Innovationsmotor Healthcare

Das deutsche Gesundheitswesen profitiert vom Innovationsschub der Digitalisierung, hat im Branchenvergleich aber noch Verbesserungspotenzial.
Illustration: Xinwei Zhang
Dr. Ulrike Schupp Redaktion

 

Telemedizin und Videosprechstunden in der virtuellen Arztpraxis gehören dazu ebenso wie die Migräne-App mit dem elektronischen Schmerztagebuch oder auch intelligente Systeme für zu Hause, die bei der Beschaffung von Medikamenten helfen, Einkäufe organisieren und bei Bedarf den Notarzt rufen. Für die Gesundheitsbranche mit ihren mehr als fünf Millionen Beschäftigten und ihrem wachsenden Markt bieten digitale Technologien viel Potenzial. Sie können unter anderem dazu beitragen, die medizinische Versorgung auch in ländlichen Regionen zu verbessern. Sie können Mündigkeit und Selbstfürsorge von Patienten und Patientinnen unterstützen, Arbeitsabläufe vereinfachen oder durch den schnellen Daten- und Informationsfluss auch die Ärztekommunikation.

Trotzdem bildet das Gesundheitswesen „Wirtschaft Digital 2018“, dem Monitoring des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zufolge mit 37 von 100 möglichen Indexpunkten das Schlusslicht der digitalen Entwicklung. Auffällig ist jedoch, dass 18 Prozent der Unternehmen dennoch stark in die Digitalisierung investieren. Die Gesundheitswirtschaft belegt diesbezüglich immerhin Platz fünf im Branchenvergleich.


Unübersehbar ist auch die aktive Start-up-Szene, die vielfältige digitale Ideen und Produkte erfolgreich auf den Markt bringt, wie ein Blick auf die Plattformen Heartbeat Labs oder Healthcare Startups Deutschland zeigt. Zu den bekannteren Produkten zählen Moodpath von Aurora Health aus Berlin, eine App zur Erkennung von Depressionen oder Fernarzt. Letzteres ist eine Online Plattform für telemedizinische Leistungen von Ärzten, die über das Netz auch Rezepte ausstellen können. Doctolib bietet eine intelligente Software-Lösung zum digitalen Termin- und Patientenmanagement für Arztpraxen und Krankenhäuser. Wer möchte, kann hier rund um die Uhr freie Arzttermine buchen. Und insgesamt sollen bereits mehr als 55.000 Ärzte, 1.200 Gesundheitseinrichtungen und 20 Millionen Patienten den Service nutzen.


Digitale Ideen führen nicht nur zu neuen oder optimierten Produkten und erleichtern oder verbessern den Umgang mit großen Datenmengen. Sie verändern außerdem oft auch die Kundenansprache erheblich. Ein Beispiel dafür ist der Medizintechnik-Hersteller Richard Wolf, der im Rahmen des Deutschland-Tests von Focus Money vor Kurzem erst zum Digital Champion gekürt wurde. Ausschlaggebend war für die Jury dabei die Kommunikation mit Kunden und Stakeholdern. Nicht nur durch benutzerfreundliche digitale Angebote punktete der Mittelständler, sondern auch mit „digitaler Erlebbarkeit“.


Die Richard-Wolf-Academy bietet komplexe Lernwelten, die künftig sogar mit einer VR-Brille besucht werden können. Mit einem neuen Virtual-Reality-Konzept wird außerdem die digitale Erlebbarkeit der medizintechnischen Angebote auf Messen und Kongressen sowie auf der Website noch einmal verbessert. Geht es um Produktentwicklung, werden die digitale und zentrale Steuerung von OP-Geräten und Systemen sowie die digitale Verarbeitung von Patientendaten unter Berücksichtigung der Datenschutzbestimmungen kontinuierlich ausgebaut. Als Partner für die Forschung versteht sich der Life Science Marktplatz Zageno. Online bietet das Unternehmen hochspezifizierte Materialien und biotechnologische Produkte für Experimente. Zum Service gehören ein unabhängiger Produktvergleich von über fünf Millionen Artikeln sowie ein vereinfachter Einkaufsprozess.


Rückenwind, um die Digitalisierung voranzutreiben und den internationalen Anschluss im Gesundheitswesen nicht zu verpassen, gibt es dabei auch vom Staat. Eines der kostspieligsten und prominentesten Projekte ist die politisch umstrittene und deshalb über Jahre verzögerte Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Sie soll über eine Telematikinfrastruktur, eine „Datenautobahn“ für das Gesundheitssystem, den schnellen, sicheren Austausch medizinischer Informationen garantieren und nach und nach mit immer weiteren Funktionen ausgestattet werden. Im Notfall greifen Ärztin oder Arzt dann bestenfalls sofort auf alle benötigten Patientendaten zu, auf eine digitalisierte Patientenakte, Arztbriefe und / oder Medikamentenpläne. Und auch die Betroffenen selbst sollen Zugang zu den eigenen Daten haben.


Doch noch hat nicht jeder eine solche Karte und die Telematikinfrastruktur wird gerade erst aufgebaut. IT-Systeme und Strukturen sind vielfach nicht kompatibel. Relevante Informationen können so oft nur mit großem Aufwand elektronisch an Arztpraxen, Krankenhäuser, Apotheken und Rehabilitationskliniken übermittelt und dort weiterverarbeitet werden. Abhilfe schaffen soll das E-Health-Gesetz, das Ende 2015 in Kraft getreten ist. Es fördert die Vernetzung der Institutionen unter anderem durch einen Fahrplan mit klaren Fristen und verhilft Patientinnen und Patienten damit schneller zu medizinischen Anwendungen.


Da der Digitalisierungsprozess mitunter hakt, soll die 2010 vom Bundesministerium für Gesundheit gegründete „E-Health-Initiative“ Hürden identifizieren und Lösungen erarbeiten. Herausgekommen sind dabei bislang ein Kriterienkatalog für förderwürdige digitale Zukunftsprojekte, das Vesta Informationsportal, das als zentrales Verzeichnis über telemedizinische Projekte und elektronische Anwendungen des deutschen Gesundheitswesens informiert sowie eine Planungsstudie zur Interoperabilität, der Überwindung der Kommunikationsprobleme von unterschiedlichen IT-Systemen im Gesundheitswesen.


Aktuell ist zudem eine Leitlinie in Arbeit, die Datenschutz und -sicherheit in telemedizinischen Projekten garantieren soll. Wie die Nachfrage nach Gesundheitsapps für Smartphones sowie Wearables für das persönliche Gesundheitstracking schon zeigt, rücken mobile Anwendungen stärker in den Fokus der Verbraucher. Im Bereich Mobile Health ist das Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft. Die Frage der Datensicherheit ist nicht ausreichend geklärt und bei etlichen Apps sitzen die Hersteller außerdem gar nicht in Europa, was eine einheitliche gesetzliche Vorgabe entschieden erschwert.

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