Der Krise trotzen

Die deutsche Baubranche steckt in einer tiefen Krise. Steigende Baukosten, hohe Zinsen und eine unsichere wirtschaftliche Lage machen es vielen schwer, den Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Doch trotz aller Widrigkeiten wollen viele Deutsche weiterhin bauen und ihr Zuhause verschönern. Warum sich der Hausbau trotz schwieriger Rahmenbedingungen lohnen kann – und welche Impulse nötig sind, um den Markt wieder anzukurbeln.

Illustration: Malcom Fisher
Illustration: Malcom Fisher
Laura Puttkamer Redaktion

Angespannt und durchwachsen, so beschreibt Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, die Lage der Branche. Sein Verband erwartet für 2025 einen weiteren Umsatzrückgang über alle Bausparten von 1,5 Prozent. „Bislang konnten die meisten Unternehmen dies noch auffangen - unternehmerisch eine Wahnsinnsleistung. Jetzt müssen aber Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden”, erklärt der Experte.
 

EINE BRANCHE UNTER DRUCK


Die Branche hat in den letzten Jahrzehnten drastische Veränderungen durchlebt, vom Bauboom nach der Wiedervereinigung bis zu einer 10-jährigen Baurezession ab 1996. Zwischen 2006 und 2021 gab es überwiegend einen Aufschwung zu verzeichnen, dem aber die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die damit einhergehenden Kosten-, Preis- und Zinssteigerungen ab 2022 ein Ende bereiteten. Dabei ist der Baubedarf sowohl von Wohnraum als auch von Verkehrs- und anderer Infrastruktur gleichbleibend hoch. 

Laut Bundesbaublatt steht Wohneigentum nach wie vor hoch im Kurs bei den Deutschen, insbesondere als Altersvorsorge: Eine repräsentative Forsa-Umfrage im Auftrag des Immobilienverbands Deutschland IVD zeigt, dass fast 60 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger Wohneigentum für die beste Option halten, um neben der gesetzlichen Rente für das Alter vorzusorgen. Auch zwei Drittel aller Mieterinnen und Mieter wünschen sich ihre eigenen vier Wände. In der Gruppe der 18- bis 44-Jährigen ist dieser Wunsch mit über 80 Prozent sogar besonders hoch. 

Doch die Krise in der Bauindustrie rückt diesen Traum für viele in weite Ferne. Oft stehen finanzielle Hürden im Weg - etwa fehlendes Eigenkapital und hohe Zinsen. Steigende Preise für den Bau, Lieferengpässe und lange Bauzeiten sind weitere Herausforderungen.

Über alle politischen Parteien und Sympathien hinweg fordern die Befragten zudem eine stärkere staatliche Unterstützung beim Erwerb von Wohneigentum.
 

LOHNT SICH BAUEN NOCH?


„Ja, es lohnt sich immer, zu bauen. Denn die Bauunternehmen des Landes schaffen das, was wir alle tagtäglich brauchen und worauf wir angewiesen sind: neben Wohnraum auch Straßen, Brücken, Schienen. Wir können uns also gar nicht leisten, nicht zu bauen”, so Tim-Oliver Müller. Jedoch betont er auch, dass es sich für Investorinnen und Investoren derzeit weniger lohnt, zu bauen, was den Rückgang im Auftragseingang ebenfalls erklärt. Doch die Tatsache bleibt: Viele Haushalte und Familien können die finanziellen Anforderungen für den Hausbau nicht erfüllen. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Zinsen für Baukredite innerhalb der letzten zwei Jahre verdoppelt und teils sogar verdreifacht haben. Wo früher ein Prozent Zinsen verbreitet waren, sind es jetzt bis zu vier Prozent. Die so entstehenden höheren finanziellen Lasten für einen Kredit schrecken viele ab.

