Diesel als Auslaufmodell

Die Elektrifizierung der kleinen Nutzfahrzeuge nimmt Fahrt auf. Parallel entwickeln sich alternative Konzepte für die Citylogistik.

Illustration: Malcolm Fisher
Illustration: Malcolm Fisher
Kai Kolwitz Redaktion

Jedes Jahr in der Weihnachtszeit wird die Tatsache besonders deutlich: Es wird sehr viel geliefert in deutschen Städten. Während die großen Einkaufsstraßen nicht mehr so voll mit Kunden sind wie vor 20 oder 30 Jahren, parken gelbe, weiße, blaue oder braune Transporter in zweiter Spur. Derweil liefert der Fahrer Waren aus, die Kunden online bestellt haben. In die Ecken rundherum sind die Wagen der Handwerker gequetscht, die stundenlang vor Ort sind und deshalb niemanden zuparken können.

Ein Problem haben Paketdienste, Elektriker und Heizungsbauer dabei gemeinsam: In absehbarer Zeit werden sie sich vom althergebrachten Dieselmotor unter der Haube verabschieden müssen. Zwar dürfen nach heutigem Stand noch bis 2035 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auf dem Gebiet der EU neu zugelassen werden – das sind im gewerblichen Bereich in der Regel noch mehrere Anschaffungszyklen – doch wie bei den Pkw ist schon erkennbar, wo die Reise mittelfristig hinführen könnte.

Elektrischer Sprinter mit verdoppelter Reichweite
 

Die allermeisten Hersteller, die im Segment Transporter aktiv sind, bieten bereits heute Modelle mit Elektroantrieb an. Und in diesen Tagen kommen noch einige hinzu, die mit Spannung erwartet werden – allen voran der VW ID.Buzz Cargo. Das Modell ist etwas kleiner als der Transporter 6.1 und hatte schon als Studie mit seinem an die erste VW-Bus-Generation angelehnten Design viele Sympathien gewonnen. Zum Serienstart wurde er zu Europas „Van of the Year“ gekürt, vor dem ebenfalls neuen Ford E-Transit und dem Mercedes EQT, der ein Verwandter des elektrisch angetriebenen Renault Kangoo ist. Außerdem will Mercedes im kommenden Jahr eine neue Generation des eSprinter mit gegenüber dem aktuellen Modell mehr als verdoppelter Reichweite bringen.

Allerdings: Auch, wenn noch nicht alle Preise im Detail bekannt sind, ist abzusehen, dass die Elektro-Wagen fürs Gewerbe keine Sonderangebote sein werden. So kostet der Ford E-Transit laut Liste gut 70.000 Euro brutto, während der billigste Transit mit Verbrennungsmotor für knapp 45.000 Euro zu haben ist. Auch bei den anderen Herstellern sind die Elektro-Varianten in der Regel um einiges teurer als die konventionellen Geschwister. Ebenfalls nicht hilfreich ist die Tatsache, dass die Förderung für Elektroautos ab 2023 geringer ausfällt als bisher und dass nach gegenwärtigem Stand ab September kommenden Jahres gewerblich genutzte E-Autos gar nicht mehr gefördert werden sollen.

So fokussieren sich die Hersteller in ihrer Werbung auch nicht auf den Preis. Stattdessen weisen sie auf geringere Betriebskosten hin – nicht zuletzt, da Elektroantriebe weniger wartungsintensiv sind und mit weniger Verschleißteilen auskommen. Und die Anbieter weisen auf die positive Wirkung fürs Image hin, wenn zukünftig lokal emissionsfrei ausgeliefert oder auf die Baustelle gefahren wird.

