Gemeinsam gegen Krebs

Zielgerichtete Therapien, personalisierte und immuntherapeutische Behandlungsformen werden bei immer mehr Krebsarten eingesetzt. Vor allem in der Kombination erzielen sie erstaunliche Erfolge.
Illustration: Carolin Bremer
Illustration: Carolin Bremer
Mirko Heinemann Redaktion

Die Vorstellung, gegen Krebs geimpft werden zu können, ist verführerisch. Spielt eine Infektion bei der Entstehung von Krebs eine Rolle, ist dies in der Tat möglich: beim Gebärmutterhalskrebs zum Beispiel, der wesentlich durch humane Papillomaviren, abgekürzt HPV, mit ausgelöst wird. Junge Mädchen können sich durch eine Impfung schützen.

Anders ist das bei Krebserkrankungen, die ohne Bakterien oder Viren entstehen. Hier wird derzeit die therapeutische Impfung mit einem so genannten „Tumorantigen“ erforscht. Diese Tumorantigene sind Merkmale, die typisch für Krebszellen sind und auf gesunden Körperzellen gar nicht oder nur in anderer Form oder Häufigkeit vorkommen.

Auf solche Antigene soll das Immunsystem angesetzt werden. Eine Überflutung mit Tumorantigen – so die Hoffnung – wird das Immunsystem stimulieren und einen wirkungsvollen Angriff auf den Tumor provozieren. Geimpft wird dabei entweder mit Teilen von Krebszellen. Oder man verändert Immunzellen außerhalb des Körpers und trainiert sie sozusagen im Reagenzglas.  

Derzeit befinden sich verschiedene Impfstoffe beim Lungenkrebs in der klinischen Prüfung. Beim nichtkleinzelligen Lungenkarzinom, der häufigsten Ausprägung, findet sich das so genannte MUC1-Antigen in besonders hoher Dichte auf den Zelloberflächen und ist deshalb als Antigen für einen Impfstoff gut geeignet. Gemeinsam mit Chemo- und Strahlentherapie konnte das Überleben von Patienten ohne Metastasen in einer großen Studie stark verlängert werden. Ein anderer vielversprechender Ansatz wird an der Universität Tübingen verfolgt: ein individualisierter Impfstoff gegen Leberkrebs.

Jeder Krebs ist einzigartig. Jeder Tumor weist ein spezifisches Muster an genetischen Veränderungen auf. Deshalb verfolgt die Krebstherapie auf allen Ebenen individuelle Ansätze. Und deshalb sind Erfolge, die sich bei einer Krebsart zeigen, nicht ohne weiteres auf andere übertragbar. Das gilt auch für die Immuntherapie mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren. Auf dem diesjährigen Deutschen Krebs-kongress in Berlin debattierten die Mediziner die Immuntherapie beim Lungenkrebs. Die Immuntherapie sei eine komplett neue Therapiemöglichkeit, so Professor Martin Reck. „Die Gabe von Antikörpern, die eine Reaktivierung des Immunsystems bewirken, hat eine große Wirksamkeit gezeigt.“ Bisher werden immuntherapeutische Verfahren bei Hautkrebs, Nierenzellkrebs und dem Hodgkin-Lymphom angewandt. Derzeit werde diskutiert, so Reck, wann der beste Zeitpunkt sei, die Immuntherapie zu beginnen, wie sie in Kombination mit der Chemotherapie anzuwenden sei, welche Patienten am besten geeignet seien.

Lungenkrebs ist die dritthäufigste Krebserkrankung in Deutschland, mit Rauchen als größtem Risikofaktor. Die Heilungschancen sind gering, auch deshalb, weil Lungenkrebs oftmals sehr spät festgestellt wird. Bisher wird die häufigste Form, das so genannte „nicht kleinzellige Lungenkarzinom“ in der Regel mit einer Chemotherapie behandelt. Außerdem können bestimmte Mutationen, also genetische Ausprägungen des Tumors, mit Pharmazeutika im Rahmen von so genannten „zielgerichteten Therapien“ behandelt werden.