Illustration: Malcom Fisher
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Illustration: Malcom Fisher
Illustration: Malcom Fisher

Materialknappheit und höhere Lohnkosten erhöhen die Baupreise zusätzlich. Im Vergleich zum Jahr 2000 ist ein Rohbau heute fast 100 Prozent teurer. Dies liegt vor allem an den durch Corona und den Ukraine-Krieg in die Höhe geschossenen Kosten, so eine Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Insgesamt ist Bauen sogar um 144 Prozent teurer geworden, wenn man auch den Ausbau und die Baunebenkosten berücksichtigt. Etwa ein Drittel dieser Kostensteigerung geht auf das Konto gestiegener Anforderungen an Neubauten, etwa im Rahmen des Heizungsgesetzes (GEG) und der EU-Gebäuderichtlinie. Zwar wurden beide in ihren finalen Fassungen etwas entschärft, aber noch immer dominieren Öl- und Gasheizungen in Deutschland. Und über 60 Prozent der Mehrfamilienhäuser sind den Energieeffizienzklassen D bis H zuzuordnen, weshalb Renovierungsarbeiten nötig sind. 

Gleichzeitig sind Immobilien aber nach wie vor eine der sichersten Anlagen und Investitionen. Wer seine eigenen vier Wände besitzt, ist vor steigenden Mietpreisen geschützt und kann im Alter mit mehr finanzieller Sicherheit rechnen. Zudem gibt es attraktive Förderprogramme von der KfW und vom BAFA, mit denen der Bau oder die Sanierung leichter fallen, etwa dank zinsgünstiger Kredite und staatlicher Zuschüsse für energieeffizientes Bauen.
 

WENIGER REGULATORIK


Seit Sommer 2024 zeigt sich eine leichte Entspannung am Kapitalmarkt, nachdem die Europäische Zentralbank in fünf Schritten den Leitzins gesenkt hat. Entsprechend ließ sich bereits ein Anstieg an neuen Wohnungsbaukrediten für private Haushalte beobachten. Aber: „Künftige Leitzinssenkungen sind bereits eingepreist, daher dürften bei den Finanzierungsbedingungen im laufenden Jahr keine großen Sprünge zu erwarten sein“, prognostiziert Tim-Oliver Müller. Sein Verband fordert noch mehr passgenaue, zinsverbilligte KfW-Darlehen, die den Wohnungsbaumarkt anschieben.

Außerdem empfiehlt er, ebenso wie andere Bauverbände, einen „mutigen und beherzten Abbau hemmender staatlicher Regulatorik“, um wichtige Impulse zu setzen. Dies würde lange Planungs- und Genehmigungszeiten reduzieren sowie die sich ständig verändernden Vorgaben zur Bauqualität und ausufernde Bauvorschriften eindämmen. „Am besten gelingt das mit voll digitalisierten und personell gut ausgestatteten Bauverwaltungen. Und mit der Harmonisierung der 16 Landesbauordnungen – hier gibt es erste zaghafte Schritte. Da brauchen wir mehr Geschwindigkeit.“
 

NEUE WOHNFORMEN IN DER STADT


Wer heute baut, sollte neben der Situation auf dem Markt auch die künftige Entwicklung von Städten und Wohnformen im Blick haben. So ist die Investition auch langfristig gesichert. Das bedeutet zum Beispiel, die bereits dichte Besiedlung unserer Städte intelligent anzugehen und durch Maßnahmen wie die Aufstockung vorhandener Gebäude Platz und auch Grundstückskosten zu sparen. Auch modulare Bauweisen, gemeinschaftliche Wohnprojekte, Co-Housing und Mehrgenerationenhäuser sind zukunftsweisende Möglichkeiten des Immobilienbesitzes mit zahlreichen Vorteilen und teils geringeren Kosten als der klassische Hausbau. 

In Hamburg etwa fördert die Stadt den Umbau eines Parkhauses zu modernem Wohnraum. Gemeinsam mit einer Genossenschaft beginnt die Stadt in diesem Jahr mit den Umbaumaßnahmen am Gröninger Hof. Es sollen rund 90 geförderte Wohnungen entstehen, die die Innenstadt beleben werden. Flächen für Kultur und Gewerbe sowie eine offene Stadtteilwerkstatt für die Hamburger Altstadt sollen das ehemalige Parkhaus weiter bereichern. 

