde sich die Bevölkerung im Erwerbsalter bereits bis 2035 um rund neun Millionen Menschen verringern“, schreiben die Autoren vom Destatis.
In 30 Jahren wird jede zehnte Person in Deutschland mindestens 80 Jahre alt sein. Ungefähr 21 Millionen Menschen werden dann im Rentenalter sein – also jede/r Vierte. Und das wird laut der Hochrechnung bis circa 2060 voraussichtlich so bleiben. Diese Menschen hinterlassen eine Lücke in der arbeitenden Bevölkerung, denn es rücken weniger nach. Das ist eine Herausforderung, sowohl für Unternehmen als auch uns alle als Gesellschaft.
Mangel an Fachkräften
Für Unternehmen wird es zunehmend schwerer werden, qualifiziertes und motiviertes Personal zu finden. „Bereits heute sind viele Unternehmen, insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in peripheren Wirtschaftsregionen, von Fachkräfteengpässen betroffen“, schreiben die Forscher:innen Wenke Apt und Marc Bovenschulte in einer Analyse zur Zukunft der Arbeit im demografischen Wandel.
Vor allem für Stellen im Bereich Gesundheit, Soziales, Technik und Ingenieurswissenschaften dürfte es demnach bald noch schwerer werden, geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Der Grund: Diese Tätigkeiten lassen sich aktuell schwer automatisieren oder ins Ausland verlegen. Ungefähr 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Deutschen arbeiten in solchen „schwer substituierbaren“ Berufen – ein ganz schöner Batzen.
Maximal 30 Prozent der aktuell ausgeübten Tätigkeiten könnte in naher Zukunft automatisiert werden. „Selbst in hoch technologisiert Branchen wird menschliche Arbeit weiterhin als wichtiger Bestandteil von Produktion und Wertschöpfung gesehen“, schreiben die Forscher. Deswegen müssen sich Unternehmen stärker engagieren, um Arbeitnehmer:innen für sich zu gewinnen. Zwei Strategien kommen dafür infrage.
Kampf um Talente
Erstens gilt es, die Bedürfnisse der jungen Generation stärker zu berücksichtigen. Millennials – also die im Zeitraum der frühen 1980er- bis zu den späten 1990er-Jahren geborene Generation – haben andere Vorstellungen von guter Arbeit und gutem Leben als ihre Eltern. Für sie ist zum Beispiel ein Firmenwagen oft unwichtig. Ausreichend Urlaub, flexible Homeoffice-Regelungen und die Möglichkeit, mal ein Jahr auszusetzen, stehen hingegen hoch im Kurs. Das erfordert ein Umdenken in den Personalabteilungen.
„In den letzten sechs Jahren habe ich leider feststellen müssen, dass Deutschland mehr und mehr den globalen War for Talents verschläft“, schreibt Steffi Burkhart, Speakerin und Forscherin zum Thema Millennials auf dem Arbeitsmarkt. Millennials seien zwar quantitativ in der Minderheit, qualitativ jedoch die wichtigste Generation am Arbeitsmarkt.
„Wir sind es, die die Deutungshoheit über die wichtigste Massentechnologie unserer Zeit haben, dem Internet“, schreibt Burkhart. Die junge Generation entwickle den Begriff von Arbeit stark weiter. Um für sie attraktiv zu bleiben, benötige es ein neues Framework, bestehend aus Raum, Technologie, Methodik, Zeit, Vergütung und Sinn.
Denn der demografische Wandel erlaubt es den jungen, gut Ausgebildeten, sich immer stärker auszusuchen, wo sie arbeiten möchten. Arbeitskultur und Führung müssen sich verändern, damit Millennials den Unternehmen dabei helfen, wettbewerbsfähig zu bleiben. Ansonsten suchen sich die jungen Talente eben etwas anderes.
Arbeit diverser denken
Zweitens sollten Unternehmen versuchen, generell einen diversen Bewerberpool anzusprechen. So können zum Beispiel durch flexible Arbeitszeitmodelle bestimmte Jobs für Eltern attraktiver werden. Der Abbau von Vorurteilen bezüglich zum Beispiel Frauen in technischen Berufen und Männern in der Pflege würde deutlich größere Bewerber:innenzahlen ermöglichen. Englischsprachige Teams erleichtern den Jobeinstieg ausländischer Bewerber:innen. Analysen zeigen ein enormes, ungenutztes Beschäftigungspotenzial vor allem bei Frauen, älteren Menschen und Migranten.
Technische Hilfsmittel und regelmäßige Pausenzeiten könnten Arbeitnehmer:innen im höheren Alter erlauben, länger und besser zu arbeiten. So unterstreichen zahlreiche Studien, dass die Leistungswandlung älterer Beschäftigter kein Hemmnis für die Arbeitsproduktivität und Innovationsfähigkeit darstellt. Viele wichtige Fähigkeiten bleiben über das Leben hinweg konstant und hängen nicht mit dem Alter zusammen: etwa die individuelle Motivation, Lernbereitschaft und die Flexibilität.
Chancen durch Automatisierung
Die anstehenden Umbrüche auf den Arbeitsmarkt beeinflussen natürlich nicht nur einzelne Unternehmen. Sie haben Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft. Thomas Christiaans und Karsten Lübke von der FOM Hochschule in Dortmund haben die Auswirkungen des demografischen Wandels auf das deutsche Wirtschaftssystem analysiert.
Ihre Ergebnisse stimmen sie eher pessimistisch. „Die Theorie sagt voraus, dass das Pro-Kopf-BIP sinken wird, und der einzige Ausweg scheint zu sein, auf eine verstärkte Automatisierung zu setzen“, schreiben sie. Das BIP pro Kopf ist das Bruttoinlandsprodukt pro Person und somit ein Maß für den durchschnittlichen Wohlstand der Bevölkerung.
Auch wenn uns die Automatisierung also kurzfristig nicht aus dem Schlamassel helfen kann, könnte sie langfristig unseren Wohlstand sichern. „Das bedeutet für eine Volkswirtschaft wie Deutschland auch hinsichtlich der internationalen Konkurrenzfähigkeit, dass mehr Investitionen in die Forschung und Entwicklung erforderlich sein werden, um diese Automatisierung zu ermöglichen“, schreiben die Forscher. Gleichzeitig bedürfe es mehr sozialen Ausgleichs, damit nicht etwaige Verteilungskämpfe die Stabilität der Volkswirtschaft bedrohen.