Zeitenwende im Autoland

Auf der Autobahn A9 werden Entwicklungen erprobt, die in Zukunft das Autofahren radikal verändern werden. Sie geben einen Vorgeschmack auf die Technik der Zukunft.
Illustration: Dirk Oberländer
Kai Kolwitz Redaktion

Verkehrsminister Alexander Dobrindt war guter Dinge, als er Mitte Oktober die Zwischenbilanz zog: Seit gut einem Jahr existiert auf der Autobahn A9 das „Digitale Testfeld Autobahn“. Zwischen den Abfahrten Nürnberg-Ost und München-Nord wird seither im laufenden Verkehr all das erprobt, was das Autofahren in Zukunft mit Hilfe des Computers angenehmer und sicherer machen soll: autonome Fahrzeuge, Kommunikation zwischen Autos oder mit der Infrastruktur am Straßenrand – sogar LKW-Konvois sind auf der A9 unterwegs, bei denen die hinteren Fahrzeuge mit dem vordersten digital verbunden sind und in Echtzeit Lenk- und Bremsmanöver übernehmen. Der Vorteil: Durch die Kommunikation können die Lastzüge mit deutlich geringerem Abstand als bisher fahren, auch die gefürchteten Auffahrunfälle an Stauenden ließen sich durch die Echtzeitübertragung vermeiden. Und: Wer nicht gerade vorne fährt, der kann sich am Steuer seines LKW entspannen. „Highway Pilot Connect“ nennt zum Beispiel Mercedes diese Technik.

Connected Cars werden Standard

80 Millionen Euro investiert der Bund in solche Testfelder. Als nächstes, so kündigte der Minister an, will man entsprechende Abschnitte auf Landstraßen und in der Stadt freigeben, wo der Verkehr diffuser ist und die Anforderungen an die Software daher deutlich höher. Wer im Jahr 2016 als normaler Fahrer über die A9 fährt, muss derweil genau hinsehen, wenn er die Testwagen erkennen will. Einfach deshalb, weil sie so normal mitschwimmen, dass sie im Verkehr kaum auffallen. Die Digitalisierung des Automobils ist eines der großen Zukunftsthemen, für Autohersteller wie auch für Forscher, Software- und Telekommunikationsunternehmen. Denn wären erst alle Autos auf der Straße in der Lage, miteinander zu kommunizieren, dann könnte das völlig neue Verkehrswelten eröffnen: Gefahrenmeldungen könnten von Auto zu Auto weitergeleitet werden, Informationen über Fahrmanöver ließen sich in Echtzeit weiterleiten: Ein Notbremsassistent könnte auf den plötzlich links abbiegenden Vordermann ohne Schrecksekunde reagieren. Und Verkehrsschilder könnten die geltenden Tempolimits automatisch an die Navigationssysteme der vorbeifahrenden Autos übermitteln. „Wie schnell darf man denn hier nochmal?“ würde dann der Vergangenheit angehören.

Für viele klingt das nach Science Fiction, doch die Kommunikation von Autos miteinander oder mit der Infrastruktur dürfte in wenigen Jahren Standard sein: Bereits heute ist der Großteil der neu gebauten Fahrzeuge mit dem Internet verbunden, an gemeinsamen Standards arbeiten die Hersteller gerade. So haben sich zum Beispiel Audi, Daimler und BMW mit Mobilfunkern und Hardwarebauern wie Intel, Ericsson, Huawei und Nokia zur „5G Automotive Association“ zusammengeschlossen, um die kommende 5G-Mobilfunk-Technik bestmöglich aufs Auto zu übertragen. Telefonica Deutschland und das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation suchen gemeinsam nach Wegen, mit Hilfe von Mobilfunkdaten den Verkehr im notorisch zugestauten Stuttgart besser zu lenken.

