Glück nach Plan

Glück ist kein Zufall. Wer im Alter glücklich sein will, muss rechtzeitig die Weichen stellen. Wichtige Faktoren sind eine gesunde Lebensführung, soziale Kontakte, Sinnhaftigkeit und ausreichend Geld.

Illustration: Martin Schumann
Illustration: Martin Schumann
Andrea Hessler Redaktion

Der antike griechische Dichter Hesiod beschrieb um 700 vor Christus die Entstehung von Welt und Göttern. Auch für das Leben der gewöhnlichen Sterblichen hatte er ein Konzept. „Arbeit schändet nicht, Trägheit entehrt uns“ und „Im Unglück altern die Menschen früher“ wusste Hesiod, selbst Bauer und Viehhalter. Diese Haltung durchzieht viele Religionen und Philosophien. So gab sich der Benediktiner-Orden das Motto „Ora et labora“, bete und arbeite – ein Motto, das auch Langlebigkeits- und Glücksforschende unterschreiben. Ihnen folgen viele sogenannte Best Ager im Alter von 50 bis 70 Jahren, oft auch als junge Alte, Generation Gold oder Silver Surfer bezeichnet. Ganz in Hesiods Sinn ist für sie Arbeit im Alter ein Glücksfaktor. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) profitieren Menschen, die in Rente weiterarbeiten, von Struktur, sozialem Kontakt und dem Gefühl, gebraucht zu werden.

Wichtige Voraussetzung für die fortgesetzte Erwerbstätigkeit ist die psychische und physische Gesundheit, die vice versa wiederum durch die Arbeit gefördert wird. Damit die Leistungsfähigkeit erhalten bleibt, investieren Best Ager viel in Gesundheit und körperliche Attraktivität. Sie legen sich unters Skalpell der Schönheitschirurgie, lassen Gesicht und Körper straffen. Schwabbel ist inakzeptabel – auch wenn viele übergewichtig sind, bemüht sich der Rest, das Beste aus Körper und Lebenszeit zu machen.

Das hat gute Gründe. Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, aber oft sind die letzten Jahre eher Qual als Vergnügen. Demenz, Krebs, Herz- und psychische Erkrankungen sind einige der Geißeln, unter denen Menschen im hohen Alter leiden. Das muss nicht sein, wie man inzwischen weiß; im Unterschied zu Hesiods Zeiten gibt es heute eine Menge Mittel und Wege, möglichst lange zu den Best Agern zu gehören und den Eintritt in den moribunden Lebensabschnitt hinauszuzögern.
 

LANGLEBIGKEIT ALS TREND


Für Fitness und Wellbeing gibt es Präparate von Lebensmittel-, Pharma- und Kosmetikindustrie. Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt, allein die Apotheken in Deutschland setzen mit ihnen pro Jahr mehr als drei Milliarden Euro um. Longevity, gesunde Langlebigkeit, ist das absolute Trendthema, auf das immer mehr Unternehmen und Social-Media-Influencer aufspringen. Dank zahlreicher Umfragen und Forschungsvorhaben aus Medizin, Biologie, Soziologie und Psychologie ist bekannt, dass ein krankheitsgeprägtes Alter kein unabwendbares Schicksal ist. Die Erfahrung zeigt, dass Glück und Zufriedenheit gerade im Alter überwiegend selbstgemacht sind. Epigenetik ist das Zauberwort – Gene und Lebensführung wirken jeweils zur Hälfte. Das bedeutet, das Glücksprogramm besteht aus dem weitgehenden Verzicht auf Genussmittel wie Alkohol und Nikotin, regelmäßiger Bewegung, mäßigem Essen, Fasten und dem gelegentlichen Sprung ins Eisbad. Nicht zuletzt ist, so Ratgeberinnen und Ratgeber, das richtige Bewusstsein – auf Neudeutsch „Mindset“ – entscheidend für ein gutes Leben. Auch hierfür gibt es Referenzen früherer Autoren. „Alt ist man dann, wenn man an der Vergangenheit mehr Freude als an der Zukunft hat“, behauptete zum Bespiel der Romanautor John Knittel. Pragmatisch stellte er fest, man könne nicht verlangen, Glück fix und fertig ins Haus geliefert zu bekommen. Ähnliches empfiehlt der Buddhismus, der verbale Glückskekse bereithält: „Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft. Fokussiere dich auf das Jetzt“, soll Buddha empfohlen haben.

Illustration: Martin Schumann
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LIEBE IM ALTER


Das kann mit einer Partnerin oder einem Partner noch besser gelingen. Immer mehr Seniorinnen und Senioren suchen auf Datingplattformen nach dem Glück zu zweit, wobei die Präferenzen von älteren Männern und Frauen ähnlich sind. So suchen heterosexuelle Männer überwiegend jüngere Partnerinnen, Frauen heutzutage aber auch jüngere Partner, wie die Datingplattform gleichklang.de ermittelt hat. Einig sind sich die Geschlechter wiederum über die Gestaltung der späten Partnerschaft: Ehe und gemeinsame Wohnung halten viele Best Ager für verzichtbar, stattdessen präferieren sie das Modell „Living apart together“ – „Liebe, aber mit Abstand“, so Guido F. Gebauer, Psychologe bei Gleichklang. Ein unabhängiges Leben gesund zu Hause und bitte nicht pflegebedürftig werden, das sind die Ziele. Sie zu erreichen erfordert auch finanzielle Ressourcen. „Das Einkommen ist ein wesentlicher Faktor für das Glück im Alter. Der Einfluss reicht über die finanzielle Zufriedenheit hinaus“, sagt Elmar Brähler, emeritierter Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig und Leiter einer Studie im Auftrag des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft. Finanzielle Ressourcen erleichterten die gesellschaftliche Teilhabe, etwa die Nutzung von Kulturangeboten sowie die Finanzierung von Urlauben und Hobbys.

Reichtümer sind jedoch nicht nötig. Wichtiger sind, wie bei Hesiod und Buddha, Genügsamkeit und Spiritualität. „Spirituelle Traditionen vermitteln die Erfahrung, dass ein einfaches, langsames, achtsames Leben mehr Erfüllung geben kann“, sagt Prof. Manfred Pirner, Religionspädagoge an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).
 

ALTERN UND ENDLICHKEIT


Ob es dank all dieser Ratschläge irgendwann gelingt, das Altern und letztlich den Tod abzuschaffen, wie manche Longevity-Gurus meinen, bleibt jedoch fraglich. Glück und Zufriedenheit fehlen in ihren Konzepten meist. Dagegen ist im Buddhismus die Nicht-Existenz, das Nirwana, höchstes Ziel. Das ewige Leben mit den vielfachen Wiedergeburten erscheint Buddhistinenn und Buddhisten eher als Strafe. Und sie sehen für das Longevity-Anhängertum statt ewiger Glückseligkeit wahrscheinlich eher eine unerfreuliche Wiedergeburt als Wurm oder Käfer. Der Mittelweg zwischen verbissenem Festhalten und buddhistischem Fatalismus könnte ideal sein. Sehen wir dem Ende gefasst entgegen – und bleiben bis dahin glücklich.
 

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