Smarte neue Welt

Auch wenn Trendberichte über Industrie 4.0 und Internet der Dinge oft noch klingen wie Heilsversprechen, die vierte industrielle Revolution hat längst begonnen, unsere Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend zu verändern.
Roboter
Illustration: Christine Rösch
Interview: Klaus Lüber Redaktion

Ein Gespräch mit Reinhard Karger vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).

 

Herr Karger, werden wir Ende 2015 sagen: Das war das Jahr des Internets der Dinge?

 

Das war eine Prognose, die ich im Februar vor der CeBIT gewagt hatte. Leider war ich wohl doch etwas voreilig.

 

Warum?

 

Ich wollte eine Parallele ziehen zum mobilen Internet. Auf der CeBIT wurde es bereits 2004 als Konzept vorgestellt. Dann galt es jahrelang als Nische für Nerds, Mail-Junkies und Manager, bis es, etwa um das Jahr 2008, plötzlich real erfahrbar wurde. Nämlich dann, als Endgeräte bedienbar, Datentarife bezahlbar, die Infrastruktur breitbandig und die App-Ökonomie erfunden waren. Als ich auf der diesjährigen Konferenz die Industrie 4.0-Demonstrationsanlage SmartF-IT sah, dachte ich: Das ist nun gewissermaßen das 2008 für das Internet der Dinge und Industrie 4.0. Inzwischen glaube ich, dass wir wohl noch ein wenig warten müssen. 

 

Auch auf dem diesjährigen Nationalen IT-Gipfel wurde ein solcher Industrie 4.0-Demonstrator vorgestellt. Die Technik wirkt voll einsatzbereit. Woher rührt Ihre Skepsis?

 

Zunächst einmal bin ich jetzt für 2016 sehr optimistisch. Aber: es ist nach wie vor sehr anspruchsvoll, Industrie 4.0 in der Praxis zu realisieren. Es geht hier, ganz grundsätzlich, um die Verschmelzung von Unternehmenssoftware, Produktions- und Internettechnologie. Das ist nur mit einem phänomenalen Programmieraufwand zu bewerkstelligen. Man hat ja im Augenblick noch echte Probleme, verkürzt gesagt, das Terminplanungstool eines Anbieters mit dem Adressmanagementwerkzeug eines Wettbewerbers zu verbinden. Industrie 4.0 wird die größten Mehrwerte erzielen, wenn Aufträge unternehmensübergreifend bearbeitet werden können und das geht nur, wenn Unternehmen „barrierefrei“ detaillierte Produkt- und Produktionsdaten austauschen können. Ich bin aber noch aus einem anderen Grund etwas
 zurückhaltend.  

 

Was meinen Sie?

 

Erinnern wir uns noch einmal kurz an das mobile Internet. Die Tatsache, dass sich diese Technik so in der Breite durchsetzen konnte, hatte auch etwas zu tun mit einem Phänomen, über das wir seit etwa fünf Jahren vor allem in Zusammenhang mit der Digitalisierung diskutieren. Ich meine den Mechanismus der sogenannten Consumerization. Wer sich privat an bestimmte Dienste gewöhnt hat, die ihm sein Smartphone ermöglicht, hat wenig Verständnis, dass ihm dasselbe nicht auch am Arbeitsplatz geboten wird. Genau das ist beim Thema Mobile passiert. Der Druck von außen hat viele Unternehmen erst dazu animiert, ihre Unternehmens-IT umzustellen. Genau einen solchen Buttom-up-Prozess brauchen wir auch beim Thema Industrie 4.0. 

 

Wie sähe dieser dann konkret aus?

 

In vielen Fabriken arbeitet man im Augenblick noch mit mehr oder weniger handschriftlichen Arbeitsplänen. Das macht beispielsweise  das Protokollieren von Arbeitsprozessen zu einer mühseligen Angelegenheit. Stellen Sie sich nun vor, die Angestellten in dieser Fabrik fänden es für ihren Alltag längst vollkommen normal, dass solche Informationen sich quasi von selbst schreiben. Einem Arbeiter, dessen Zahnbürste vollkommen automatisch einen Plan erstellt, wie er seine Zähne geputzt hat, kann man eigentlich nicht mehr damit abspeisen, dass dasselbe nicht auch an seinem Arbeitsplatz möglich wäre.

 

Sie meinen kontaktlose Informationsübertragung?

 

Genau. Mittels Industrie 4.0 Technologie wäre es nun möglich, dass Rohlinge oder Werktstückträger das selbst übernehmen, quasi ihr eigenes Tagebuch schreiben. Nicht nur passiv, in der Form, dass Information dort hinterlegt wird, sondern auch aktiv. So dass ein Werkstück Aktionen an Maschinen auslösen kann und beispielsweise anzeigen kann: Mit dieser Maschine habe ich gar nichts zu tun, schleuse mich mal schnell durch, da drüben aber sollte ich weiterbearbeitet werden. 

