»Mama, was ist Klimawandel?«

Nicht jede Kinderfrage ist leicht zu beantworten. Wie Eltern aus dem Zwiespalt kommen, ihre Kinder ehrlich über den Zustand des Planeten aufzuklären und gleichzeitig ein Gefühl von Geborgenheit aufrechterhalten.

Illustration: Cristian Chiscari
Illustration: Cristian Chiscari
Lena Bulczak Redaktion

Mama, was ist Klimawandel?… Papa, warum fliegst du so viel? Das macht doch den Planeten kaputt…“, fragte die sechsjährige Lara, ohne zu ahnen, was sie damit in ihren Eltern auslöst. Keiner ihrer beiden Eltern hatte so schnell eine Antwort parat. Denn so einfach wie in der Welt der Kinder ist es für Erwachsene eben oft nicht. Die Antworten, die Stefanie Rocker ihrer Tochter spontan hätte geben können, fühlten sich damals nicht wirklich gut an. Und dann kam noch: „Mama, was arbeitest du eigentlich?“ 

Rocker ist keine Ingenieurin, die an einer der Quantensprungtechnologien tüftelt, die dem Planeten mehr Luft verschaffen könnten. Sie ist keine Ärztin, die Menschenleben rettet oder Polizistin, die für Schutz und Sicherheit sorgt. Sie hatte einen hochdotierten Managerposten und man könnte sagen, sie setzte sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein, indem sie als Vice President eines E-Commerce-Unternehmens in einer Liga mitspielte, zu der nur ganz wenige Frauen Zugang haben. Doch all das änderte für die dreifache Mutter nichts daran, dass ihr damaliger Job angesichts der Fragen, die ihre Kinder bewegten, für sie nur noch wenig Sinn ergab. 

Doch zuallererst sucht Rocker keinen neuen Job, sondern nur einen Weg aus der eigenen Sprachlosigkeit. Was es so knifflig macht, mit Kindern über den Klimawandel zu reden, ist, dass es sich – anders als beim Monster unter dem Bett – um ein reales und existenzielles Angstthema handelt, dem mit Fakten erstmal nicht beizukommen ist. Im Gegenteil: In Fachjournalen, in denen es ja üblicherweise um Zahlen und Fakten geht, bekennen sich Forscher inzwischen ganz öffentlich zu ihren überwältigenden Gefühlen: „Die Wahrheit ist, dass wir von der Heftigkeit der extremen Wetterereignisse im Jahr 2023 schockiert sind. Wir haben Angst vor dem Neuland, das wir jetzt betreten haben“, schreiben Klimaexperten um William J. Rippl, Professor für Ökologie an der Oregon State University, im „Bericht über den Zustand des Klimas 2023“ des Bioscience Journals.
 

Klimaangst ist Zukunftsangst

Wie also mit Kindern ehrlich über den Klimawandel reden, ohne in Schreckensszenarien zu verfallen oder mit dem Finger auf Einzelne zu zeigen? Es ist der klassische Balanceakt zwischen der Aufgabe, Kindern die Welt zu erklären und dem natürlichen Instinkt, ihnen ein sicherer Hafen zu sein. Das ist an sich nichts Neues, in vielerlei Hinsicht ist es vielleicht sogar die zentrale Herausforderung des Elternseins. Neu ist jedoch das Ausmaß der vielfach verzweigten Metakrise. Längst geht es nicht mehr nur um Flora und Fauna, sondern um Grundfeste menschlichen Lebens. Klimaschutz ist in Wahrheit Menschheitsschutz und Klimaangst ist Zukunftsangst. 

Anstatt nun vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, hilft es, erst mal an die konkreten Fragen der Kinder anzuknüpfen – und auf das Gefühl hinter der Frage einzugehen, rät Felix Peter, Schulpsychologe und Co-Sprecher des Vereins Psychologists for Future. Hinter „Mama, was ist Klimawandel?“ könnte zum Beispiel Neugier stecken oder aber Angst. Wer sich dessen bewusst ist, kann wahlweise Informationen oder Sicherheit vermitteln. Generell gilt aber: „Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist es, ihnen zuallererst Geborgenheit zu bieten“, sagt Peter. Im Grundschulalter sei es daher empfehlenswert nur einzelne Aspekte, nicht aber das ganze Ausmaß der Krise, möglichst alltagsnah zu besprechen.

