Bauen für die Energiewende

Illustration: Constanze Behr
Illustration: Constanze Behr
Lars Klaaßen Redaktion

Das von der Bundesregierung gesetzte Ziel, den Gebäudebestand bis 2050 klimaneutral zu gestalten, erfordert eine Senkung des Energieverbrauchs im Gebäudesektor um 80 Prozent im Vergleich zu heute. Technische Lösungen dafür wurden bereits erarbeitet. „Bei der Überführung der in der Forschung entwickelten Konzepte und Technologien in die breite Anwendung gibt es aber noch großen Handlungsbedarf“, sagte Frank Heidrich auf dem Kongress „EnergiewendeBauen 2017“, der in diesem Jahr zum ersten Mal stattfand. Der Leiter der Unterabteilung „Wärme und Effizienz in Gebäuden, Forschung“ im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie betonte: „Da müssen wir noch eine Schippe drauflegen.“

In der Wärmeversorgung sind große Veränderungen bereits in Sicht: So werden im urbanen Raum einzelne Gebäude bereits zu größeren Energieeinheiten verbunden und in den dafür notwendigen Wärmenetzen fließt zunehmend erneuerbare Energie. Hinzu kommt, dass Strom- und Wärmesysteme immer stärker gekoppelt sind, beispielsweise über elektrisch angetriebene Wärmepumpen und thermisch aktivierte Bauteilsysteme. Es müssen also komplexe, systemische Konzepte geplant und gebaut werden. Lösungen von der Stange gibt es dabei kaum, zu unterschiedlich sind die energetischen Rahmenbedingungen in den einzelnen Quartieren und Städten.

Auch auf der Gebäudeebene gehen mittlerweile Projekte an den Start, die künftig viele Nachahmer finden dürften. So wurden am 2. Mai in Neu-Ulm die bundesweit ersten Mehrfamilienhäuser im Effizienzhaus Plus Standard eingeweiht: zwei Zeilenbauten aus den 1930er-Jahren, die nach der Sanierung mehr Energie erzeugen als sie benötigen. Die minimierte Gebäudetechnik besteht aus Wärmepumpe, Warmwasserspeicher und Lüftungsanlage. Eine Sole-Wasser-Wärmepumpe erhitzt das Wasser und versorgt die Heizung. Den geringen Heizbedarf deckt eine Erdsonde, die als Frostschutz für den Wärmetauscher eingesetzt werden kann. Die Wärmepumpe versorgt einen 1.000-Liter-Kombi-Speicher, der die Versorgung von Heizung und Warmwasserbedarf sicherstellt. In jeder Wohnung ist zur Anhebung der Temperatur des Trinkwassers und zur Vorbeugung der Legionellenbildung eine Frischwasserstation installiert. Neben optimierter Dämmung der Außenhülle fehlt es natürlich auch nicht am Klassiker Sonnenenergie: Süd- und Flachdach sind auf einer Fläche von 214 Quadratmetern mit Photovoltaikmodulen belegt.

Ein völlig neues Instrument wird seit kurzem im Energy Efficiency Center erprobt, einem Forschungs- und Experimentiergebäude des Bayerischen Zentrums für Angewandte Energieforschung in Würzburg. Forscher entwickelten Salzhydrate, die sich als Speichermaterial in Kühldecken und zentralen Kältespeichern eignen. Salzhydrate nehmen große Wärmemengen auf und kühlen dadurch ihre Umgebung, wenn sie über ihren Schmelzpunkt erwärmt werde. Beim Erstarren geben sie diese Wärme wieder ab. Mit ihrer Hilfe lässt sich die benötigte Kälte sehr effizient bereitstellen. Erste Ergebnisse versprechen eine signifikante Steigerung der passiven Kühlleistung gegenüber bereits eingesetzten Systemen.

Um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, bis 2050 den Gebäudebestand Deutschlands nahezu klimaneutral zu machen, „benötigen wir Plus-Energie-Häuser als Ausgleich für all jene Gebäude, die bis dahin noch nicht effizient genug sind“, sagt Monika Thomas, Leiterin der Abteilung Bauwesen, Bauwirtschaft und Bundesbauten im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB). „Im Segment Bildungsbauten schlummern große Potenziale, die wir aktivieren sollten.“ Laut amtlicher Statistik aus dem Jahr 2009 hat Deutschland einen Bestand an 35.566 Schulen, 394 Hochschulen und 8.981 Berufsschulen. Weiterbildungs- und Kindertagesstätten hatte das Statistische Bundesamt dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Viele Schulen müssen ohnehin saniert werden. Zudem bieten solche Bauten sich auch durch die Art ihrer Nutzung für ambitionierte energetische Projekte an. Im Gegensatz zu Wohnhäusern haben Bildungsbauten zwei Vorteile. Erstens wird Energie dort vor allem tagsüber verbraucht, wenn etwa Photovoltaikanlagen bei gutem Wetter auf Hochtouren laufen. Energieverbrauch und Input durch Erneuerbare wie Sonnenkraft verlaufen in größerem Maße parallel als bei Wohnhäusern. Zudem ist der Stromverbrauch in Bildungsbauten anteilig zur Gesamtfläche und zur Nutzerzahl geringer als im Wohnbereich. „Ein neuer Schulbau lässt sich also mit verhältnismäßig überschaubarem Einsatz zum Plus-Energie-Haus machen“, sagt Thomas.

Vorreiter dabei ist die Louise-Otto-Peters-Schule (LOP) in Hockenheim. Der Neubau im Effizenzhaus Plus Standard wird am 13. Oktober 2017 eingeweiht, als erstes im Förderprogramm „Effizienzhaus Plus Bildungsbauten“ finanziertes Projekt. Der Bund hat dafür 447.000 Euro investiert. Die Gebäudehülle unterschreitet deutlich die Anforderungen der Energieeinsparverordnung. Eine Wärmepumpe in Kombination mit Eisspeichertechnologie, die auch für die sommerliche passive Kühlung eingesetzt wird, arbeitet besonders energieeffizient. Auf das städtische Nahwärmenetz muss zukünftig nur in Spitzenlastzeiten zurückgegriffen werden. Eine Photovoltaikanlage dient als „KleinKraftwerk“.

„Die Herausforderung bei solch einem Projekt besteht darin, die einzelnen Bausteine aufeinander abzustimmen“, erläutert Thomas. Der Alltagsbetrieb wird über zwei Jahre wissenschaftlich begleitet, um Folgendes zu klären: Funktioniert das System, wird es vor Ort richtig gesteuert, verhalten die Nutzer sich wie erwartet, lässt das System sich optimieren? Die wissenschaftliche Begleitung des zweijährigen technischen Monitorings in Hockenheim übernimmt die ina Planungsgesellschaft. Die wissenschaftliche Gesamtauswertung der Effizienzhäuser Plus Bildungsbauten läuft über das Fraunhofer-Informationszentrum Raum und Bau (IRB). Die Bildungsbauten im Effizienzhaus Plus Standard sind Teil des Netzwerks Effizienzhaus Plus, das vom Bundesbauministerium gefördert und im Auftrag des Bundesinstituts für Bau-, Stadt und Raumforschung wissenschaftlich begleitet wird.

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