Frank Schätzing ist so ein Fall. Der bekannte Schriftsteller ist nicht nur Gründer einer Werbeagentur, sondern auch Musiker. Nach einigen Novellen und Satiren veröffentlichte er 1995 seinen ersten Roman, einen historischen Krimi mit dem Titel „Tod und Teufel“. Nach weiteren Krimis entschied er sich schließlich für das Genre des Wissenschaftsthrillers. Der Durchbruch gelang Schätzing 2004 schließlich mit seinem Ökothriller „Der Schwarm“.
Wer das Buch als Science Fiction ansah, sah sich von der Realität überholt, als noch im selben Jahr ein Tsunami über Indien und Südostasien hereinbrach und mehr als 200.000 Opfer forderte. Ein Tsunami spielte in Schätzings Buch ebenfalls eine Rolle, wenngleich er im Buch nicht von einem Erdbeben, sondern von einer bislang unbekannten Lebensform ausgelöst wurde. Schätzings Plot: Der Mensch beutet die Natur in übermäßiger Weise aus, und dafür erhält er nun die Quittung.
Wie diese aussehen kann, zeigt sich aktuell nicht nur durch die mutmaßlich durch Wildtierhandel ausgelösten Corona-Pandemie, sondern auch durch zunehmende Naturkatastrophen, Dürreperioden und schmelzende Gletschern und Polkappen. Der Klimawandel, das ist unbestritten, ist die größte Herausforderung unserer Zeit. Frank Schätzing nahm dies zum Anlass, das Genre zu wechseln: vom Roman- zum Sachbuchautor. In seinem Buch „Was, wenn wir einfach die Welt retten?“ beschreibt er die Dramatik des Klimawandels – und zeigt auf, was getan werden muss, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Darunter sind zahlreiche technologische Lösungen: Digitalisierung, erneuerbare Materialien, Fertigungsprozesse, bis zur Diskussion über die Rückkehr zur Atomenergie.
Vom Künstler zu den Technologien der Zukunft
Das Beispiel wirft einen Blick auf das enorm vielfältige Spannungsfeld, in dem sich Kunst und Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft, bewegen. Es zeigt, wie Kreativität und Erkenntnis einander befruchten. Künstler müssen nicht die Zukunft vorhersagen, sie müssen weder aktuelle Ereignisse aufgreifen noch politisch sein. Doch was sie in jedem Fall leisten, auch wenn sie völlig abstrakt und eigenbezogen arbeiten: Sie regen zum Nachdenken an und sorgen für Inspiration.
Das wissen auch führende Vertreter der Wirtschaft, etwa Dr. Arend Oetker: „Künstler sind die Avantgardisten unserer Gesellschaft. Wer hier hinhört und Teil hat an zeitgenössischen Entwicklungen, wird auch offen sein für neue, kreative Wege und Innovationen im eigenen beruflichen Umfeld“, sagt das Vorstandsmitglied des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI. Die Initiative fördert Künstler, Musiker, Literaten, Architekten. Die Mitgliederliste liest sich wie ein Who is Who der deutschen Premiumfirmen. Börsennotierte Dax-Unternehmen sind ebenso vertreten wie zahlreiche Mittelständler.
Seit 2004 fördert der Kulturkreis außerdem mit einem Exzellenzprogramm die kulturelle Kompetenz von künftigen Führungskräften in Kooperation mit der Universität Mannheim und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) für ausgewählte Studierende beider Universitäten. „Es ist eine sehr gute Initiative, die Studierenden mit Künstlern zu konfrontieren, da die Fragen nach Selbstbestimmung, Selbstaufrichtung und nach Selbst-Autorisierung brandaktuell sind und immer waren, aber heute von der Kulturindustrie mit Unterhaltungsangeboten überschwemmt werden“, lobt der Künstler Thomas Hirschhorn.
Kunst und Kultur bilden ein Ökosystem, in dem sich Innovation und technologischer Fortschritt entwickeln können. Was aber geschieht, wenn wie in der Pandemie, Künstler ihre Arbeiten ein Jahr lang nicht öffentlich zeigen können, wenn Musiker auf Auftritte in Youtube-Videos beschränkt sind und Ausstellungen nurmehr per Zoom stattfinden können?
Die Kreativindustrie ist in existentieller Gefahr. Die Corona-Pandemie hat die Möglichkeiten, Ausstellungen, Events oder Konzerte zu besuchen, massiv eingeschränkt. Darunter leiden vor allem die Künstler selbst. Nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch der Austausch mit dem Publikum ist zum Erliegen gebracht: „Ohne Publikum scheint alle Kunst verloren“, schrieb der Musikwissenschaftler Martin Hufner in der Zeitschrift „Politik & Kultur“. Und zitiert die in Berlin arbeitende Harfenistin Kathrin Pechlof mit den Worten, die virtuelle Version eines Konzertes werde für sie niemals die spirituelle Erfahrung eines gemeinsamen Konzerts mit Publikum ersetzen können.
Laut Bundesregierung zählte die Kultur- und Kreativwirtschaft im Jahr 2019 etwa 1,2 Millionen Kernerwerbstätige, davon über 250.000 als Freiberufler und Selbstständige. Eine Million sind sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Die Corona-Pandemie könnte für die Kultur- und Kreativwirtschaft im vergangenen Jahr über 30 Milliarden Euro an Umsatzverlust bedeuten, so eine Bundesstudie. In einigen Bereichen wird bis zu 69 Prozent Minus erwartet. In Gefahr ist die Kultur außerdem noch aus strukturellen Gründen. So verlieren wegen der Corona-Pandemie nach Angaben des Deutschen Kulturrates viele Künstlerinnen und Künstler ihre Krankenversicherung in der Künstlersozialkasse.
Weil Auftritte, Veranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen und künstlerische Lehre bereits seit einem Jahr nicht möglich seien, hätten viele eine andere Tätigkeit aufnehmen müssen, um über die Runden zu kommen, teilte der Kulturrat mit. Dadurch trete temporär die eigentliche künstlerische oder publizistische Tätigkeit in den Hintergrund, was zum Verlust der Kranken- und Pflegeversicherung durch die Künstlersozialkasse führe. Ob diese Abwanderung aus der Kultur sich nach der Pandemie umkehren wird, darf bezweifelt werden.
Wie viele werden nach der Pandemie noch übrig sein? Welche langfristigen Folgen würde eine kulturelle Verödung für das Innovationsland Deutschland haben? Auch, wenn sich die Auswirkungen unmöglich beziffern lassen, ahnt man bereits, dass sie gravierend sein könnten. Kultur ist schützenswert und sollte nach dem Ende der Beschränkungsmaßnahmen der Pandemie erhöhte Aufmerksamkeit genießen. Denn Künstler sind Hoffnungsträger.