Das Erste, was wir „tun“ können, kommt also noch vor den Worten und sichtbaren Taten. „Egal, ob es um Monster unter dem Bett oder reale Krisen geht – Kinder brauchen es, sich gesehen und gefühlt zu fühlen“, sagt Lienhard Valentin. Er ist Gestaltpädagoge, Verleger und Autor des Buches „Die Kunst, gelassen zu erziehen“. Das geht, indem wir ihnen zuhören, ehrlich informieren, ohne zu bagatellisieren oder dramatisieren und alle Gefühle der Kinder da sein lassen, ohne uns selbst in diesen Gefühlen zu verlieren. 

Eltern haben damit eine zweifache Vorbildfunktion – im Umgang mit Gefühlen wie im Vorleben von Nachhaltigkeit. Hilfreich sei es, so die Experten, wenn Eltern sich zunächst selbst fragten, wie sie zu großen Zukunftsthemen wie dem Klimawandel stehen. Gibt es einen blauäugigen Optimismus, von wegen alles wird gut, der technologische Fortschritt wird es richten? Oder einen Hang zum Aufschieben oder Hyperaktionismus? Denn, wenn wir aus unseren eigenen Abwehrmechanismen heraus anfingen, halbherzig Pflaster zu verteilen, fühlten sich die Kinder nicht gesehen, sondern verlassen, so Valentin.

Stefanie Rocker findet ihren Weg aus der Sprachlosigkeit durch Kinderbücher und die Logo-Nachrichten, die sie mit ihrer Tochter guckt. Sie erlebt die Geschehnisse dieser Welt durch die Gemütszustände und Fragen ihrer Kinder. Mit vier Jahren läuft ihr Sohn ihr jedes Mal hinterher, wenn sie das Zimmer verlässt, um das Licht auszumachen – sein Beitrag zum Energiesparen. Und als der Ukraine-Krieg beginnt, fragt er, ob sie nicht ein Auto kaufen könnten, das schnell genug fährt, damit sie wegfahren können, wenn die Atombombe kommt. 

„Die Kinder zwingen uns, ehrlich zu sein, auch mit uns selbst. Die kognitive Dissonanz aufrecht zu erhalten, war da nicht mehr so leicht“, erklärt Rocker. Und sie beginnt still zu trauern, um den Zustand der Welt, der nicht so viel zu tun haben scheint, mit der heilen Welt, in der sie selbst aufgewachsen ist. Und plötzlich war er da, dieser „What-the-fuck-Moment“. Der Moment, an dem alles keinen Sinn mehr ergab, und ihr klar wurde: „Die Zukunft hängt auch von mir ab. Es war nicht mehr ein: Ich kann etwas machen, sondern ich muss etwas machen – jetzt.“
 

Illustration: Cristian Chiscari
Illustration: Cristian Chiscari
Illustration: Cristian Chiscari
Illustration: Cristian Chiscari

Angst als Tor zur Aktion

Und so können gerade die schwierigen Gefühle wie Hilflosigkeit, Trauer und Angst das Tor zur Aktion sein. Fällt die Angst nämlich auf Mitgefühl und eine positive Welt- und Selbstsicht, kann sie auch das entfalten, was sie eigentlich will – nämlich das Signal setzen, etwas in dieser Welt zu bewegen. 

Problematisch wird es jedoch, wenn die Angst zum Dauerzustand wird. Anders als Tiere sind Menschen nämlich in der Lage, den Zustand von Bedrohung quasi unbegrenzt in sich aufrechtzuerhalten. Und negative Nachrichten bekommen stets einen größeren Raum – in den Medien wie in unseren Köpfen. Neurowissenschaftler nennen dieses Phänomen den Negativitätsbias: Negatives bleibt in unseren Hirnwindungen haften wie an Klettband, Positives rutscht ab wie an Teflon. So wirkt die Realität stets ein wenig düsterer als sie ist.

Da hilft es, aktiv zu intervenieren und den Blick auf das Schöne und Machbare zu richten. Wir könnten dann anerkennen, dass sich seit dem epochalen Pariser Klimaschutzabkommen aus dem Jahr 2015 viel bewegt hat und laut Weltklimarat heute 170 Länder auf dem Weg sind, die Folgen der Erderwärmung in Schach zu halten. Kenia beispielsweise bezieht seine Energie schon heute zu 90 Prozent aus erneuerbaren Quellen. Und wir könnten uns vorstellen, wie ein heute geborenes Kind um die Jahrtausendwende erlebt, wie das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens verwirklicht sein wird, wie Forscher errechnet haben. 