Zielgruppe sind die großen Flotten
 

So sind die typischen Käufer eines elektrisch angetriebenen Nutzfahrzeugs derzeit in der Regel nicht die kleinen Handwerker von nebenan (auch, wenn der Werbeeffekt und Gesprächswert eines VW ID-Buzz sicher nicht zu unterschätzen sind), sondern die Betreiber großer Flotten. Vor allem diejenigen, für die ein gutes Image Teil des Geschäfts ist: So hält Paketversender Amazon 20 Prozent der Anteile des amerikanischen E-Nutzfahrzeugbauers Rivian, bis Mitte des Jahrzehnts will der Konzern rund 10.000 elektrische Transporter durch Europa rollen lassen.

Auch andere Logistik-Dienstleister wie DHL, UPS oder Fedex haben angekündigt, den Anteil von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen in der Flotte deutlich zu erhöhen. Dazu sind sie teilweise sogar Partnerschaften mit Start-ups eingegangen, die die entsprechenden Fahrzeuge herstellen sollen. Gut möglich also, dass sich im Lauf der kommenden Jahre bisher unbekannte Nutzfahrzeugmarken auch in Deutschland einen Namen machen, nachdem sie aus den Erfahrungen mit dem Betrieb in den Kurierdienstflotten lernen konnten.

Die deutschen Lkw-Platzhirsche MAN und Daimler Trucks gehen die Elektrifizierung ihrer Flotte derweil von oben aus an: Während ein mittelschwerer MAN TGM oder ein schwerer Mercedes eActros bereits käuflich zu haben sind, sind im Bereich der 7,5-Tonner vor allem Umrüster wie Orten und Pepper Motion aktiv. Dafür tut sich ganz unten einiges – wieder mit den Kurier- und Paketdiensten als Vorreiter: Zum Beispiel Amazon, UPS, DHL und DPD experimentieren mit der Zustellung von Lieferungen per Lasten-eBike.

Was wirkt wie ein bisschen Image-Kosmetik zur Freude von Nachbarschaften wie in Berlin-Prenzlauer-Berg, könnte durchaus auch eine Alternative für Fahrten in chronisch zugestauten und zugeparkten Städten werden: Per Lkw werden die Waren bei diesem Konzept in ein kleines Depot gebracht, von dort aus liefern die elektrischen Bikes die Sendungen zu ihren Adressaten in der Umgebung. Die Räder lassen sich leichter abstellen und dürfen über Radspuren am Stau vorbeifahren – dort, wo es eng ist, schaffen sie damit unter Umständen mehr Lieferungen pro Stunde als der Kollege im Sprinter.

Professionalisierung des Lastenbikes
 

Sicher, solche Optionen werden häufig noch belächelt. Allerdings schaffen die Bikes oft mehrere hundert Kilo Nutzlast weg. Modelle wie das Ono des Berliner Herstellers Onomotion bieten mit geschlossener Kabine und Wechselcontainer durchaus die Voraussetzungen für professionelles Arbeiten. Gut möglich, dass sich in Zukunft zum Beispiel Hausmeisterdienste oder Lieferanten in größerer Zahl von den Vorzügen überzeugen lassen. Onomotion hat jedenfalls gerade einen neuen Produktionsstandort eröffnet.

Wer sich etwas eingehender mit dem Thema „Zukunft der Citylogistik“ befasst, der stellt jedenfalls schnell fest, dass bei dem Thema eine Menge Fantasie im Spiel ist. Diskutiert und entwickelt werden autonome Kleinfahrzeuge, computergesteuerte Lieferdrohnen, aber auch verstärkter Transport über innerstädtische Gewässer oder mit Lastentrams, wie das mancherorts sogar schon geschieht. Auch immer bessere Software soll dafür sorgen, dass unnötige Touren vermieden und die Transporte mehrerer Kunden miteinander vernetzt werden – und auch Wasserstoff-Antrieb oder eFuels sollte man angesichts des Booms der batterieelektrischen Fahrzeuge nicht aus dem Blick verlieren. Wie kommt das Paket 2035 zum Besteller und der Installateur zum Kunden? Möglicherweise völlig anders als heute.

 

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