Der Wille zählt

Advance Care Planning, kurz ACP, wird in immer mehr Pflegeheimen angeboten. Dahinter steht eine professionelle Beratung, mit deren Hilfe Bewohner:innen ihre Patientenverfügung erstellen können. 

Illustration: Daria Domnikova
Illustration: Daria Domnikova
Mirko Heinemann Redaktion

Für Ulli Ferber waren die letzten 19 Jahre eine schwere Zeit. Erst wurde sein Vater pflegebedürftig. Nach seinem Tod wurde die Mutter dement. Sieben Jahre lang kümmerte sich Ulli Ferber um ihre Pflege. „Da lief die ganze Zeit der Spiegel mit“, erzählt Ferber. „Nämlich die Frage: Was passiert denn mit mir?“

Nach den Erfahrungen mit seinen Eltern entschied sich der 64-jährige Kölner für eine Beratung zur gesundheitlichen Versorgungsplanung, auch Advance Care Planning, kurz ACP, genannt. Er wollte klarstellen, wie sein Lebensende aussehen soll, auch wenn er unter Demenz leidet und sich nicht mehr artikulieren kann. Ulli Ferber hat viele Patientenverfügungen verglichen, von Hilfsorganisationen, Kirchen, Ministerien, Versicherungen. Aber erst die ACP-Beratung brachte ihm echte Orientierung. „Ich bin nach zwei Stunden da rausgekommen und hatte Klarheit. Das war wunderbar“, erzählt Ferber.

Lebte Ulli Ferber in einem Pflegeheim, würde die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für die Beratung übernehmen. Das ist seit 2015 so im Hospiz- und Palliativgesetz verankert. In Abstimmung mit Hausärzt:innen und mit Angehörigen wird qualifiziert formuliert, welche medizinischen Maßnahmen am Lebensende ergriffen werden sollen. Oder eben nicht. Die Idee dahinter: Die Selbstbestimmung der Patient:innen soll gestärkt werden. 

Das Beratungsprinzip stammt aus den USA. Einer der ersten, der ACP in Deutschland einführte, war Jürgen in der Schmitten, Hausarzt und Professor an der Universität Essen. Er weiß auch, dass viele Menschen sich mit dem Tod nicht beschäftigen wollen. „Das ist respektabel“, sagt Jürgen in der Schmitten. Aber keine Entscheidung sei eben auch eine Entscheidung. „Mir ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass das bedeutet, dass dann für sie der akute medizinische Standard gilt.“ Dessen Prinzip lautet: „Im Zweifel für das Leben.“ Was im Zeitalter der modernen Medizin mit ihren Möglichkeiten für lebensverlängernde Maßnahmen auch bedeuten kann: eine lange Leidenszeit am Lebensende. 

Jürgen in der Schmitten geht es nun darum, möglichst hohe Qualitätsstandards in der Ausbildung von ACP-Berater:innen und Beratern zu etablieren, bevor sie mit ihren Klientinnen und Klienten über das Sterben sprechen. Das ist teuer. Kritiker bemängeln schon die Kosten, die ACP für das Gesundheitssystem verursacht. 22 Millionen Euro wurden dafür im Jahr 2022 ausgegeben, dabei nehmen längst nicht alle Berechtigten die Beratung wahr. Das Gegenargument lautet: Dafür fielen unsinnige Behandlungen am Lebensende weg. 

Das klingt zynisch. Ulli Ferber hat es bei seiner Mutter aber genau so erlebt. Sie kam immer wieder zu Untersuchungen ins Krankenhaus, wo die Demenzkranke jedes Mal verzweifelte. Dann wurde bei ihr Gebärmutterkrebs diagnostiziert. Trotz ihrer 90 Jahre wäre sie operiert worden, hätte Ferber nicht jede weitere Behandlung seiner Mutter untersagt. „Das Pflegepersonal im Seniorenheim hat meinem Wunsch entsprochen“, erzählt er. „Und so konnte meine Mutter in Ruhe im Senior:innenheim bleiben und sterben.“ 

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