Besser leben auf dem Land

Vom Internet of Things bis zur digitalen Bewegungs- therapie: Ein Wettbewerb zeigt, wie digitale Innovationen das Leben in Kleinstädten und Dörfern verbessern.

Illustration von Sophia Hummler
Illustration von Sophia Hummler
Olaf Strohm Redaktion

Mit dem Internet of Things, kurz IoT, verbinden viele vor allem Anwendungen in der Industrie: Sensoren am Fließband, die es ermöglichen Produkte effizienter und individueller zu fertigen. Intelligente Messgeräte in Aufzügen, die dafür sorgen, dass ein möglicher Ausfall frühzeitig prognostiziert wird. In Martinfeld im thüringischen Landkreis Eichsfeld aber optimieren IoT-Lösungen das Dorfleben. Hier betreibt das Unternehmen Alpha-Omega Technology in Zusammenarbeit mit der Gemeinde sensorbasierte IoT-Anwendungen für den ländlichen Raum. 

Es begann mit einer intelligenten Straßenbeleuchtung: Früher kamen regelmäßig Beschwerden von Anwohnern über defekte Leuchten. Die zuständigen Gemeindemitarbeiter erfuhren meist erst von dem Defekt, wenn jemand persönlich oder telefonisch den Ausfall meldete. Dann wurde ein neues System angeschafft: Mit Hilfe eines Feedback-Systems stimmten die Einwohner über verschiedene LED-Lampen ab und waren somit direkt am Entscheidungsprozess beteiligt. Nun wird mittels Sensorik und Software der Status jeder Lampe auf einer Karte angezeigt und lässt sich vom Schreibtisch aus steuern. Fehler und Ausfälle werden automatisch gemeldet. Die Beleuchtung kann auf die Bedürfnisse vor Ort angepasst werden. Beim Feuerwehrfest gibt es mehr und länger Licht, während in der Nacht das Lichts gedimmt und damit die Energiekosten reduziert werden. Inzwischen sind auch die Wetterstation und die Fahrbahnen mit Sensoren ausgestattet, die eine Messung der Temperatur wie auch eine Verkehrszählung erlauben. 

Das Projekt ist eine Art Smart City in Klein. Es zielt darauf ab, eine ländliche Lebensweise beizubehalten und gleichzeitig Technologie und Innovation zu integrieren, um die Herausforderungen im ländlichen Raum zu bewältigen. Denn ginge es nach der Bundesbauministerin, sollten mehr Deutsche aufs Land ziehen. Um die Wohnungsnot in den Städten zu lindern und die ausgebluteten Kommunen auf dem Land zu stärken. In der Tat gibt es eine wachsende Sehnsucht nach einem Leben fern vom Straßenverkehr, von Lärm, Gestank und Menschenmassen. Die Herausforderungen kommen dann vor Ort: Wenn die Versorgung schlecht ist, Infrastruktur, Dienstleistungen, Einkaufsmöglichkeiten, Kultur und Möglichkeiten der Vernetzung fehlen.
 

DIGITALISIERUNG SOLLTE LEBENSVERHÄLTNISSE ANGLEICHEN


Einst war die Digitalisierung als Technologie der Angleichung von Stadt und Land angetreten. Diese Vision schien sich zu zerschlagen – zu attraktiv schienen Städte für die junge digitale Bohème. Um den Traum vom Home Office im Garten Wirklichkeit werden zu lassen, musste erst die Corona-Pandemie kommen. Nun aber gibt es einen neuerlichen Zug hinaus ins Grüne. Immer mehr Menschen arbeiten für Firmen in Hamburg, Frankfurt, München, leben aber in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen oder Niedersachsen. Diese Menschen stärken die digitale Innovationskraft im ländlichen Raum. Um sie sichtbar zu machen, hat das Projekt „Land der Ideen“ richtungsweisende Projekte ausgezeichnet, etwa das IoT in Martinfeld.

Außerdem dabei ist das so genannte Fabmobil, ein Doppeldeckerbus, der mit Digitaltechnik und Werkzeugmaschinen ausgestattet ist. Es ist in Sachsen und darüber hinaus unterwegs und fährt Schulen, Jugendzentren und Begegnungsorte an. In diesem fahrenden Zukunftslabor werden Workshops und Kurse für junge Menschen im Alter von 12 bis 21 Jahren angeboten. Moderne Technologien wie 3D Druck, Virtual Reality, Robotik und Programmierung werden so in den ländlichen Raum gebracht und der selbständige Umgang mit Code und Hardware sowie Strategien, um sich auch andere Tools individuell zu erschließen, erlernt.
 

DIGITALE LÖSUNG FÜR DIE FREIWILLIGE FEUERWEHR


Auch die freiwillige Feuerwehr, eine unverzichtbare Institution im ländlichen Raum, wurde ausgezeichnet. Weil Einsatzmeldungen häufig noch per Telefon oder Fax von der Leitstelle zugesendet werden, entwickelte ein Feuerwehrmann aus Schleswig-Holstein die Softwarelösung „Firemon 112“, ehrenamtlich und komplett in Eigenregie.

