»Man muss sich eingestehen, dass man ein Problem hat«

Suchterkrankungen wirken zerstörerisch auf Körper und Seele. Wie eine Sucht entsteht, wie man sie wieder los wird und was von der Cannabis-Legalisierung zu halten ist, erläutert Prof. Dr. Norbert Wodarz von der Universität Regensburg.

PROF. DR. MED. NORBERT WODARZ, Chefarzt und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum
PROF. DR. MED. NORBERT WODARZ, Chefarzt und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum
Interview: Iunia Mihu Redaktion

PROF. DR. MED. NORBERT WODARZ ist Chefarzt und Leiter des Zentrums für Suchtmedizin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am Bezirksklinikum. Der erfahrene Suchtforscher ist zudem stellvertretender Leiter des Referats „Abhängigkeitserkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. (DGPPN). 

Herr Prof. Wodarz, warum wird der Mensch süchtig?
Es gibt nie die eine Ursache, meist ist es ein ganzes Paket. In der Fachsprache sagen wir „bio-psycho-soziales Modell“ dazu. Da sind zum einen biologische Faktoren, wie etwa die Gene, die aber immer nur einen Teil beitragen. Häufiger ist es eine Mischung aus psychischen und sozialen Faktoren, die zu einer Sucht führen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die trinken
ab und zu Alkohol, über 20, 30 Jahre hinweg. Dann passiert etwas, was sie psychisch sehr belastet, wie etwa ein Todesfall, eine Trennung oder der Verlust des Arbeitsplatzes – und
plötzlich entgleist der Konsum, es entsteht eine Abhängigkeit.

Was wir im Gehirn beobachten, ist sozusagen die gemeinsame Endstrecke, die dann im Außen als die Symptome der Abhängigkeit erkennbar wird. Was bedeutet das konkret?
Eine Abhängigkeit entsteht im sogenannten Verhaltensverstärkungssystem (VVS) des Gehirns. Dort wird wahrgenommen, was entweder angenehm ist oder etwas Unangenehmes erleichtert und dazu beiträgt, dass wir sagen: „Oh, das war gut! Das könnten wir wieder machen.“ Das menschliche Gehirn lernt durch Wiederholung. Je häufiger man etwas wiederholt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Gehirn dies merkt. Das gilt für alle Suchtmittel. Nun hat die Evolution dieses Verhaltensverstärkungssystem nicht erfunden, damit wir alle süchtig werden, sondern, damit wir unser Überleben sichern und im besten Fall noch ein bisschen Spaß dabei haben. Essen, Trinken und Sexualität sind drei basale Dinge, die wir zum Überleben brauchen. Durch die Verschaltung mit dem VVS empfinden wir das auch immer wieder als angenehm und unterziehen uns freiwillig dem Aufwand, der dazu nötig ist.

Und wie beeinflussen bestimmte Suchtmittel diese Hirnregionen?
Sie manipulieren das VVS direkt, ohne den Aufwand wie etwa für die Zubereitung eines schmackhaften Essens.

Wie entwickelt sich die Sucht im Körper weiter?
Je öfter man beispielsweise Alkohol konsumiert, desto mehr lernt das Gehirn: Erstens, ich muss mich nicht anstrengen, um „abschalten“ zu können und mich subjektiv besser zu fühlen. Das ist die sogenannte Wirkerwartung. Zweitens: Das Gehirn merkt sich auch bestimmte innere oder äußere Signale, die zeitlich mit der Substanzwirkung zusammenhängen. Angenommen, ich würde jeden Abend genervt von der Arbeit nach Hause kommen – das ist das innere Signal –, ein Bier oder Glas Wein trinken und die Anspannung fällt von mir ab. Dann lernt mein Gehirn: Aha, das geht ja einfach und ist toll! Und dann mache ich das wieder und wieder. Und irgendwann sitze ich am Nachmittag in der Arbeit, schaue auf die Uhr und sehe: Bald ist Feierabend! Freue ich mich jetzt auf ein Glas Wein oder Bier! Diese Verknüpfung  hat das Gehirn gelernt. Es verbindet bestimmte Situationen oder Gefühlszustände mit dem erwünschten Zustand, der durch das Suchtmittel erzeugt wird. Es entsteht eine erste Form des Verlangens nach dem Stoff, die Amerikaner nennen das „craving“.

Kann man das steuern?
 Nein, das sind Prozesse, die unbewusst ablaufen. Anfangs klappt das „Zusammenreißen“ vielleicht noch, aber je länger der Konsum in bestimmten Situationen andauert, desto automatisierter läuft das im Gehirn ab. Natürlich gibt es viele Stoffe, bei denen das auch keine Jahre dauert, wie zum Beispiel Heroin.
 

Illustration: Noemi Fabra
Illustration: Noemi Fabra

Welche Rolle spielt das Alter bei der Entwicklung einer Sucht?
 Einer der am häufigsten bestätigten Befunde aus vielen Studien ist: Je früher jemand anfängt, eine Substanz zu konsumieren, desto höher ist das Risiko, damit später ein Problem zu entwickeln.

Wie wird man eine Sucht wieder los?
In der Psychotherapie gibt es zwei wichtige Bausteine, die für Betroffene sehr herausfordernd sind. Erstens: Man muss sich eingestehen, dass man ein Problem hat, um überhaupt den ersten Schritt zu tun. Das beinhaltet den Entzug. Zweitens: Man muss lernen, sein Leben wieder zu leben und zu genießen, ohne das Suchtmittel dafür zu brauchen. Das ist dann die Entwöhnung. Der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain hat das als abhängiger Raucher so formuliert: „Aufhören ist für mich kein Problem, habe ich schon hundertmal geschafft.“

Noch ein Wort zu Cannabis: Die Pflanze steht kurz vor der Legalisierung – wird dadurch auch das Suchtrisiko steigen?
Nicht automatisch. Wichtig dafür ist: Wie reguliert man etwas, um den Schaden für die Allgemeinheit möglichst zu begrenzen? Problematisch erscheint mir, dass man sich an den bestehenden Regeln beim Alkohol orientieren will. Dabei ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern das schlechteste Beispiel, wenn es um den Umgang mit Alkohol geht.

Warum?
Deutschland ist weltweit in der Spitzengruppe beim Alkoholverbrauch pro Kopf, mit vielen Folgeschäden. Alkoholfolgen stehen seit vielen Jahren unter den Top drei der Behandlungsdiagnosen in deutschen Krankenhäusern. Es gibt auch kaum ein Land, in dem Alkohol so leicht verfügbar ist. Eine Tankstelle soll eigentlich den Bedarf eines Autofahrers decken: Wozu aber braucht der Autofahrer nachts an der Tankstelle Alkohol? Und wir alle wissen, der sogenannte Jugendschutz beim Alkohol ist im Alltag praktisch nicht existent. Den Alkohol als Vorbild für die Legalisierung von Cannabis zu nehmen – das wird am Ende mehr Probleme schaffen, als es löst.

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