Mobilität der Zukunft

Wie werden wir uns in den nächsten Jahrzehnten von A nach B bewegen?
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Illustrationen: Luisa Jung by Marsha Heyer
Kai Kolwitz Redaktion

Sicher ist: nachhaltiger als heute. Allerdings ist noch nicht klar, welches Konzept sich am Ende durchsetzen wird – bei der Antriebstechnik ebenso wenig wie bei den bevorzugten Verkehrsmitteln.


Schlägt dem Autofahren, so wie die meisten von uns es kennen, bald die letzte Stunde? Die Anzeichen für eine Art Götterdämmerung mehren sich jedenfalls.


Als bisher letzter wurde Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer vor einigen Tagen in vielen Schlagzeilen damit zitiert, er wolle ein Ende des Verbrennungsmotors in Deutschland bis 2035. Ab dann sollten nach seinem Willen keine Neuwagen mehr auf die Straßen kommen, die mit fossilem Benzin oder Diesel angetrieben werden.  


Damit reihte sich der Minister ein in eine große Anzahl an Stimmen, die den Autoverkehr massiv einschränken wollen: In Berlin wurde gerade ein Volksentscheid initiiert, der das Kernstadtgebiet autofrei machen will. Auch die mitregierenden Grünen stehen dieser Idee mit Sympathie gegenüber. Bleibt die rot-rot-grüne Koalition über die Wahl in diesem Jahr hinaus im Amt, könnte als erster Schritt das Anwohnerparken massiv verteuert werden. Ab 2024 soll es dann innerhalb des Berliner-S-Bahn-Rings keine gebührenfreien Parkplätze für Autos mehr geben.


Die Meldungen der jüngsten Zeit illustrieren einen Veränderungsdruck, der schon geraume Zeit spürbar ist: Immer lauter werden die Stimmen, die fordern, Mobilität nicht allein vom Auto her zu denken – und da vor allem nicht mehr von denen, die mit fossilen Kraftstoffen angetrieben werden.


Die Menschen, die mit dem Auto als selbstverständlichem Teil ihres Lebens sozialisiert wurden, kommen so langsam in die Jahre. Und bei der Generation, die nachrückt, spürt man in den Städten, dass zumindest der eigene Pkw für viele nicht mehr ganz oben auf der Wunschliste steht.

 

Neue Mobilitätsmöglichkeiten

 

Möglichkeiten, im städtischen Bereich von A nach B zu kommen, gibt es auch ohne eigenen Wagen reichlich: Busse und Bahnen stehen zur Verfügung, man kann das eigene Rad nehmen oder sich eins ausleihen, sich einem Sammeltaxi-Service wie Moia oder Berlkönig anvertrauen. Elektro-Scooter gibt es ebenfalls per App zu mieten. Und auch die von vielen gehassten E-Roller haben durchaus ihre Liebhaber.


Und falls es dann doch mal das Auto sein muss oder soll, haben Anbieter wie Miles, Sixt, DriveNow oder WeShare viele Städte inzwischen so reichlich mit Carsharing-Wagen bestückt, dass man schon großes Pech haben muss, an einem normalen Tag nicht nach ein paar hundert Metern auf einen verfügbaren Leih-Pkw zu stoßen. Selbst Transporter für den spontanen Einkauf bei IKEA kann man sich vielerorts einfach vom Straßenrand fischen. Da wird der eigene Pkw zum Kostenfaktor, auf den sich gut verzichten lässt. Das einzige, was noch besser werden könnte, ist die Software, die es braucht, um die Vielfalt zu managen. Zwar bemühen sich einige Anbieter – in Berlin zum Beispiel die Verkehrsbetriebe-Tochter Jelbi – die Vielfalt in einer App unterzubringen. Doch da ist noch Luft nach oben.


Was nach Paradigmenwechsel klingt, könnte aber eine gute Nachricht für diejenigen sein, die Auto fahren müssen – oder immer noch wollen. Denn jeder Pkw weniger auf der Straße hilft denen, die noch da sind, mit möglichst wenig Stau an ihr Ziel zu kommen: Pendler, Handwerker, immer mehr Paketlieferdienste – und natürlich die vielen Menschen, die nicht in einer Großstadt wohnen. Sie alle brauchen in der Regel weiterhin  die eigenen vier Räder, um mobil zu bleiben. Aber auch hier ändert sich gerade einiges. Und es ist schwer zu prognostizieren, welche Technik sich am Ende durchsetzen wird – und ob es nur eine einzige ist.

 

200.000 E-Autos im Jahr 2020

 

Benziner und Diesel scheinen gerade im Hintertreffen zu sein – erst recht dann, wenn sie mit Kraftstoff betrieben werden, der auf die alte Art aus dem Boden gefördert wird. Im Moment sieht es so aus, als ob die Kombination von Elektromotoren und Batteriespeichern im Auto das Konzept wäre, das sich zumindest in der näheren Zukunft am dynamischsten entwickeln wird.

 

Knapp 200.000 rein elektrisch fahrende Autos wurden 2020 in Deutschland zugelassen. Das sind dreimal so viele wie 2019 – und eine Größenordnung, die vor einigen Jahren noch unvorstellbar schien. Das liegt an üppiger staatlicher Förderung. Aber auch daran, dass die E-Autos zuletzt mit jedem neuen Modell ein bisschen mehr Reichweite und immer weniger Ladezeit vorweisen konnten.