Zielgerichtete Therapien und Immuntherapien waren auch auf dem weltgrößten ASCO-Krebskongress, der Anfang Juni in Chicago stattfand, das beherrschende Thema. Das Prinzip: Das körpereigene Abwehrsystem wird genutzt, um Krebszellen anzugreifen. Weil aber der Krebs in der Lage ist, das körpereigene Immunsystem auszuschalten, müssen erst einmal diese Mechanismen außer Kraft gesetzt werden. Das geschieht zum Beispiel mit so genannten Checkpoint-Inhibitoren oder Checkpoint-Blockern. Sie verhindern die Unterdrückung der Immunantwort durch die Krebszellen und bewirken so, dass das Immunsystem den Tumor verstärkt angreift. Nebenwirkungen können überschießende Immunreaktionen sein: Fieber, Ausschläge und Juckreiz an der Haut, aber auch Entzündungen des Darms, der Leber, der Nieren oder der Lunge.

In einer großen Studie, die in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlicht wurde, fassten Wissenschaftler zusammen, wie effizient die Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren bei der Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs im Vergleich zur bisher üblichen Chemotherapie ist. Ergebnis: Bei allen schritt der Tumor nach einer ersten Behandlung weiter voran. Die Patienten erhielten daraufhin entweder eine Chemotherapie oder eine Immuntherapie mit einem Checkpoint-Inhibitor. Die Checkpoint-Inhibitoren-Therapie zeigte ein längeres Gesamtüberleben im Vergleich zur Chemotherapie, wenn bestimmte Tumormerkmale vorlagen. In der Zweittherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs können also Checkpoint-Inhibitoren im Vergleich zur Chemotherapie die Überlebens-chancen verbessern, so die Schlussfolgerung der Studienautoren.

Die Immunonkologie befinde sich mittlerweile in der dritten Welle, erklärte Thomas Büchele, Onkologe beim Pharmakonzern Roche, auf dem ASCO-Kongress in Chicago der Deutschen Presse Agentur. „Während es in der ersten Welle vor allem noch um den Einsatz von Immuntherapeutika als Monotherapie ging, befasste sich die zweite Welle dann schon mit Kombinationen aus Immuntherapie plus Standardtherapie.“ In der aktuellen dritten Welle würden nun auch Immuntherapeutika miteinander kombiniert.

Bei personalisierten Therapien ist eine Grundvoraussetzung, dass der Tumor klassifiziert werden kann. Hier ist die molekulare Pathologie gefragt. Sie erfasst die Veränderungen im Tumor, die sich auf einzelne Mutationen in seiner Erbsubstanz zurückführen lassen. Mittlerweile gibt es bei einigen Tumorarten, etwa beim Lungenkarzinom oder beim Darmkrebs, gute Beispiele dafür, wie eine Analyse der Erbsubstanz im Tumor diejenigen Patienten identifizieren kann, die auf ein bestimmtes zielgerichtetes Medikament voraussichtlich gut ansprechen, so Prof. Dr. Christoph Röcken, Pathologe aus Kiel, auf dem Deutschen Krebskongress in Berlin. Prof. Dr. Peter Albers, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft, forderte: „Damit Krebspatienten optimal von solchen Verfahren profitieren können, brauchen wir die enge Zusammenarbeit verschiedener Experten, zum Beispiel aus Chirurgie, Strahlentherapie, medikamentöser Tumortherapie, Pflege und Psychoonkologie.“

Um eine hohe Qualität der Krebstherapie auf dem neuesten Stand der Forschung zu gewährleisten, sei interdisziplinäre Zusammenarbeit, Behandlungserfahrung und eine Ausrichtung der Therapie an den Empfehlungen aktueller onkologischer Leitlinien notwendig, erklärten die Veranstalter auf dem Deutschen Krebskongress 2018. Nur Kliniken, die diese Kernanforderungen erfüllten, würden von der Deutschen Krebsgesellschaft und der Deutschen Krebshilfe zertifiziert.