Zugleich zeigt das Projekt, wie ein ressourcenschonender Umbau funktionieren kann: Im Vergleich zu einem Neubau wird beim Projekt „Gröninger Höfe“ 42 Prozent „graue Energie” gespart. Damit ist die Energiemenge gemeint, die bei Herstellung, Transport, Lagerung und Bau zum Einsatz kommt. Zwar müssen Teile der Gesamtinfrastruktur ersetzt werden, da der Beton an einigen Stellen durch Chloride geschädigt ist, aber die unterirdischen Bauteile können weiter genutzt werden. Bis 2027 soll der Umbau abgeschlossen sein. 

Ein weiteres Beispiel dafür, wo in unseren dicht bebauten Städten, die wir nicht weiter versiegeln sollten, gebaut werden kann, findet sich in Düsseldorf. Das moderne, grüne Wohnquartier namens „Living Circle” auf dem ehemaligen Thyssen-Gelände stand früher leer, hat jetzt aber neues Leben gefunden. Hier sind die Gebäude halbkreisförmig um runde Innenhöfe angeordnet. Sie sind vier bis acht Stockwerke hoch, haben helle Fassaden, große Balkone und kleine Gärten vor dem Erdgeschoss. So sind 340 Zwei- bis Fünf-Zimmerwohnungen entstanden. Es handelt sich um eines der größten Umwandlungsprojekte von Büro zu Wohnen in der Stadt. 

Ähnlich wie in Hamburg gelingt es so auch in Düsseldorf, graue Energie einzusparen. Dabei ist es sehr hilfreich, dass die Baugenehmigung schon besteht und nur angepasst werden muss. Teils langwierige Prozesse für Neubauten wie Bürgerbeteiligungen oder Architekturwettbewerbe, wie bei großen Projekten üblich, fallen weg, und auch aus ökologischer Sicht ist der Umbau vorteilhaft. Im Ergebnis entstehen Immobilien mit Charakter und bezahlbaren Mieten. Und im Duisburger Norden, im Stadtteil Walsum, entsteht auf dem Gelände einer ehemaligen Schule eine Klimaschutz-Siedlung. Die städtische Gebag, eine kommunale Baugesellschaft, konnte das frühere Gebäude zwar nicht umnutzen, dafür aber 100 neue Wohnungen mit ökologischen Baustoffen, Car- und Bikesharing-Modellen und begrünten Dächern auf der Fläche entstehen lassen. Die Beispiele zeigen: Wer nicht selbst bauen möchte, aber trotzdem die eigenen vier Wände ersehnt, kann nach kreativen Bauprojekten in der eigenen Stadt suchen und so Inspiration finden.
 

NACH WIE VOR EINE GUTE OPTION


Die Herausforderungen sind groß – aber der Wunsch nach den eigenen vier Wänden bleibt. Wer clever plant, Finanzierungsmöglichkeiten prüft und moderne Bauweisen nutzt, kann trotz der aktuellen Marktlage seinen Traum verwirklichen. Gleichzeitig braucht es politische und wirtschaftliche Impulse, um den privaten Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Dazu könnten Förderprogramme für private Bauherren, steuerliche Erleichterungen für Sanierungen und klimafreundlichen Neubau sowie mehr Bauland und schnellere Genehmigungsverfahren gehören. Die finanzielle Lage scheint sich zumindest etwas zu stabilisieren, auch wenn keine Rückkehr zu Niedrigzinsen ansteht. Zugleich bieten neue Wohnformen die Möglichkeit, beim Bau zu sparen und zugleich zukunftssichere Immobilien zu gestalten. Eines ist sicher: Die Deutschen wollen weiterhin bauen und wohnen – sie brauchen nur die richtigen Rahmenbedingungen.

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