Eltern wie Kinder können sich dann konkrete, machbare Schritte in die Selbstwirksamkeit überlegen und gemeinsam fragen: Was können wir jetzt tun? Wofür bin ich?, statt: Wogegen bin ich? Welcher der vier großen Hebel – Konsum, Mobilität, Wohnen und Ernährung – fällt mir am leichtesten? 

 

Spieltrieb und Neugier einladen

„Je spielerischer die Antworten ausfallen, umso leichter fällt die Verhaltensänderung. Denn wir sind ein homo ludens“, sagt Maren Urner, Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der HMKW Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft. Zum Beispiel könnte jedes Familienmitglied einen Abend gestalten, an dem er oder sie herausfindet, welche Reise das Essen auf dem Familientisch hinter sich hat und wie sein CO₂-Abdruck ausfällt. 

Es gilt, einen Schalter im Kopf umzulegen: Das ist zwar erstmal anstrengend, da unser Gehirn stets versucht, Energie zu sparen – aber wenn wir unsere Neugier ankurbeln, wird das Belohnungssystem im Hirn auch aktiv und sorgt für positive Gefühle. Der Kreativität sind hier kaum Grenzen gesetzt. Denn: „Klimaschutz ist Menschheitsschutz – und damit eine Dimension jedes Themas und jeder Tätigkeit, weil es immer darum geht unsere Lebensgrundlage zu erhalten“, so Urner.

Eine weitere wichtige Ressource ist es, Verbindung zu Gleichgesinnten zu suchen. Sei es, indem man ein Klimacafé besucht,  Nachhaltigkeit in den Musik- oder Sportverein trägt oder sich einer Gruppe anschließt, die im Park gemeinsam Müll sammelt. Es geht darum, die Frage zu stellen: Wie kann ich mich stark fühlen? Und wie kann ich meinen Verstand nutzen, um Lösungen für die Probleme zu finden? „Ich habe das Gefühl, dass etwas Unglaubliches passiert, wenn Menschen zusammenkommen und sich wirklich auf Lösungen einlassen“, sagt Steffi Bednarek. Die Psychologin ist auf Klimapsychotherapie spezialisiert. Sie stellt fest, dass ihr Berufsstand hier mit seinem individualistisch geprägten Weltbild an seine Grenzen stößt: „Wir sollten hier viel mehr über kollektive statt individuelle Resilienz nachdenken“, sagt Bednarek.

 

Vom Ich zum Wir

Klimaschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufga- be. „Die Veränderungen, die nötig sind, betreffen alle gesellschaftlichen Bereiche, deswegen ist es so wichtig, auch auf allen Ebenen darüber zu reden, wer jeweils welche Verantwortung hat“, fordert auch Maren Urner.

Klar ist, bei den Kindern und den einzelnen Fami- lien allein darf sie nicht liegen. Bildungseinrichtungen, Wirtschaft, Medien – sie alle können Resilienzfaktoren sein. Institutionen, an denen Menschen nicht nur lernen können, mit den Stürmen der Zukunft zu sein, sondern idealerweise auch die Ressourcen mitbekommen, sie aktiv zu mildern.

Und weil das inzwischen viele erkannt haben, kam auch Stefanie Rocker zu ihrem neuen Job als Chief Operation Officer bei der gemeinnützigen Organisation Active Philanthropy, die einflussreiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Akteure für den Klimaschutz zusammenbringt. Dort beschert sie heute Menschen, die an den großen gesellschaftlichen Hebeln sitzen, Aufwachmomente, wie sie sie selbst erlebt hat. Ein fantastischer Lehrmeister ist hier die Natur selbst. In Kontakt gebracht mit unberührter Natur erlebt fast jeder der Stifter und Spender diesen magischen Moment, im Hier und Jetzt, wo sich ein innerer Schalter umlegt und die Dringlichkeit des Handelns plötzlich klar wird.

 

Schützen, was wir lieben

Und so fängt Klimaschutz letztlich genau hier an: bei der Liebe zur Natur. „Die Natur ist für uns alle da – Große wie Kleine. Und da entsteht eine riesengroße Kraft, die schon Babys spüren können, wenn sie in die Baumwipfel schauen oder Ameisen betrachten, wie sie ein Vielfaches ihres Gewichts tragen“, sagt Felicitas von Peter, Gründerin und Geschäftsführerin von Active Philanthropy. Diesen Wert von Natur und Wildnis können die Erwachsenen Kindern vermitteln, sie dürfen sich aber auch umgekehrt von ihren Kindern daran erinnern lassen. Und dann fällt es auch leichter, gemeinsam kreativ zu werden. 

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