Das System kann Feuerwehr-Einsatzmeldungen der zuständigen Leitstelle, die per Mail bei den Freiwilligen Feuerwehren eintreffen, auf einem Monitor, Tablet oder Smartphone darstellen. Außerdem ergänzt die Software die Meldung mit weiteren hilfreichen Details, etwa den Einsatzort aus der Vogelperspektive und Windfahne und Windgeschwindigkeit, um einschätzen zu können, ob umliegende Gebäude in Gefahr sind. Mit „Firemon 112“ können sich Gruppenführerinnen und Gruppenführer besser auf die Geschehnisse vor Ort vorbereiten und ihre Gruppen bereits vor Eintreffen am Einsatzort anweisen. Das Projekt wurde 2021 als Open Source Projekt initiiert und wird bereits von 67 Feuerwehren genutzt.

Illustration von Sophia Hummler
Illustration von Sophia Hummler

TELEMEDIZINISCHE BEWEGUNGSTHERAPIE


Auch die teils lückenhafte ärztliche Versorgung auf dem Land eröffnet den Potenzialen der Digitalisierung noch viel Raum. Die Universitätsmedizin Mainz bietet für Patienten in einer Krebs- oder Depressionsbehandlung eine telemedizinische Bewegungstherapie an – eine wichtige Begleittherapie, die beispielsweise die Nebenwirkungen Müdigkeit oder Muskelschwäche von Chemotherapien mildert. Auch kann sie depressiven Episoden entgegenwirken.

DECIDE wird aus der Ferne vom Institut für Sportwissenschaften der Universität Mainz durchgeführt. Hierzu werden Informationen und Trainingsanleitungen an das Smartphone der Patientin oder des Patienten übermittelt, damit das Training in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden kann. Über Sensoren am Handgelenk und Rückmeldungen über die Smartphone-App kann das Training vom Therapeuten überwacht werden. Die Patientendaten werden von einem System mit künstlicher Intelligenz ausgewertet. Es macht auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam und unterstützt die individuelle Anpassung des Trainingsplans durch das Fachpersonal. Nutzende können die Messwerte auf der Smartphone-App verfolgen und Erfolgsmeldungen zur Belohnung und Motivation erhalten.

Die Projekte bieten nur einen beispielhaften Einblick. Sie zeigen aber, dass es immensen Bedarf an digitalen Anwendungen für das Landleben gibt. Häufig bedarf es nur einer guten Idee, wenig Mitteln und privatem Engagement, um eine deutliche Verbesserung zu erreichen. 
 

ZAHLEN & FAKTEN RUND UM DAS DIGITALE WOHNEN


ÄLTERE NUTZEN SMART HOME Laut Digitalverband Bitkom ist fast jeder zweite Haushalt bereits „smart“. 46 Prozent der Menschen in Deutschland geben an, mindestens eine Smart-Home-Technologie im Einsatz zu haben. Insbesondere Seniorinnen und Senioren stehen Smart-Home-Technologien zunehmend offen gegenüber: Schon 30 Prozent der Menschen zwischen 65 und 74 Jahren nutzen mindestens eine solche Anwendung. 

SMART METER KOMMEN Bis 2032 sollen alle Haushalte in Deutschland mit digitalen Stromzählern ausgestattet sein, viele auch mit Smart Metern. Letztere sind in der Lage, Messdaten zu versenden und Signale von außen zu empfangen. Sie können beispielsweise das Zusammenspiel einer Photovoltaik-Anlage, einer Wärmepumpe und einer Wallbox besonders effizient steuern oder von flexiblen Stromtarifen profitieren.

MIETER-ANSPRUCH AUF BALKONKRAFTWERK Anfang Oktober ist es für Mieter leichter geworden, ein so genanntes Balkonkraftwerk anzubringen. Diese, aus einem bis zu vier Solarpaneelen bestehenden Solaranlagen, produzieren bis zu 800 Watt (Peak) Strom, den sie per Steckdose ins heimische Stromnetz einspeisen. Vermieter dürfen das nicht mehr ohne triftigen Grund verbieten. Die Steckersolargeräte werden in den Katalog jener baulichen Veränderungen aufgenommen, auf deren Genehmigung Mieter einen Anspruch haben.

SMART HOMEOFFICE Häufig ziehen die ersten Smart-Home-Anwendungen mit der Einrichtung eines Arbeitsplatzes zu Hause ein. Homeoffice und andere digitale Anwendungen ergänzen sich auch gut. So lassen sich Heizungs- und Klimasteuerung auch über den Desktop-Rechner steuern. Smarte Sensoren messen den CO2-Anteil in der Luft und machen frühzeitig auf eine schlechte Luftqualität aufmerksam – wichtig für die Konzentration. Auch Berechnungen zum Beispiel zum Energiesparen lassen sich gut anstellen. Merke: Ein Grad weniger spart etwa sechs Prozent Heizenergie.

Nächster Artikel