Wir haben kaum ein Auge für den herrlichen Boulevard, der sich in Palma de Mallorca kilometerlang am Meer entlangzieht, auch nicht für die prächtige Kathedrale am Wegesrand. Ein Taxi bringt uns vom Flughafen zum Kreuzfahrtpier. Wir sind aufgeregt, denn das ist unsere erste gemeinsame Kreuzfahrt. Wir, das sind meine Enkel Henrik, 17 und Philip, 12, und ich. Schließlich nimmt das Taxi eine Kurve – und unser Schiff liegt vor uns. Schiff? Die AIDAcosma gleicht einem Hochhaus, quergelegt.
Drei Millionen Deutsche haben 2024 eine Hochsee-Kreuzfahrt gebucht. Dazu kamen noch 700.000 Reisen auf Fluss-Kreuzfahrtschiffen. Die Branche boomt und das trotz aller Kritik. Sind Kreuzfahrtschiffe ein Alptraum für die Umwelt oder Inseln der Glückseligkeit? Wir wollten das genauer wissen.
Das gigantische Schiff kann in 2.732 Kabinen auf 16 Passagierdecks bei maximaler Belegung weit über 6.000 Gäste aufnehmen. Dazu kommen 1.500 Crewmitglieder. 17 Restaurants und 17 Bars gibt es an Bord. Unsere Kabine liegt auf Deck 12. Aber wo finden wir die Nummer 12148? „Die ungeraden Kabinen sind links, die mit den geraden Nummern rechts“, sagt ein Gast, der unsere Unsicherheit bemerkt, „Sie müssen also nach rechts und dann vier Kilometer geradeaus.“ Uns ist schnell klar, dass dies eine gute Methode ist, mit den Unbilden eines solchen Massenbetriebs fertig zu werden: darüber Witze zu reißen. Geduld brauchen wir auch.
VOR DEN AUFZÜGEN WIRD DIE ZEIT NICHT LANG
Mit erstaunlicher Gelassenheit verbringen wir in den kommenden Tagen viel Zeit vor den jeweils acht Aufzügen im vorderen, mittleren und hinteren Teil des 337 Meter langen Schiffs. Mal fahren alle Aufzüge hoch, wenn wir runter wollen, mal halten sie gar nicht an. Und wenn sie es doch tun, sind sie fast immer voll. Aber ein Opa und zwei schmale Jungs, die passen immer noch rein. Die anderen Gäste machen Platz und lassen ihre Sprüche los. „Ab heute wird abgenommen.“ Oder: „Wie gut, dass Sie noch nicht beim Frühstück waren.“ Wenn der Aufzug am gewünschten Deck ankommt, verabschiedet man sich gegenseitig, als hätte man ein Wochenende miteinander verbracht.
Auch wenn man sich im wahrsten Sinne des Wortes gelegentlich auf die Füße tritt: Die Gäste an Bord sind freundlich zueinander. Zur guten Atmosphäre trägt auch das Personal bei. Mufflige Gesichter oder einsilbige Antworten auf unsere Fragen scheinen verpönt zu sein. Die offizielle Bordsprache ist Deutsch, aber wir werden auch immer wieder auf Englisch angesprochen. So begrüßt uns auch unser Kabinen-Steward Lin aus Myanmar. Jeden Tag faltet er aus den chaotischen Kleiderbergen der Jungs akkurate Wäschestapel.
Unsere Kabine ist für drei Leute eng, aber nicht zu eng. Und da gibt es ja auch noch den Balkon mit Deckstühlen. Henrik und ich schlafen im Doppelbett, Philip hat die zum Bett umfunktionierte Couch gewählt. Da er befürchtete, durch das Schnarchen des Opas in seiner Nachtruhe gestört zu werden, hat er sich mit Ohrstöpseln eingedeckt und schläft wie ein Baby im Seerosenteich. Dafür schnarchen Henrik und ich um die Wette, auch das ertragen wir gegenseitig mit Geduld.
6000 FRÜHSTÜCKSGÄSTE STEHEN AN
Und wir entwickeln eine eigene Methode, mit dem größten Knackpunkt fertig zu werden, dem Frühstück. Auf dem Schiff bieten sieben Restaurants Frühstück an, einige davon sogar bis 11 Uhr. 6.000 Gäste bilden vor den Frühstücksrestaurants lange Schlangen. Unser Trick: Einer von uns stellt sich an und zwei flitzen an der Schlange vorbei, als hielten sie Ausschau nach Angehörigen. Aber wir suchen einen freien Tisch. Dann kommt einer zurück und holt den Dritten ab. Als wohltuend empfinden wir, dass wir fast überall im Freien frühstücken können.
Unsere einwöchige Kreuzfahrt führt durchs westliche Mittelmeer. Die Hafenstopps interessieren uns nicht. Wir wollen das Schiff erforschen. Und wir befürchten, innerhalb einer Woche gar nicht das gesamte Freizeitangebot nutzen zu können. Henrik stählt seine Muskeln im Fitnessclub, Philip verbringt Stunden um Stunden im Beachclub, einer gigantischen Wassersportanlage. Jeden Tag kontrolliere ich, ob ihm nicht schon Schwimmhäute gewachsen sind. Da das nicht der Fall ist, darf er wieder los, um die Karibik-Atmosphäre der Anlage zu genießen. In einem großen TV-Studio und im dreistöckigen Theatrium finden fast den ganzen Tag und besonders abends Spiele und Shows statt. Henrik und Philip finden bald Freunde und wir sehen uns meist nur noch zu den Mahlzeiten und zum Schlafengehen.
An einem der Seetage, an dem das Kreuzfahrtschiff an keinem Hafen anlegt, sind wir mit dem Generalmanager der AIDAcosma verabredet, Chef aller Besatzungsmitglieder, die nicht zum nautischen Personal gehören. Wir sind nicht blauäugig zu diesem Treffen gegangen, sondern haben uns zum Thema Nachhaltigkeit gründlich vorbereitet. Die Zukunftsvision des Generalmanagers verblüfft: Bis 2030, so hoffe man, werde das erste emissionsfreie Schiff in Dienst genommen sein. Auf diesem Weg habe die Flotte – wie die anderer Reedereien auch, zum Beispiel die Flotte „Mein Schiff“ – schon manchen Meilenstein erreicht, versichert er. So sei auf der AIDAprima das bisher größte Batteriespeichersystem der Passagierschifffahrt installiert worden. Noch mehr: Die erste Brennstoffzelle auf einem großen Passagierschiff sei auf der AIDAnova in Betrieb genommen worden. Und beide Schiffe würden mit Flüssigerdgas, LNG, betrieben, das senke die schädlichen Emissionen um 80 Prozent.
Auch sonst werde auf die Umwelt geachtet. Der Verbrauch von Plastik tendiere gegen Null und Papier werde gespart, wo es nur gehe. So seien ausgedruckte Ausflugstickets ebenso von der Bildfläche verschwunden wie Bordrechnungen. Meerwasser werde zu Trinkwasser aufbereitet, sodass AIDA-Schiffe in den Häfen nur selten Trinkwasser aufnehmen müssten. Und niemals, so versicherte der Generalmanager, würden unbehandelte Abwässer ins Meer geleitet.
Wir haben mitgeschrieben. Jetzt haben wir einige Gegenargumente, wenn Freunde und Verwandte wieder kritisch anmerken: Wie könnt ihr eine Kreuzfahrt buchen, ihr Umweltsünder?