Inzwischen sind Distanzen von 400 oder 500 Kilometern keine Seltenheit mehr. Das ist zwar immer noch zu wenig für den eiligen Außendienstler. Real schaffen viele Verbrenner aber auch nicht viel mehr als das. Für die Wege zum Arbeiten, zum Einkaufen und ab und zu den Besuch bei Oma werden solche Rahmendaten immer mehr Leuten ausreichen, erst recht dann, wenn verlässliche Ladepunkte zur Verfügung stehen – beim Arbeitgeber oder idealerweise in der eigenen Garage.


E-Antrieb ist leiser und stößt zumindest direkt am Auto selbst keine Schadstoffe aus. Ohren und Bronchien von geplagten Städtern wird das gefallen. Und auch für den städtischen Lieferverkehr mit seinen kürzeren, vorhersehbaren Routen könnte sich der Elektroantrieb so in den kommenden Jahren zum Gewinnerkonzept mausern. Entgegen ihren ursprünglichen Absichten lässt zum Beispiel Vorreiter Post/DHL die Fertigung ihres elektrischen Streetscooters noch nicht auslaufen und baut sich noch einige tausend Exemplare für den eigenen Bedarf.


Beim Güterverkehr zeigen sich aber auch die Grenzen, an die der Elektroantrieb momentan immer noch stößt. Wenn große, schwere Lasten über weite Strecken transportiert werden müssen, dann reichen Akkukapazitäten und Reichweiten noch nicht aus. Hier bieten weiterhin Treibstoffe Vorteile, die sich in flüssiger Form in Tanks im Fahrzeug abfüllen lassen. Aber auch ist hier gerade einiges im Fluss – was dann wiederum auch Auswirkungen auf den Markt für Pkw haben könnte.

 

E-Fuels oder Wasserstoff?

 

So propagieren gerade deutsche Autohersteller derzeit stark die sogenannten E-Fuels. Das ist kein Wunder, weil man so diejenigen Verbrennungsmotoren weiter nutzen kann, die man schließlich seit vielen Jahrzehnten immer weiter optimiert. Das funktioniert so: Mit überschüssigem Öko-Strom – etwa aus Windenergie an stürmischen Tagen – wird zuerst Wasserstoff produziert und aus diesem dann etwas, das man in konventionellen Verbrennungsmotoren verfeuern kann. Entweder in ein Äquivalent zu Erdgas („Power to Gas“) oder, noch einen Schritt weiter, in Benzin, Kerosin oder Diesel („Power to Liquid“).


Da im Herstellungsprozess CO2 gebunden wird, sind solche Treibstoffe klimaneutral bei der Verbrennung. Und E-Fuels könnten von ganz normalen Autos an ganz normalen Tankstellen in ganz normale Tanks gefüllt werden. Unter anderem Audi und Porsche engagieren sich deshalb mit eigenen Produktionsanlagen in diesem Bereich.


Vieles, was für die E-Fuels spricht, gilt aber auch für die altbekannten Biokraftstoffe. Also für Biodiesel oder ein Erdgasäquivalent, die beide aus nachwachsenden Rohstoffen produziert werden können – aus Pflanzenresten oder sogar Faulgasen. Und vor allem in Asien fragt man sich, warum man sich die Mühe mit der Umwandlung in E-Fuels macht – und nicht einfach gleich mit dem vorher produzierten Wasserstoff fährt.


Mit einer sogenannten Brennstoffzelle kann dieser nämlich wiederum im Auto in Strom verwandelt werden, der einen Elektromotor antreibt, wie er auch für das standardmäßige elektrische Fahren verwendet wird. Nachteile gegenüber den E-Fuels: Es braucht einen speziellen Wasserstofftank im Auto und es gibt hierzulande noch kaum Infrastruktur. Japan und Korea fördern den Wasserstoffantrieb jedoch kräftig, parallel treiben Hersteller wie Toyota und Hyundai/Kia die Technik voran.

 

Nachhaltige Zukunft

 

Da Autohersteller in großen Stückzahlen denken müssen, darf man gespannt sein, was sich am Ende durchsetzen wird – welches Antriebskonzept, welche Form der Mobilität. Wird es irgendwann wieder auf die eine Technik hinauslaufen? Oder werden wir eine Koexistenz erleben, abhängig von den Gegebenheiten eines bestimmten Marktes und von den Transportbedürfnissen, die erfüllt werden müssen?


Hinzu kommt, dass durch Corona weitere Fragen entstanden sind, auf die sich ebenfalls kaum einfache Antworten formulieren lassen: Was wird sich durch den Trend zum Homeoffice ändern? Was durch die dadurch ausgelöste Wanderungsbewegung aufs Land mit seiner schönen Umgebung und seinen preiswerten Lebenshaltungskosten? Wird der als gefährlich erlebte öffentliche Verkehr weiter Nutzer:innen verlieren?


Außerdem: Wie ist eigentlich der Stand beim autonomen Fahren, um das es in letzter Zeit ein bisschen still geworden ist? Auch hier wird kontinuierlich weiterentwickelt, VW Nutzfahrzeuge will zum Beispiel ab 2025 in der Lage sein, fahrerlose Sammeltaxis durch die Städte fahren zu lassen. Autonomes Car- und Ridesharing statt Taxi und Uber?


Man möchte eine Zeitreise ins Jahr 2100 machen, um zu sehen, wie wir uns dann bewegen. Sicher ist, Mobilität wird nachhaltiger werden. So einfach wie für unsere Eltern, die in der Regel nur die Frage „Benziner oder Diesel?“ beantworten mussten, wird es aber wohl bis auf Weiteres nicht mehr werden.

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