Natürlich wäre ein auf solche Art mit Informationen über die Umgebung versorgtes Fahrzeug auch eins, das deutlich einfacher autonom durch den Verkehr navigieren könnte. Auch solche Prototypen sind natürlich auf der A9 unterwegs, BMW, Mercedes oder Audi haben mit der Technik schon viele tausend störungsfreie Kilometer abgespult, der im kommenden Jahr erscheinende BMW 5er zum Beispiel wird gegen Aufpreis automatisch bremsen, beschleunigen und auch die Spur wechseln können. „Autopilot“ mag man das System bei BMW allerdings trotzdem nicht nennen, um Bauchlandungen à la Tesla zu vermeiden. So bleibt es bei „Active Cruise Control“, kurz ACC. Generell ist man bei Audi, Porsche, Mercedes und Co. vorsichtig mit Zeitangaben für selbstständig lenkende Fahrzeuge, komplett autonomes Fahren in allen Situationen wird wohl erst ab 2025 möglich sein – unter anderem deshalb, weil der wuselige Stadtverkehr an Autopiloten weit höhere Anforderungen stellt als die Autobahn mit ihren relativ klaren Regeln. Und nicht zuletzt müssen rechtliche und moralische Fragen beantwortet werden: Wen muss ein autonomes Fahrzeug im Fall eines Unfalls in erster Linie schützen – seine Insassen oder gleichberechtigt auch alle anderen drumherum?

E-Mobilität setzt sich durch

Gut stehen allerdings die Chancen, dass das erste wirklich autonom fahrende Auto weder mit Benzin noch mit Diesel angetrieben wird. Denn trotz des zähen Starts sprechen alle Anzeichen dafür, dass elektrisch angetriebene Fahrzeuge im kommenden Jahrzehnt eine weit größere Rolle spielen werden als heute. Denn zwar ist die Fahrt mit Strom derzeit noch in den allermeisten Fällen teurer als die mit Benzin oder Diesel. Aber Stück für Stück dürfte sich das ändern: Akkus werden langsam, aber sicher billiger und leistungsstärker, die Ladezeiten parallel kürzer.  Eine Revolution sehen Experten zwar nicht am Horizont, dafür aber eine stetige Entwicklung zum Besseren. Die kühl rechnenden Fuhrpark-Manager gehören deshalb zu denjenigen, von denen erwartet wird, dass sie die Verbreitung von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen forcieren werden.

Die Post zum Beispiel hat sich bereits weit aus dem Fenster gelehnt: Gemeinsam mit der RWTH Aachen hat man auf eigenes Risiko den elektrisch angetriebenen Lieferwagen Street Scooter entwickelt. 2000 davon will das Unternehmen bis zum Jahresende noch in Betrieb nehmen. Man muss sagen: Es hat seine Zeit gedauert, bis die deutschen Hersteller sich voll auf das Thema Elektromobilität eingelassen haben, Treiber der Entwicklung waren zunächst andere. Doch inzwischen erscheinen immer mehr Modelle, die mehr sein wollen als nur Feigenblätter. Der Opel  Ampera-E zum Beispiel soll eine elektrische Reichweite von mehr als 500 Kilometern haben. Auch wenn von solchen Herstellerangaben immer ein paar Prozent abgezogen werden müssen – das klingt schon völlig anders als die 150 Kilometer, die noch vor einigen Jahren Usus waren. Ab 2017 soll das Modell zu kaufen sein. Und auf dem Autosalon in Paris stand es neben Studien, die so deutlich wie noch nie zuvor zeigten, welche Chancen elektrische Antriebe auch für das Design bieten.

Elektromotoren sind viel kompakter als Verbrenner, deshalb können sie auch in den Achsen oder Radnaben verbaut werden. Und dadurch wird jede Menge nutzbarer Raum frei. Die in Paris präsentierten Demonstrationsobjekte Mercedes Generation EQ und VW I.D. beeindrucken deshalb mit einem bisher nicht gekannten Platzangebot im Innenraum.  Aus dem EQ soll bis 2018 ein Serienmodell und der Beginn einer eigenen Mercedes-Elektro-Marke werden. Der I.D. zielt dagegen weiter in die Zukunft:  Würde der Wagen autonom fahren, so ließe sich auf das Lenkrad verzichten, dachten sich die Designer. Konsequenterweise wird es im VW-Demonstrationsobjekt dann daher eingezogen. Dann sitzt man im Wagen endgültig wie im Wohnzimmer. Zunächst vermutlich auf der A9.

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