 

Wenn solche Technologie also genau das ist, was wir uns im Alltag und bei der Arbeit wünschen, warum gibt es dann so viele Skeptiker, die sagen, wir dürfen uns genau von dieser Entwicklung nicht überrollen lassen?

 

Ich denke, solange die Technik nicht im Alltag angekommen ist, wird  das Sprechen über das Internet der Dinge und Industrie 4.0 für viele weiterhin klingen wie ein digitales Heilsversprechen. Zum anderen ist es ja gerade so, dass die Digitalisierung  mittlerweile eine Dimension angenommen hat, die, um einmal eine Metapher aus der analogen Welt zu verwenden, den Eindruck eines gewaltigen Räderwerks erzeugt, in dem wir uns vielleicht fühlen wie der von Charlie Chaplin gespielte Arbeiter im Filmklassiker Modern Times.

 

Geben Sie uns ein Beispiel? 

 

Nehmen Sie das Reisen. Manche haben schon die Situation auf einem Flughafen erlebt, dass man spät zum Check-in kommt, aber gefühlt nicht zu spät, denn das Flugzeug steht noch auf dem Rollfeld und die Türen sind nicht geschlossen. Aber die höfliche Auskunft ist,
dass man seinen Flug nicht mehr erreichen kann, weil im System das Boarding Zeitfenster bereits geschlossen ist. Da fühlt man sich wirklich von der Technik dominiert und muss aufrecht seine Nerven behalten
.

 

Lassen Sie uns einmal die Perspektive der Buttom-up-Prozesse verlassen und ganz konkret über die Vorteile für Unternehmen sprechen. Top-down, könnte man sagen, passiert ja gerade doch eine Menge.

 

Sie haben recht, Top-down könnten die Bedingungen eigentlich nicht besser sein. Die Politik, alle Wirtschaftsverbände, alle CEOs, aber auch die Gewerkschaften ziehen da an einem Strang. Ich spreche eigentlich mit niemandem in irgendwelchen Führungsebenen, der nicht bekräftigen würde, wie wichtig ihm oder ihr das Thema Industrie 4.0 ist. Nehmen Sie beispielsweise das Aktionsprogramm Industrie 4.0 des BMWi, bei dem es unter anderem darum geht, den Mittelstand für das Thema zu sensibilisieren. 

 

Genau das scheint ja auch wichtig zu sein. Der Mittelstand, so hört und liest man immer wieder, scheint ja beim Thema Industrie 4.0 noch sehr zurückhaltend zu sein.

 

Sehr zurückhaltend würde ich nicht sagen. Eher angemessen zurückhaltend, zumindest aus Perspektive des Mittelstandes. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ja überhaupt erst seit vier Jahren über die Potenziale von Industrie 4.0 sprechen. Gehen wir davon aus, dass viele KMU erst um das Jahr 2013/14 auf die neuen Möglichkeiten aufmerksam wurden. Sie können kaum erwarten, dass die Unternehmen nun sofort und von Grund auf ihre Produktion umbauen. Der Mittelstand ist gerade dabei, Investitionen zu verschieben, sich neu auszurichten und das dauert eine kleine Weile. Gleichzeitig stellt man sich als jemand, der über Jahrzehnte die eigene Produktion immer wieder modernisiert hat, die Frage: Was genau habe ich denn zur Verfügung, um meine Produktion digital zu veredeln?

 

Welche Möglichkeiten hätte denn speziell der Mittelstand?

 

Wenn Sie ein bisschen in die Zukunft denken, ergeben sich unglaublich interessante Perspektiven. Wenn Industrie 4.0 sich nicht nur beschränkt auf die singulär autark stehende vernetzte Smart Factory, sondern das Internet der Dinge zusammen mit der Industrie 4.0 ähnliche Konnektivität befördert wie das Internet der Daten und das Web, dann bedeutet das, dass mittelständische Unternehmen zu temporären Produktionsverbünden werden könnten. Wir haben es dann mit zeitlich befristeten virtuellen Großunternehmen zu tun, die all das tun können, was Großunternehmen jetzt auch tun können. Nämlich hochgradig effizient, hochgradig präzise, hochgradig pünktlich Kleinstserien abliefern. Dafür müsste allerdings eine wichtige Voraussetzung gegeben sein.

 

Nämlich welche?

 

Die Sicherheit der Datennetze. Der Informationsaustausch zwischen den Teilnehmern dieses Kurzzeitverbunds muss vor Angriffen geschützt werden. Für Hacker ist das ein sehr attraktives Angriffsziel, denn wenn der Zugang zum Netzwerk einmal geknackt ist, haben sie Zugriff auf die Daten sämtlicher Unternehmen. Wie man eine solche Plattform  absichern kann, ist eine ökonomische aber auch wissenschaftliche Frage. Das Gute ist, dass sie untersucht wird. Und das noch viel Bessere ist: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das hier in Deutschland schaffen, ist enorm hoch. 

 

Reinhard Karger; ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen e.V. (DGI) und Unternehmenssprecher für das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI).

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